Beschäftigte, für die ein Tarifvertrag gilt, haben generell bessere Bedingungen als ohne Tarifvertrag. Sind seit 2000 die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer*in in Deutschland lediglich um 47 Prozent gestiegen sind, so wuchsen die Tariflöhne um 60 Prozent. Zudem werden in Tarifverträgen auch andere vorteilhafte Regelungen getroffen, wie etwa Urlaub, Kündigungsschutz, betriebliche Altersversorgung, Corona-Prämien oder wie zuletzt die Aufstockung des gesetzlichen Kurzarbeitergeldes auf 90 oder gar 100 Prozent des Nettolohns während des Lockdowns.

Doch das alles fällt nicht vom Himmel. Es sind die Mitglieder der Gewerkschaft, die die tarifvertraglichen Erfolge, teilweise mit Streik, möglich machen. Und im Prinzip gelten sie auch nur für sie. Doch die Arbeitgeber gewähren in der Praxis allen Beschäftigten die Regelungen des Tarifvertrags. Das schmälert für viele Menschen den Anreiz, Gewerkschaftsmitglied zu werden, denn sie profitieren davon, ohne etwas dafür tun zu müssen. "Doch wenn alle Beschäftigten den bequemen Weg des Trittbrettfahrens wählen würden, dann gäbe es keine Tarifverträge mehr, und die Situation auf dem Arbeitsmarkt wäre für alle deutlich schlechter", sagt Norbert Reuter, Leiter der tarifpolitischen Grundsatzabteilung bei ver.di. Zudem können mehr Mitglieder auch noch bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen.

Stellvertretend seien hier ein paar Abschlüsse aus 2021 aufgeführt, die zeigen, dass große und kleine Erfolge möglich sind, auch wenn sich die Arbeitgeber anfangs sperren.

DB Direkt: Fast ein Jahr dauerte der Tarifkonflikt bei der DB Direkt, die für die Deutsche Bank zwei Call Center betreibt. In einer Urabstimmung entschieden sich die ver.di-Mitglieder für den unbefristeten Streik. Trotz der Pandemie gelang mit Online-Aktionen und Kommunikation im virtuellen Streikraum der Durchbruch. Nach zwölf Wochen Arbeitsniederlegung war der Abschluss geschafft: Er bringt nicht nur mehr Gehalt, sondern auch einen stufenweisen Aufbau des bislang fehlenden 13. Gehalts bis 2025. Ohne den Streik der vielen ver.di-Mitglieder wäre das nicht gelungen.

Sana Geriatriezentrum, Zwenkau: Ein Haus und ein Konzern bedeuten nicht automatisch auch gleiche Arbeitsbedingungen. In der Rehabilitationseinrichtung Sana Geriatriezentrum Zwenkau, einer Tochter der Sana Kliniken Leipziger Land, galt lange Zeit der Konzerntarifvertrag nicht für die Tochter. Die Unterschiede waren riesig. Obwohl die Beschäftigten im selben Gebäude arbeiteten, hatten sie bis zu 1.000 Euro weniger Entgelt bei einer 1,5 Stunden längeren Arbeitswoche. Das sahen sie nicht ein. Fast 70 Prozent der Kolleg*innen organisierten sich in ver.di und setzten den Grundstein für die Aufnahme von Tarifverhandlungen. Anfangs weigerte sich der Arbeitgeber, doch die Beschäftigten ließen nicht locker. Sie erkämpften sich eine Corona-Prämie in Höhe von 800 Euro und Entgeltsteigerungen von 14,35 Prozent. Zudem wird die Wochenarbeitszeit ab 1. Januar 2022 auf 39,5 Stunden reduziert. Das haben sie gut gemacht.

Veolia: Für die Beschäftigten in der Entsorgungswirtschaft der Veolia Ost Umweltservice konnte ver.di eine Tarifeinigung erzielen. Sie gilt laut einem Anerkennungstarifvertrag auch für die GERAER Umweltdienste sowie für einen weiteren Betrieb in Hoyerswerda. Gewerbliche Kräfte (Müllwerker*innen, Berufskraftfahrer*innen und Sortierkräfte) bekommen jetzt einen deutlich höheren Stundenlohn, Gewerbe- und kaufmännische Beschäftigte einen Sockelbetrag. Zudem bekommen ver.di-Mitglieder obendrauf eine Einmalzahlung in Höhe von 150 Euro und den Jahresbeitrag für 2022 und 2023 zur Gewerkschaftlichen Unterstützungseinrichtung für Verkehrsteilnehmer*innen, der GUV/FAKULTA. Etwas Besonderes ist auch der vereinbarte Pandemiefonds, aus dem jeder Beschäftigte bis zu 10.000 Euro Unterstützung beantragen kann, wenn er von 2020 bis Mitte 2021 durch die Pandemie soziale Härten erlitten hat, zum Beispiel durch Arbeitsausfälle von Eltern mit Kindern oder finanzielle Verluste aufgrund von Kurzarbeit.

Wie Azubis profitieren

Private Energiewirtschaft: Auch Auszubildende sollten die Auseinandersetzungen um gute Tarifverträge nicht nur den alten Hasen überlasen, denn auch sie profitieren deutlich. Für die Auszubildenden und für dual Studierende beim E.ON-Konzern können sich die Abschlüsse sehen lassen. Unter anderem gehört dazu die Ausstattung mit Mobiltelefonen und Laptop. Homeschooling ist während der Ausbildung tarifvertraglich geregelt: Für ausbildungsbezogene oder studienbezogene Fortbildungen gibt es mindestens zwei Tage pro Ausbildungsjahr. Die Mitgliedschaft in ver.di lohnt sich aber mindestens gleich doppelt, denn nur Gewerkschaftsmitglieder bekommen zusätzlich zwei volle bezahlte Tage für die Fort- und Weiterbildung. Also nichts mit Trittbrettfahren. Und noch eine gute Nachricht aus dem Energiebereich: Bei PreussenElektra wurde der Haustarifvertrag verbessert, vor allem aber wurde erreicht, dass exklusiv ver.di-Mitglieder, und wieder nur die, einmalig 550 Euro mehr bekommen, Auszubildende 175 Euro. Das hat sich doch gelohnt.

Pflegen & Wohnen Hamburg: Hier erreichten die Beschäftigten des größten privaten Anbieters von stationärer Pflege in Hamburg ebenfalls einen Abschluss, der sich sehen lassen kann mit Gehaltssteigerungen von 7,6 Prozent in zwei Jahren. Doch es ging nicht nur ums Geld: In Schicht- und Nachtdiensten Beschäftigte erhalten künftig bis zu zwölf Tage Zusatzurlaub. Das ist eine deutliche Entlastung für die Beschäftigten zusätzlich zu den 30 Tagen Erholungsurlaub, die ihnen zustehen. Gerade die Entlastungstage für Schichtdienste sind in der Pflege wichtig, denn während die Corona-Pandemie den Bedarf an Pflegekräften befeuert hat, fehlt in vielen Kliniken und Pflegeheimen Personal für die Pflege, sind die Beschäftigten deshalb überlastet. In Hamburg und auch andernorts setzen die Lohnerhöhungen und guten Tarifabschlüsse nun auch andere Heimbetreiber unter Druck, denn die müssen nachlegen, wollen sie ihr Personal langfristig halten.

Service-Tochter im Städtischen Krankenhaus Kiel: Für die Beschäftigten hat ver.di erreicht, dass sie bis zum 1. Januar 2024 den hundertprozentigen Anschluss zum Tarifvertrag im öffentlichen Dienst bekommen.