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"Klimawende braucht soziale Akzeptanz." Conny BöttgerFoto: CHRISTIAN BARTSCH

ver.di publik: Greenpeace unterscheidet sich als NGO vermutlich von anderen Betrieben. Welche Herausforderungen ergeben sich für euch beim Thema Arbeitsgestaltung und Umweltschutz?

Conny Böttger: Greenpeace lebt in starkem Maße von ehrenamtlichem Engagement, der Greenpeace e.V. ist aber auch ein Arbeitgeber mit mittlerweile rund 400 Festangestellten. Im Haus gibt es Mitbestimmung, aber keine Betriebsdemokratie. Und so gleichen viele Probleme, die wir als Interessenvertretung anzugehen haben, denen in anderen Betrieben.

Denkst du an etwas bestimmtes?

Etwa die Frage nach dem Arbeitsort. Es ist uns gelungen, auf der Basis betrieblicher Umfragen und nach harten Verhandlungen mit der Geschäftsführung eine Betriebsvereinbarung mit einem Recht auf Homeoffice durchzusetzen. Wer will, kann bis zu 50 Prozent der Arbeitszeit mobil arbeiten – der Wunsch der Belegschaft war allerdings ein unlimitierter Anteil mobiler Arbeit, abgestimmt innerhalb der Teams. Damit stehen wir vor der Herausforderung, die individuellen Gestaltungswünsche der Beschäftigten so abzusichern, dass der Zusammenhalt der Belegschaft nicht gefährdet, sondern nach Möglichkeit gefördert wird. Ich denke, wir müssen in dieser Frage neue Balancen zwischen individuellen Ansprüchen und kollektiven Vereinbarungen finden. Aus meiner Sicht hat das Gute-Arbeit-Konzept von ver.di dazu eine praktikable Programmformel: Durchsetzung subjektiver Gestaltungsrechte der Beschäftigten in Sachen Arbeitsbedingungen auf der Basis von Kollektivvereinbarungen und Sozialrechten.

Umwelt- und Klimaschutz brauchen eine sozialpolitische Agenda – wie muss die aussehen und was sollten Gewerkschaften wie ver.di dazu beitragen?

Wir müssen alles daran setzen, dass das ökologische und das soziale Prinzip nicht gegeneinander ausgespielt werden. Für jede Umweltmaßnahme ist eine Sozialverträglichkeitsprüfung vorzunehmen, wie umgekehrt in allen relevanten wirtschaftlichen und politischen Belangen Umweltverträglichkeitsprüfungen nötig sind, finde ich. Um es an einem Negativbeispiel deutlich zu machen: Beim 9-Euro-Ticket im ÖPNV hätte es eine Folgenabschätzung für die Arbeitsbedingungen der ÖPNV-Beschäftigten und der Berufspendler geben müssen.

Wie kann man gute Arbeit und Umwelt- und Klimaschutz gemeinsam besser voranbringen?

Wir sollten viel stärker herausstellen, dass dazu bereits einiges auf den Weg gebracht wurde. Ich denke an die Unterstützung, die ver.di in der Tarifauseinandersetzung beim ÖPNV durch Umweltgruppen erfahren hat. Vom BUND war jüngst ein Bekenntnis zur Gemeinwirtschaft und zum Ausbau sozialer Dienstleistungen inklusive Beteiligung der Beschäftigten zu hören. Foodwatch hat sich für die Erhöhung des Mindestlohns ausgesprochen, damit sich alle Menschen gesund ernähren können. Greenpeace hat gegen die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie protestiert. Ich denke auch an das gemeinsame Arbeitspapier von ver.di, Fridays for Future und #unteilbar für Gute Arbeit und Klimaschutz, über das die ver.di publik berichtet hat. Ich stelle fest, dass viele in der Gewerkschaft, einschließlich des Vorsitzenden, auf dem Kurs sind: "Zivilgesellschaft für Gute-Arbeit-Ziele gewinnen, Bündnisse schließen". Aus meiner Sicht sollte es auf diesem Weg weitergehen.

Ökosozialer Umbau mit Gewerkschaftsmacht

Wenn es uns ernst ist mit dem ökosozialen Umbau, dann können wir kollektive Interessenvertretung nicht nur auf den einzelnen Betrieb beziehen, dann muss sie auch via Gewerkschaftsmacht als ein soziales Prinzip gesamtgesellschaftlich wirksam werden. Der Nutzen muss heutzutage allerdings auch den Beschäftigten immer wieder vor Augen geführt werden.

"Den Umweltschutz als Erfordernis des Humanismus verstehen, die Humanisierung der Arbeit als ein ökologisches Prinzip" – was heißt das genau für dich?

Es hat sich ja eingebürgert, von "Klimaschutz" und "Arbeitsschutz" zu sprechen, also Wörter zu verwenden, die nicht zu erkennen geben, dass wir dabei Menschen schützen wollen. Also müssen wir dies immer wieder deutlich machen. Der Satz, den du zitierst, richtet sich sowohl gegen jene Fraktion von Umweltschützer*innen, die meinen, eine Welt ohne Menschen sei das beste für Natur und Klima – der Mensch als Störenfried der Schöpfung – als auch gegen Strategien des Human-Ressource-Managements, die letztlich doch nur ein funktionalistisches Verhältnis zu den Arbeitenden haben. Ich meine Arbeitsqualität ist Lebensqualität, die Arbeitsbedingungen sollen so gestaltet sein, dass die Beschäftigten ihre Persönlichkeit weiterentwickeln können.

Wo können Gewerkschaften noch nachsteuern, damit die beiden Themen konsequent zusammen gedacht und gemeinsame Lösungen gefunden werden?

Die Zusammenarbeit mit Ökoverbänden suchen oder verstärken, ohne die Differenz in den Aufgabenstellungen zu verwischen. Den Gemeinwohl- und Umwelteffekt guter Arbeitsbedingungen stärker herausstellen. Den Strukturwandel in einer ökosozialen Dienstleitungsperspektive auch mit eigenen Ideen fördern, so etwa im Tourismus, Verkehrssektor, Gesundheitswesen, in der Stadt- und Landschaftspflege. Das Präventionsprinzip gegen das Marktprinzip offensiv in Stellung bringen. Und, nicht zuletzt: Sich daran erinnern, dass Gewerkschaften NGOs sind und damit nicht nur als Ordnungs-, sondern auch Gegenmacht fungieren sollten.

Immer neue Hürden

Allerdings werden schon wieder fossile Wege beschritten – und demnächst wird man uns wahrscheinlich auch noch den Kauf von Rheinmetall-Aktien als ethisches Investment anpreisen. Aber, abgesehen vom Allzu-Aktuellen, bereiten Kurzfrist- und Silodenken Schwierigkeiten. Ich bin aber überzeugt, dass selbst eng denkende Umweltaktivist*innen einsehen können, dass die Klimawende nur gelingen wird, wenn sie soziale Akzeptanz findet – mit ökodiktatorischen Mitteln wird man nicht weit kommen. Von der anderen Seite her wäre es absurd, wenn wir uns in den Betrieben um gute Arbeitsbedingungen kümmern, aber ignorieren würden, wenn die Beschäftigten als Konsumentinnen und Konsumenten und Verkehrsteilnehmende in ihren Lebenswelten durch umweltpolitisches Versagen der Unternehmen Schaden nehmen. Und das heißt: Das Recht auf Gute Arbeit wäre unvollständig, wenn es nicht durch eine Pflicht zu einer umweltgerechten Produktionsweise ergänzt würde.

Mein Ansatz wäre, dass wir den ökosozialen Umbau als ein Projekt der Gemeinwohlorientierung kommunizieren und gestalten. Um die Lebensgrundlagen und die Daseinsfürsorge zu sichern, muss der Gedanke der Prävention in Arbeits-⁠, Gesundheits-, Klima- und Umweltschutz handlungsleitend sein, und das erfordert den Ausbau der Gemeinwohlorientierung und nicht die Entfesselung von Marktmechanismen.