Endlich gefunden

Süddeutsche Zeitung, 27. Januar 2022

Es wäre naheliegend, sich über diese Personalie ein wenig zu mokieren: Da liebäugelt ein erfahrener Gewerkschaftschef wochenlang öffentlich mit einem Wechsel an die DGB-Spitze, und als er an Machtkämpfen scheitert, bekommt den Job ausgerechnet seine Lebensgefährtin. Yasmin Fahimi wird im Mai Nachfolgerin von Reiner Hoffmann als Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbunds – und eben nicht ihr Partner Michael Vassiliadis, der Vorsitzende der Chemiegewerkschaft IG BCE. Jede Aufregung über Postengeschacher aber griffe viel zu kurz, Fahimi hat den Rückhalt von allen acht Mitglieds-Gewerkschaften, nicht bloß von den Chemieleuten. Und sie hat ihn zu Recht: Als DGB-Chefin ist sie nicht nur eine gute, sie ist eine exzellente Wahl.

Nach Berliner Vorbild

junge Welt, 22. Januar 2022

Verdi will noch eins draufsetzen. Bereits die Tarifbewegung für Entlastung der Berliner Krankenhausbeschäftigten im vergangenen Jahr hatte mit wochenlangen Streiks und Tausenden Beteiligten eine bis dato nicht gekannte Dimension. 2022 soll alles noch größer werden: In Nordrhein-Westfalen fordert die Gewerkschaft die Universitätskliniken in Aachen, Bonn, Düsseldorf, Essen, Köln und Münster gleichzeitig dazu auf, über mehr Personal und Entlastung zu verhandeln. Sollte das innerhalb von 100 Tagen – bis zum 1. Mai – nicht geschehen, steht vor der Landtagswahl am 15. Mai ein heftiger Arbeitskampf an. Schon der Start war beeindruckend.

Sie fürchten sich

n-tv, 21. Januar 2022

Den Arbeitgebern geht es nicht um ein paar Cent mehr für ihre Produkte. Sie fürchten um ihre Macht bei künftigen Tarif-Pokern. Mehr noch: Sie sehen die Verhandlungen in Gänze gefährdet, wenn die Politik weiterhin Lohnniveaus vorgibt. Bislang war es so, dass Arbeitgeberverbände sich mit Gewerkschaften aufmerksamkeitswirksam zofften. Bis zu einer Einigung zogen Wochen ins Land. Es kam zu Streiks. Am Ende hatten beide Seiten das Gefühl, dass hart gerungen und das bestmögliche Ergebnis erzielt wurde. Um Mindestlöhne zu vereinbaren, wurde sogar eine unabhängige Mindestlohnkommission ins Leben gerufen. All das droht mit der von der Bundesregierung verordneten neuen Untergrenze von 12 Euro zur Makulatur zu werden. Die Furcht vor Inflation und Arbeitsplatzabbau ist vorgeschoben. Mit Blick auf künftige Tarifverhandlungen fürchten die Arbeitgeber um ihre Macht.

Verpasste Chance

Handelsblatt, 18. Januar 2022

Die Verbesserungen beim Betriebsverfassungsgesetz waren 1972 enorm [...] Dennoch benötigt nach 50 Jahren auch das Betriebsverfassungsgesetz eine Runderneuerung, weil es die heutige Arbeitswelt nicht mehr zeitgemäß abbildet. [...] Die Ampelparteien haben im Koalitionsvertrag vieles vereinbart, um gute Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche, klimagerechte Zukunft der deutschen Wirtschaft zu schaffen. Die Politik will die anstehenden Veränderungen durch regionale Strukturpolitik und mit Qualifizierungsoffensiven flankieren. Gewerkschaften, Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten und Betriebsräte wollen und müssen an diesem Umbau beteiligt werden. [...] Im Koalitionsvertrag steht deshalb ganz richtig: "Die sozial-ökologische Transformation und die Digitalisierung kann nur mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wirksam gestaltet werden." Leider folgen diesem grundsätzlichen Bekenntnis nicht die notwendigen Vorschläge für eine Weiterentwicklung des Betriebsverfassungsgesetzes. Das ist eine verpasste Chance.