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Ob das Kind mit der Lupe sieht, dass wieder eine Erzieherin fehlt?Foto:Daniel Reinhardt/ / dpa

In einer Kita in Tonndorf arbeitet Claudia A., Krippenerzieherin, zuständig seit sieben Jahren für die ganz Lütten bis 3 Jahre. Seit insgesamt 27 Jahren arbeitet sie bei den Elbkindern, dem größten Träger Hamburgs. Sie liebt ihren Job, auch wenn das ständige Tragen der Kleinen, die gebückte Haltung und auch der Lärmpegel – vergleichbar einem Düsenjet am Ohr – eine Belastung darstellen.

"Meine Arbeit in der Krippe umfasst nicht nur füttern, wickeln, nach dem Essen waschen, kuscheln und bei Bedarf umziehen. Wir verstehen uns auch schon bei den Kleinsten als Bildungseinrichtung", sagt sie. Täglich werden den Kindern verschiedene kreative, musische oder Sprachangebote gemacht, wetterunabhängig wird draußen gespielt.

Dazu komme die Arbeit mit den Eltern: regelmäßige Elterngespräche, Elternnachmittage, Bastelnachmittage mit Eltern und Kindern und zur Vorbereitung auf Gespräche das Führen von Dokumentationsbögen, Eingewöhnungstagebüchern und Portfolios. Wenn die Eltern Unterstützung bei der Erziehung ihres Kindes brauchen, gehört zu ihrer Arbeit auch der Kontakt zum Amt für Soziales oder zu Beratungsstellen und Therapeut*innen.

"Eines der größten Probleme – nicht nur bei den Elbkindern – ist das fehlende Fachpersonal", sagt Claudia. Auf dem Papier ist in der Krippe eine Erzieherin für vier Kinder verantwortlich. Die Realität sieht aber anders aus. Urlaube, Fortbildungen – bei den Elbkindern verpflichtend –, Vorbereitungszeit und Krankheiten werden dabei nicht berücksichtigt.

Die stetig steigenden Anforderungen seitens der Träger und auch der Eltern sind belastend. Kolleg*innen gehen in Rente, Nachwuchs ist schwer zu finden – nicht zuletzt, weil Berufseinsteiger*innen immer häufiger feststellen, dass der Job anstrengender ist, als gedacht – und schnell wieder aufgeben. Für die Verbleibenden heißt es: Zähne zusammenbeißen und es die Kinder nicht spüren lassen, dass da jemand fehlt, sagt Claudia. Mit Überstunden werden dann die Dienste abgedeckt. "Das Motto ist: Die Zeiten sind schlimm, aber gemeinsam sind wir stark", so die Krippenerzieherin.

24 Stunden am Tag

Fehlendes Personal ist auch bei "Leben mit Behinderung Hamburg" (LmBHH) eines der größten Probleme, sagt die Betriebsratsvorsitzende Christine Rapp. Die Situation beschreibt sie als "zunehmend dramatisch". Freie Stellen, die einrichtungsbezogene Impfpflicht, Corona und Langzeiterkrankungen: "Wir sind alle sehr erschöpft."

Die Herausforderungen bei LmBHH liegen auf verschiedenen Ebenen. Zum einen wird im Schichtdienst gearbeitet, 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche, 365 Tage im Jahr. Die Arbeit erfordert ein hohes Maß an Qualifizierung und Reflexion, Zeit und Raum, der in dem erforderlichen Maß in den Leistungsvereinbarungen nicht vorgesehen ist. Aber auch die direkte Arbeit mit Klient*innen mit einem vielschichtigen Unterstützungsbedarf hinsichtlich körperlicher und psychischer Anforderungen ist ebenso vielfältig wie der Anspruch der Angehörigen bezüglich der zu erbringenden Leistungen. "Das geht oft über die Möglichkeiten hinaus", so Rapp.

Zukunft gestalten

Mehr Personal in allen Bereichen des Sozial- und Erziehungsdienstes, bessere Arbeitsbedingungen und mehr Gehalt fordert deshalb ver.di. "In diesem Bereich wird die Gesellschaft zusammengehalten und die Zukunft gestaltet. Wir wollen mehr Qualität, um die nötige Arbeit besser ausführen zu können und auch zukünftig gute Fachkräfte zu bekommen", sagt ver.di-Gewerkschaftssekretär Michael Stock. Für ihn ist der soziale Bereich ein Spiegelbild der Gesellschaft.

In Hamburg bekommen langjährig Beschäftigte, die in den Endstufen eingruppiert sind, in der Entgeltgruppe S8b über 300 Euro weniger als vergleichbar eingruppierte Kolleg*innen im Umland. "Da muss sich künftig etwas ändern", verweist Stock auf ein besonderes Problem der Großstadt. Bei Leben mit Behinderung Hamburg gebe es konkret den Wunsch nach allgemeiner Aufwertung der Arbeit, beschreibt Christine Rapp die Situation in der jetzigen Tarifrunde. Entlastung ist ein großer Wunsch der Beschäftigten, höhere Anerkennung der Schwere der Arbeit und höhere Vergütung allgemein. "ver.di hat in den vergangenen Jahren von innen und außen den Blick auf die Branche Behindertenhilfe, Teilhabe- und Inklusionsdienste gerichtet. Dafür bin ich wirklich dankbar", sagt Rapp. Sie erwartet, dass die Sozialbehörde zur Kenntnis nimmt, dass es die Umsetzung von Menschenrechten nicht für lau gibt. Daher müsse sich die Behörde auch im Bund dafür einsetzen, dass man für den gesellschaftlichen Auftrag Inklusion gute Arbeitsbedingungen schafft – damit auch mehr junge Menschen diesen Beruf ergreifen.

Für ver.di und die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst ist die Zeit mehr als reif, um nach den Aufwertungsrunden 2009 und 2015 die Situation in den sozialen Berufen weiter zu verbessern. "Gerade die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig diese Bereiche sind", ergänzt Michael Stock. Für einen Erfolg in dieser Frage seien auch Aktionen und Streiks nötig, sagt er. Nur so bekomme man die nötige Aufmerksamkeit und könne den Druck darstellen, der allerorts herrsche. "Das Thema geht die gesamte Gesellschaft an – wir zählen daher auf eine breite gesellschaftliche Unterstützung", so der Gewerkschafter.

Tarifverhandlungen für 25.000 Beschäftigte

Die Tarifverhandlungen im Sozial- und Erziehungsdienst im Tarifbereich Öffentlicher Dienst kommunal laufen – es geht um die Beschäftigten in der frühkind- lichen Bildung (allein 13.000 als pädagogisches Personal in den Kitas), in Schulen, in der Sozialarbeit und in der Behindertenhilfe. Mehr als 25.000 hoch engagierte Menschen in den Hamburger Einrichtungen sind mittelbar oder unmittelbar von den Tarifauseinandersetzungen betroffen