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Foto:ver.di

Barbara Henke ist seit vielen Jahren ehrenamtlich in ver.di aktiv. Sie war bis Ende 2019 Referentin für Frauen- und Gleichstellungspolitik, Diversity und Kommunikation des Konzernbetriebsrats bei der Deutschen Post, jetzt im engagierten Ruhestand. Sie ist seit 2008 Vorsitzende des ehrenamtlichen Bundesfrauenrats von ver.di, bei den Wahlen Anfang September kandidiert sie nicht mehr. Im Rückblick hebt sie die gute Zusammenarbeit mit dem Präsidium und den jeweiligen Leiterinnen des Bereichs Frauen- und Gleichstellungspolitik hervor.

ver.di publikDu hast die Frauenarbeit in ver.di mit aufgebaut, standest 15 Jahre an der Spitze des Bundesfrauenrats. Wie ist Deine Bilanz?

Barbara Henke – In der Anfangszeit mussten wir hin und wieder mal kräftig auf den Tisch hauen, um daran zu erinnern, dass es Frauen in ver.di gibt. Das hat sich mit der Zeit aber wesentlich verändert. Heutzutage kommt man an den Frauen in ver.di nicht mehr vorbei, das finde ich sehr beruhigend.

Der Frauenanteil von ver.di war von Anfang an hoch, mittlerweile stellen sie 52,6 Prozent der Mitglieder. Warum war es da manchmal schwierig, dass sie berücksichtigt werden?

Wir sind die erste Gewerkschaft, die Frauen und Männer gleichberechtigt nebeneinandergestellt hat. Insofern ist es eigentlich unverständlich, dass das am Anfang so schwierig war, aber ich glaube, das sind die ganz normalen Realitäten, die wir auch im Arbeitsleben haben.

Dennoch war es ein langer Weg

Wir Frauen haben uns da manchmal zu viel zurückgenommen. Es gab viele Situationen, wo wir immer mal wieder die Hand heben mussten, um zu sagen, dass manches nicht frauen- und gleichstellungsspezifisch gedacht ist. Das war anstrengend. Viele Frauen haben mir immer wieder gesagt, ich bin diejenige, die da sitzt und den Finger erhebt. Dadurch werde ich als nervig empfunden. Aber es geht halt nicht anders.

Ich glaube, dass sich auch das Rollenverständnis in den letzten 20 Jahren gewandelt hat. Man hört den Frauen eher zu, und sie müssen sich nicht immer erst melden, wenn etwas schiefläuft.

"Wir stehen als Frauen nicht neben den Gremien, wir machen mit."

Was hat der Bundesfrauenrat dazu beigetragen?

Bei der Entstehung von Entscheidungen in ver.di, etwa bei Umstrukturierungen, waren wir von Anfang an dabei und konnten mitdiskutieren. Wir konnten immer sagen, das ist nicht okay, oder das mit unseren Frauen rückkoppeln. Wir konnten dann auch die anderen Frauengremien in ver.di, sei es auf Fachbereichs-, Landes- oder Bezirksebene, darauf aufmerksam machen, wo sie sich in die Diskussion einbringen müssen. Wir stehen als Frauen nicht neben den Gremien, wir machen mit.

Bei den Wahlen im Vorfeld des ver.di-Bundeskongresses sind mehr Frauen in hauptamtliche Leitungsfunktionen gewählt worden. Ist das auch ein Erfolg dieser Frauen- und Gleichstellungsarbeit in ver.di?

Das würde ich als Erfolg unserer Arbeit verbuchen. Wir als Bundesfrauenrat haben immer wieder daran gearbeitet, Frauen in Führungspositionen zu bringen, und auch das hat dazu geführt, dass Frauen ein großes Stück weit selbstbewusster geworden sind. Das ist wichtig, damit Entscheidungen eben auch geschlechterspezifisch betrachtet werden.

Welche Rolle spielt dabei die Lebenswirklichkeit?

Traditionelle Rollenverteilungen sind noch ein großes Hemmnis, da müssen wir nicht nur in ver.di, da müssten auch die Unternehmen mehr tun, um Frauen voranzubringen. Und in der Politik ist das ähnlich. Insofern kann ich Frauen verstehen, wenn sie sagen, ich hab' keinen Bock darauf, so zu leben und zu arbeiten. Nichtsdestotrotz, man muss das dann vielleicht mal etwas anders gestalten. Man kann auch in Teilzeit führen. Wenn man will, bekommt man das hin.

Was hat sich gesellschaftlich verändert?

Frauen- und gleichstellungspolitische Themen werden inzwischen mehr wahrgenommen. Es hat sich zum Beispiel viel getan in Sachen Sexismus. Was früher noch okay war, ist heute gesellschaftlich tabu. Das ist ein Generationenwechsel, der da jetzt stattfindet, aber auch ein gesellschaftlicher Wandel.

Jüngere Menschen haben andere Lebensvorstellungen, sie sind nicht mehr nur karriere- und finanzenorientiert, da wird das ganze Leben betrachtet. Das tut uns auch gut für das, was wir in ver.di wollen. Wie wollen die Menschen leben und was können wir als Gewerkschaft dazu beitragen, dass sie das tun können? Da sind wir in ver.di sehr viel breiter aufgestellt als noch vor 20 Jahren.

Eine Umfrage von Plan International hat ergeben, dass ein Drittel der jungen Männer Frauen gegenüber schon mal handgreiflich geworden sind, um ihnen Respekt einzuflößen, für 17 Prozent der Frauen ist das okay. Ist das nicht erschre ckend?

Gewalt ist nie okay. Das könnte eine Verrohung der Gesellschaft an sich sein, dass man durch das, was einen sonst belastet, immer öfter mal ausrastet. Das ist jedoch keine Rechtfertigung. Und Respekt kann erst recht nicht durch Gewalt erzeugt werden. Das ist ein sehr großes Thema, das wir bei ver.di immer wieder aufnehmen, auch zum Beispiel im Handel in der Beziehung zu Kundinnen und Kunden.

Auch im virtuellen Raum, in den Sozialen Medien, nimmt die Gewalt gegen Frauen zu. Wie erklärst Du das?

Das ist ja schon eher anonym. Es ist einfacher, jemandem, die oder den man nicht kennt und denen man wahrscheinlich nie begegnen wird, ein Schimpfwort an den Kopf zu werfen.

Es ist ja oft mehr als ein Schimpfwort, es geht um Gewalt- und sexuelle Phantasien, um Morddrohunge n

Ich finde das schlimm, dass sich das so ausweitet. Wir als ver.di müssen uns darum kümmern, damit es aufgedeckt wird, und das findet ja auch am Arbeitsplatz statt. Wir bieten schon Workshops an, damit man sich entsprechend wehren kann. Es müssen aber auch rechtliche Schritte ausgebaut werden, die man dann einleiten kann.

Wie überzeugt man Frauen für ehrenamtliches Engagement, wenn sie neben der Arbeit auch noch Familie, Freizeit etc. organisieren müssen?

Ich glaube, da müssen wir weiter denken: Wir brauchen Nachwuchs an Aktiven und müssen neue Mitglieder gewinnen, um unsere Forderungen in den Betrieben durchsetzen zu können. Also müssen wir neue Wege finden, wie wir unsere Mitglieder in die Diskussionen einbeziehen können und es jenen, die in den Gremien sind, einfacher machen können, mitzureden.

Was hat Dir persönlich die ehrenamtliche Arbeit gebracht?

Ich habe bereits in den betriebsrätlichen Strukturen viel gelernt, wie man Arbeitsbedingungen verbessern kann. Das hilft auch allen anderen Kolleginnen und Kollegen im Betrieb. Ja, das macht auch Arbeit. Aber es macht auch stark, etwa, was die Argumentation für sich und andere angeht. Es gibt unglaublich viele Weiterbildungsangebote bei ver.di. Der Austausch mit anderen Kolleginnen, anderen ver.di-Mitgliedern öffnet einen Blick auf die Arbeitswelt, den man sonst nicht hat. Der Austausch mit vielen unterschiedlichen Menschen hat mir persönlich immer sehr viel Spaß gemacht. Frau muss dafür nicht zwangsläufig in ein Bundesgremium gehen, das geht auch im Bezirk vor Ort.

Aufregend waren auch die internationalen UNI-Kongresse in Europa oder weltweit. Da konnten wir eine ganz andere Lebenswirklichkeit feststellen und mit dem spiegeln, was wir hier erreicht haben. Das war eine tolle Erfahrung.

Es hat sich in den mehr als 20 Jahren seit ver.di-Gründung eine Menge verändert. Sind wir schon am Ziel?

Man braucht einen langen Atem. Wir hatten kürzlich Bundesfrauenkonferenz und hatten gedacht, wir haben alle Themen durch. Dennoch hatten wir 100 Anträge. Es wird noch lange dauern, bis wir die Gleichstellung von Frauen und Männern erreicht haben. Wir haben aber gute Instrumente, das durchzusetzen. Nur müssen dafür auch alle mitmachen. Es war anstrengend, ist anstrengend, aber im Laufe der Zeit tut sich was.

Es gibt auch viele neue Themen, wie Klima- und Umweltschutz oder Stadtentwicklung, die geschlechterspezifisch betrachtet werden müssen. Aber wir sind nicht die einzige Organisation, die über diese Themen nachdenkt. Wir sind inzwischen auch sehr gut vernetzt, etwa mit dem DGB, dem Deutschen Frauenrat, wir sind mit den Parteien im Gespräch. Das hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Wenn wir alle an einem Strang ziehen, kann das besser gelingen.

Politisch-gesellschaftlich gewinnen Konservative an Einfluss. Stimmt der Eindruck, dass sich da die Gesellschaft etwas mehr spaltet?

Das Frauenbild in den rechten Parteien ist ein sehr konservatives. Aber man kommt an den modernen selbstbestimmten Frauen nicht vorbei. Ich empfehle den jungen Frauen, sich zu engagieren, sei es politisch oder gewerkschaftlich, um dieses Bild in der Gesellschaft wieder zurechtzurücken zu Gunsten der Frauen.

Interview: Heike Langenberg