ver.di publik – Zum ersten Mal regiert in Deutschland auf Bundesebene eine Ampel, eine Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Ergeben sich daraus Chancen für mehr Gleichstellung und eine bessere Frauenpolitik?

Karin Schwendler – Die können sich aus Teilen der Ampel ergeben, dabei denke ich an SPD und Grüne. Die FDP ist hingegen nicht gerade als Gewerkschaftsfreundin bekannt. Sie hat ja auch eine deutliche Handschrift im Koalitionsvertrag hinterlassen. Sie ist an einigen Stellen Blockade.

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Foto: ver.di

An welche Stellen denkst Du da?

Etwa an diese Kombination aus Mindestlohn und Minijobs. Natürlich begrüßen wir gerade aus Frauensicht, dass der Mindestlohn zum 1. Oktober auf 12 Euro angehoben werden soll. Das hilft gerade Frauen, die ja oft im Niedriglohnbereich arbeiten.

Leider kombiniert die neue Regierung das mit der gleichzeitigen Erhöhung der Minijob-Grenze auf 520 Euro. Als ver.di sagen wir ganz deutlich: Beschäftigung soll ab dem ersten Euro sozialversicherungspflichtig sein. Frauen machen hier 80 Prozent der Beschäftigten aus. Wir könnten sie so besser absichern.

Nicht zuletzt verstärken Minijobs die Altersarmut vieler Frauen. Ich finde es übrigens positiv, dass es die Zusage gibt, das Rentenniveau auf 48 Prozent zu halten und das Renteneintrittsalter nicht hochzusetzen. Allerdings reichen die beiden Maßnahmen allein nicht aus, um Frauen vor Altersarmut zu bewahren. Da muss mehr getan werden, aber erstmal ist das ein gutes Signal.

Was sollte die Koalition jetzt als erstes umsetzen?

Umgesetzt wird ja schon, Beispiel Min-destlohn. Es ist – wie schon gesagt – gerade für Frauen wichtig, dass er auf 12 Euro erhöht wird, und dass auch kontrolliert wird, dass er tatsächlich gezahlt wird.

Ein anderes Thema ist die Selbstbestimmung, die Abschaffung des Paragrafen 219a. Das nehmen sie jetzt tatsächlich auch sofort in Angriff, es gibt schon einen Referentenentwurf. Es ist für viele Kolleg*innen, die ungewollt schwanger werden und sich niedrigschwellig informieren wollen, wichtig, dass auch auf Internetseiten von Ärzt*innen ausführlich über Schwangerschaftsabbrüche und die Methoden berichtet werden kann. Das war ja bisher verboten.

Die Regierung will einen Gleichstellung-Check einführen. Was bedeutet das?

Bei jeder Maßnahme soll vor Start geprüft werden, welche Auswirkungen sie für die Geschlechter hat. Das bewerten wir als ver.di-Frauen sehr positiv.

Gibt es schon verbindliche Aussagen dazu, was geschehen soll, wenn man feststellt, das etwas nicht geschlechtergerecht ist?

Das ist das Manko des Koalitionsvertrags. Er enthält an ganz vielen Stellen nur Absichtserklärungen, ohne zu konkretisieren, wie die Umsetzung aussieht. Es steht nirgendwo, wie dieser Gleichstellungs-Check aussehen soll. An Stellen wie diesen werden wir von ver.di gut aufpassen müssen, was in den einzelnen Feldern passiert.

2020 haben Frauen in Deutschland immer noch 18 Prozent weniger verdient als Männer. Jetzt haben die drei Parteien festgeschrieben, dass sie diese Lohnlücke schließen wollen. Wie soll das gelingen?

Sie wollen in diesem Jahrzehnt die Gleichstellung erreichen. Das begrüßen wir natürlich, aber die Maßnahmen, die beschrieben werden, sind alle sehr vage. Da steht auch, dass sie die Lohnlücke schließen wollen, aber es steht nicht da, wie genau sie das machen wollen.

Sie wollen sich wohl das Entgelttransparenzgesetz noch einmal anschauen, das es ja seit einigen Jahren gibt, und es unkomplizierter machen. Viele Frauen trifft das Gesetz aber gar nicht, denn viele Maßnahmen gelten erst in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten. Viele Frauen arbeiten in kleineren Betrieben.

Außerdem fehlt in dem Gesetz immer noch das Verbandsklagerecht für Gewerkschaften. Damit könnten wir bei struktureller Diskriminierung eingreifen, ohne dass eine Frau selbst ihr Gesicht zeigen müsste.

Ist Gleichstellung in erster Linie eine Frage des Geldes?

Wertschätzung ist auch Geld, aber zu Wertschätzung gehört auch, mehr Personal einzusetzen, mehr Personal auszubilden und zu gucken, inwieweit eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewährleistet werden kann.

Wie wollen die Koalitionär*innen die Vereinbarkeit verbessern?

Im Koalitionsvertrag stehen dazu ein paar Ideen, die wir begrüßen. So soll das Elterngeld dynamisiert werden, es soll drei statt bisher zwei Partnermonate beim Elterngeld geben. Zwar sind Frauen heutzutage oft erwerbstätig, aber insbesondere wenn Kinder im Haus sind, sind sie das nur zu einer geringeren Stundenzahl. Wenn wir davon ausgehen, dass jede*r seine*ihre Existenz eigenständig sichern können muss, dann hat das auch was mit dem Anteil an Erwerbstätigkeit zu tun.

Muss da nicht auch ein Bewusstseinswandel bei den Männern stattfinden, mehr Haushalts- und Sorgearbeit zu übernehmen?

Das wäre wünschenswert. Darum befürworten wir auch jegliche Ideen, Männer, insbesondere Väter, mehr einzubinden. Es soll eine zehntägige Freistellung rund um die Geburt des Kindes geben, mehr Elternzeit und -geld – das sind Maßnahmen, von denen wir uns versprechen, dass die Väter dann mit Engagement dabei sind, nicht nur bei der Kinderbetreuung, sondern auch bei der Hausarbeit.

Ist es dann nicht auch wieder eine finanzielle Entscheidung, wenn die Frauen weniger verdienen als die Männer?

Solange typische Frauenberufe schlechter bezahlt sind, sind es die Frauen, die die Arbeitszeit reduzieren. Da wird durchgerechnet in der Familie, das Haushaltseinkommen zählt. Wir wissen erfreulicherweise, dass die jüngere Generation das gerne anders hätte. Es hört dann aber beim Praktischen auf, wenn gerechnet wird.

Das Steuerrecht fördert es noch, dass eine*r von beiden weniger arbeitet. Doch die Steuerklasse V will die Ampelregierung jetzt abschaffe n

Das ist wirklich richtig, richtig gut. Das hat nicht nur Auswirkungen auf das Einkommen von Frau und Mann, es hat auch Auswirkungen auf Elterngeld, auf Krankengeld, auf Kurzarbeitsgeld – also auf alles, was es an Lohnersatzleistungen gibt.

Wie will die Koalition die Familien noch entlasten?

Wir wissen, dass Haus- und Sorgearbeit immer noch überwiegend von Frauen übernommen wird. Das hindert sie oftmals an der Erwerbsarbeit. Es ist im Koalitionsvertrag auch angedacht, dass haushaltsnahe Dienstleistungen gefördert werden sollen, um sie auch Menschen mit niedrigen Einkommen und insbesondere Alleinerziehenden zu ermög- lichen. Aber wenn haushaltsnahe Dienstleistungen, dann nicht über neue Minijobs. Da muss man schauen, wie man das praktisch machen kann, dass es nicht wieder Frauen sind, die anderen Frauen über einen Minijob ermöglichen, mehr zu arbeiten. Das muss aus ver.di-Perspektive so organisiert werden, dass in diesem Bereich möglichst sozialversicherungspflichtige Beschäftigung statt- findet.

Frauen, die sich engagieren, werden in den Sozialen Medien häufig sexistisch angegriffen. Die Koalition will dagegen vorgehen…

Das begrüße ich sehr, denn da machen auch unsere Kolleginnen, die deutlich politisch, gewerkschaftlich Position beziehen, gerade in den Sozialen Medien wirklich teilweise unterirdische Erfahrungen. Sie werden angefeindet, sexistisch beleidigt, ihnen wird Gewalt angedroht und ähnliche unfassbare Dinge.

Das zielt darauf ab, dass die Frauen sich nicht mehr äußern – und das kann es echt nicht sein. Da ist es schon hilfreich, wenn es erleichtert wird, dem nachzugehen und die Plattformbetreiber aufgefordert werden, auf solche Dinge zu reagieren.

Interview: Heike Langenberg

frauen.verdi.de

Aktionstage

Der Internationale Frauentag am 8. März steht in diesem Jahr unter dem Motto "Wandel ist weiblich". Die ver.di-Frauen rufen zu Aktionen auf. Bereits einen Tag zuvor, am 7. März, ist in Deutschland der Equal Pay Day, der Tag, bis zu dem Frauen durchschnittlich umsonst arbeiten, geht man vom Einkommen der Männer aus.