Ausgabe 01/2022
Gegen die Ungerechtigkeiten
Mit über 25.000 weiblichen Mitgliedern hat ver.di München einen beachtlichen Frauenanteil, er liegt bei über 45 Prozent. Dieser nimmt auch bayernweit kontinuierlich zu. In den vergangenen zehn Jahren stieg er um knapp zehn Prozent. ver.di ist in diversen "Frauen-Branchen" sehr aktiv: im Öffentlichen Dienst, im Einzelhandel, im Gesundheits-, Sozial- und Erziehungswesen. Im Vorfeld des Internationalen Frauentages am 8. März unterhielt sich die Münchner ver.di-publik-Redaktion mit Martina Helbing, der Vorsitzenden des ver.di-Bezirksfrauenrates.
ver.di publik – Warum engagierst du dich bei ver.di?
Martina Helbing – Es ist weiterhin nötig, dass Frauen eine Stimme brauchen und gehört werden. Als ich vor Jahrzehnten im Druckgewerbe mit gewerkschaftlicher Frauenarbeit angefangen habe, war ich unter mehr als 100 Delegierten die einzige Frau. Damals gab es keine Quote. Seitdem bin ich in Frauen-Ausschüssen und jetzt bei den Bezirksfrauen in ver.di München aktiv.
Wie sah die Quote später aus?
In der IG Medien war sie noch "mitgliederbezogen". Wo es damals wenig Frauen gab, war dies gleichzeitig auch die Quote. Ich war die erste Frau in der Bundestarifkommission, die aus der Mitgliedschaft entsendet wurde. Mit ver.di-Gründung wurde die Quotierung dann schon anders – und ver.di zur ersten Gewerkschaft, die "Gender" in ihren Statuten verankerte.
Wie arbeitet der Bezirksfrauenrat?
Jährlich machen wir drei bis vier Frauentreffs. Und seit 15 Jahren haben wir ein monatliches Netzwerktreffen betrieblicher Interessensvertreterinnen in München und Region. Wir vernetzen uns mit den DGB-Frauen und agieren in Bündnissen. Zudem machen wir bei "Radio Lora" eine regelmäßige Sendung mit Frauenthemen.
Bei welchen Themen gibt es Konflikte?
Die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich fordern die ver.di-Frauen schon lange. Sie ist keine offizielle Forderung von ver.di, aber wir halten sie für extrem wichtig, um Beruf und Leben unter einen Hut zu bringen – und auch, um die Care-Arbeit gleichberechtigt aufteilen zu können. Wir stehen vor einer Transformation der Arbeitswelt durch die Digitalisierung. Diese soll nicht nur mehr Wachstum bringen. Die Entwicklung der Produktivkraft soll bei uns Menschen landen, die arbeiten. Die Ressourcen unserer Welt, auch unsere eigenen, sind endlich. Wir müssen sie sozialökologisch gestalten.
Ihr habt auch die Altersarmut auf der Agend a .
Altersarmut ist vornehmlich weiblich. Die Ursache hierfür können Minijobs, Befristungen oder die Teilzeitfalle sein. Durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse verdienen Frauen auch in München deutlich weniger als ihre Kollegen. Der Mindestlohn von 12 Euro ist jetzt ein wichtiges Zeichen. Eine echte Reform erleben wir aber auch mit diesem Koalitionsvertrag wieder nicht: Mini- und Midijobs werden ausgebaut und nicht abgeschafft.
Weshalb ist der Internationale Frauentag wichtig?
Viele Fragen von vor 110 Jahren sind nach wie vor aktuell. Es gibt immer noch Gewalt an Frauen, wir sind immer noch nicht gleichberechtigt, haben keine gleichen Löhne. Wir fordern die Besteuerung von jeglicher Stunde Arbeit ab dem ersten Euro, damit beispielsweise Minijobs Geschichte sind. Leider ist bei den Koalitionsverhandlungen da kaum etwas rumgekommen. Ein großer Wurf für Familien war es wieder nicht. Manche Schikane bleibt aus meiner Sicht erhalten. Wir warten auf wichtige Signale der neuen Frauenministerin. Auch deshalb bleibt der Internationale Frauentag wichtig.
Wie setzt du persönlich deine Schwerpunkte?
Ich schaue, was ich ungerecht finde, und überlege, wie dies zu verändern ist. Neben Paragraphen gibt es auch immer mal wieder kreative Wege, etwas zu erreichen. Mich motiviert, dass es Gleichgesinnte gibt, vor allem in der männerdominierten Arbeitswelt der Druckindustrie, aus der ich komme. Gewerkschaft heißt für mich, Ungerechtigkeit zum Thema zu machen und Verbündete zu suchen: In München haben wir uns am Bündnis "Superreiche zur Kasse für die Kosten der Krise" beteiligt und beim Street-Life-Festival und dem Isar-Inselfest auf die Altersarmut von Frauen aufmerksam gemacht.
Dein persönliches Highlight?
Der Kampf um die 35-Stunden-Woche in einer Druckerei, in der ich in den 1980ern arbeitete. Oder später: Die Arbeitgeber hatten den Manteltarif gekündigt und wollten den Samstag zum normalen Arbeitstag ohne Zuschläge deklarieren. Sogar die unorganisierten Kolleg*innen sind unserem Streikaufruf gefolgt. Und: Wir hatten Erfolg. Zuletzt hat mich vergangenes Jahr beim Frauentag begeistert, mit über tausend Teilnehmerinnen zu demonstrieren. Das war richtig toll und soll auch dieses Jahr wieder großartig und kämpferisch werden.