Elektro-Autobauer Elon Musk will für rund 44 Milliarden Dollar die Social-Media-Plattform Twitter kaufen. Ob ausgerechnet Musk der Retter der Meinungsfreiheit ist oder deren größte Bedrohung darstellt, sei dahingestellt. Wir tänzeln dabei nämlich nur um das eigentliche Problem herum: Dass unsere Öffentlichkeit, also Social Media, aber auch klassische Medienkonzerne – dort, wo Information ausgetauscht wird und demokratischer Diskurs stattfindet – im Besitz von wenigen Konzernen und Milliardären ist. Die Öffentlichkeit ist im Privatbesitz. Das Magazin Time wurde von Milliardär Marc Benioff gekauft, Le Monde von Milliardär Xavier Niel, The Washington Post von Amazon-Gründer Jeff Bezos, ebenfalls Milliardär. Die Reihe ließe sich fortsetzen. Die zehn größten Verlage in Deutschland haben über 57 Prozent der Auflage des Tageszeitungsmarktes. Bei den Kaufzeitungen machten die fünf größten Verlagsgruppen 2018 gar 99,6 Prozent aus. Welche diskurszerstörende Macht ein Konzern haben kann, sehen wir oft beim Axel Springer Verlag, insbesondere bei BILD. Bei Social-Media-Plattformen ist es ähnlich. 92,38 Prozent der Marktanteile nach Seitenaufrufen von Social-Media-Plattformen bis März 2022 lagen auf Plattformen von Alphabet (Google), Meta (Facebook) und Twitter. Ein paar wenige Menschen "besitzen" den Großteil der Kommunikationswege. Es muss nicht mal Missbrauch stattfinden – da stehen systematische Probleme dahinter.

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Thomas Laschyk ist Autor und Mitbegründer der VolksverpetzerFoto: Ylva Bintakies

Für Unternehmen ist das Hauptziel in der Regel Profit. Das ist nicht verwerflich. Man muss sich nur fragen, ob unsere öffentliche Kommunikation Marktmechanismen unterworfen werden sollte. Fake News sind nämlich feature (Funktion), kein bug (Fehler). Ex-US-Präsident Donald Trump hat enorm viel Interaktion und Öffentlichkeit für Twitter geschaffen. Man schätzt, allein er hat Twitter damit zwei Milliarden Dollar eingebracht. Traffic ist Geld. Fakes sind Traffic. Und völlig abgesehen davon, ob Musk jetzt wegen falsch verstandener Meinungsfreiheit Trump wieder auf Twitter lügen lässt oder Mehrheitsgesellschafter des Ippen-Verlags die bedeutende Recherche über damals-noch-BILD-Chef Reichelt stoppt: So eine Schere passiert im Kopf. Wer glaubt, in der Washington Post erscheint regelmäßig heftige Kritik an Amazon? Wenn ein Autohersteller in einer Zeitung wirbt, wird diese Zeitung vorsichtiger mit Kritik. Selbst wenn sie fair und richtig ist, kann der Werber halt irgendwann zur Konkurrenz gehen, die ihn nicht kritisiert.

Die Pläne von Elon Musk treffen auf eine noch immer lasche Regulierung.

Aber was, wenn dem Autohersteller die Plattform gehört? Ja, Musk will auch "seine größten Kritiker" dort lassen. Darf ich aber dort auch eine Anti-Tesla-Kampagne laufen lassen? Darf man ungestört über Gewerkschaften bei Tesla twittern? Was, wenn China auf Musk Druck ausübt, Kritik an Uiguren zu zensieren und mit der Enteignung seiner dortigen Tesla-Fabrik droht? Selbst wenn nicht Marktmechanismen die Bedingungen stellen, demokratisch oder frei von persönlichen Vorurteilen ist die Kontrolle einer einzelnen Person nicht. Alternativen? Staatliche Plattformen zum Beispiel bringen auch viele Gefahren. Ein "Fact-check-Ministerium" klingt eher dystopisch als nach einer Lösung. Wir brauchen nicht erst nach China zu schauen, aber darf ich auf einer staatlichen Plattform weiter genauso frei die Regierung kritisieren? Klar, mehr Förderung von offenen und dezentralen Strukturen, aber wie?

Wir brauchen wohl erst mal mehr demokratisch legitimierte Regulierung. Wie den "Digital Services Act", jüngst von der EU beschlossen. Man kann gegen Löschungen rechtlich vorgehen und teilweise Einsicht in die Algorithmen bekommen. Nicht viel, aber ein richtiger Schritt. Man muss dringend die Plattform-Oligopole, die Marktbeherrschung durch einige wenige Anbieter, verhindern. Weder Marktmechanismus noch Algorithmus sind an sich demokratisch – egal, wie man sie bewertet.

Der Twitter-Kauf ist ein prominentes Beispiel. Und Musk vielleicht sogar besonders problematisch. Es ist aber eben nur ein Symptom. Man braucht nur viel Geld, und man kann sich Einfluss auf den Diskurs kaufen. Sogar die Plattform, auf dem dieser Diskurs stattfindet. Und kann die Regeln nach eigenem unregulierten Willen ändern. Das ist keine Demokratie. Elon Musks Pläne zur Meinungs-freiheit treffen nicht nur auf eine noch immer lasche Regulierung, sondern auch auf zunehmende Autokratisierung. Das wahre Problem ist, wie wir unsere Öffentlichkeit in den Händen immer weniger konzentrieren und gleichzeitig zu wenig gegen die systematischen Unzulänglichkeiten dieses Systems regulativ vorgehen.