Seit Ende vergangenen Jahres und insbesondere mit dem Überfall der russischen Armee auf die Ukraine steigen die Energiepreise immer weiter in die Höhe. Preissteigerungen, die insbesondere Haushalte mit niedrigem Einkommen stark belasten. ver.di fordert deshalb eine schnelle Entlastung durch eine zeitlich befristete Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Strom und Gas sowie einen Sofortbetrag zur Abfederung der stark gestiegenen Energiekosten in Form von mehreren Hundert Euro pro Kind mit ähnlichen Zahlungen an Grundsicherungsempfänger*innen und Menschen mit durchschnittlichen und niedrigen Renten. Energiegeld-Forderungen gibt es schon länger, allerdings muss zwischen kurzfristiger Entlastung aufgrund von aktuellen Energiepreissteigerungen und der mittelfristigen Einführung eines flächendeckenden Energiegelds unterschieden werden.

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Harm-Berend Wiegmann ist persönlicher Referent des ver.di-Vorsitzenden, bis Ende 2021 war er Referatsleiter Ver- und Entsorgungspolitik beim ver.di-BundesvorstandFoto: privat

Die Idee des Energiegelds kommt ursprünglich aus der Debatte um die CO₂-Bepreisung. Dabei sollen Kraftstoffe im Verkehr sowie Öl und Gas zum Heizen teurer werden, um eine ökologische Lenkungswirkung anzureizen: Investitionen in Gebäudedämmung, effizientere Heizungen, Elektroautos und generelle Verhaltensänderungen, wie der Umstieg auf Bus und Bahn. Das Konzept ist nicht ganz unproblematisch, da es vor allem Haushalte mit niedrigem Einkommen trifft. Zudem sind die Voraussetzungen für eine Umstellung des Verhaltens oder private Investitionen nicht immer vorhanden. Menschen, die in Mietwohnungen leben, haben in der Regel kein Mitspracherecht über Investitionen in Heizung und Gebäudehülle. Und Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten, können oft nicht auf Bus und Bahn umsteigen, weil diese schlichtweg nicht existieren. Deshalb muss eine stärkere CO₂-Bepreisung immer mit staatlichen Investitionen und Förderprogrammen auf der einen Seite und einem sozialen Ausgleichsmecha- nismus auf der anderen Seite begleitet werden.

Als sozialen Ausgleich für den CO₂-Preis sahen viele Konzepte vor, das Geld vollständig oder teilweise an die Verbraucher*innen zurückzuzahlen. Beispielsweise über die Senkung des Strom-Aufpreises für die Förderung erneuerbarer Energien, die sogenannte EEG-Umlage, oder über einen Betrag, der pro Person zurückgezahlt wird. Die Ampelkoalition plant, die EEG-Umlage zur Mitte des Jahres abzuschaffen und stellt in ihrem Koalitionsvertrag die Einführung des Energiegeldes in Aussicht. Dafür müssen jedoch noch die Voraussetzungen geschaffen werden. Denn aktuell besteht in Deutschland noch nicht die Infrastruktur, jedem Haushalt pro Person flächendeckend einen Betrag auszuzahlen. Eine neue Studie der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer zeigt auf, wie ein entsprechendes Register eingeführt werden kann. Nichtsdestotrotz ist eine kurz-fristige Einführung eines solchen Energiegelds nicht zu erwarten.

Das Energiegeld muss so konzipiert sein, dass Haushalte mit geringerem Einkommen stärker entlastet werden.

Es gibt jedoch gute Gründe für ein Energiegeld und die Infrastruktur jetzt aufzubauen – insbesondere dann, wenn es richtig ausgestaltet ist. Zum einen wird der CO₂-Preis – unabhängig von aktuellen Energiepreissteigerungen – in den kommenden Jahren ansteigen. Das "Brennstoffemissionshandelsgesetz" sieht einen Pfad von heute 30 Euro pro Tonne CO₂ auf 55 Euro im Jahr 2025 vor. Ab 2026 und in den Jahren danach soll sich durch den CO₂-Zertifikatehandel ein Marktpreis bilden, der ebenfalls steigende Energiepreise nach sich ziehen kann. Mit der Rückgabe der Einnahmen aus dem CO₂-Preis würde sich auch das Energiegeld anpassen und auf starke CO₂-Preisanstiege reagieren. Wichtig ist hierbei die Ausgestaltung. Das Energiegeld muss so konzipiert sein, dass Haushalte mit geringerem Einkommen stärker entlastet werden.

Mit einem funktionierenden Energiegeld würde sich auch der Instrumentenkasten für soziale Entlastungen bei Energiepreissteigerungen erweitern. Dies könnte gerade jetzt kurzfristig sinnvolle Entlastungen schaffen. Aktuell steigen Energiepreise sehr viel schneller als der Anstiegspfad für den CO₂-Preis vorsieht. Gerade deshalb gilt auch hier das Gleiche wie beim CO₂-Preis: Investitionen und Förderprogramme zum Umstieg müssen die Preissteigerungen begleiten. Das Energiegeld kann so zusammen mit anderen Entlastungsmechanismen eine wichtige Stellschraube für den sozialen Ausgleich werden.