Der Himmel war blau, die Sonne strahlte und die Bahnsteige waren knackevoll. Es war der Sommer des großen Happenings, wir fuhren mit Kind, Kegel und Schlauchboot und gut geschmierter Butterstulle für 9 Euro zur Oma, an den See und in den Westerwald. Trostloser Bahnhofsbeton verwandelte sich umstandslos in lärmende Fröhlichkeit. Alle waren da – und noch viel mehr. Mit 9 Euro ging es zwar nicht um die Welt, aber souverän ins nahe und fernere Umland. Die größte Rabattaktion in der Geschichte des deutschen Bus- und Bahnverkehrs war ein Riesenerfolg. Mit 98 Prozent erreichte das 9-Euro-Ticket einen Bekanntheitsgrad wie Jesus Christus, 52 Millionen Tickets wurden verkauft. Genutzt haben sie mehr Frauen als Männer, mehr Junge als Alte, mehr Ärmere als Reichere. Der Öffentliche Nahverkehr, diese triste graue Maus, war plötzlich schwer cool und in aller Munde. Und die viel gescholtene Bundesbahn wuchs über sich hinaus, meisterte, wenn auch mit Mühe, den großen Ansturm.

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Manfred Kriener ist freier AutorFoto: Hermann Bredehorst;

Das Ticket war nicht nur ein Preishit, es war auch kinderleicht in der Anwendung. Schnell, einfach, überall verfügbar. Kein Grübeln mehr über den Tarif-Dschungel, sondern einmal gekauft und drei Monate lang unbeschwert gefahren. Das Wichtigste dabei war neben dem großen Spaßfaktor nicht die ohnehin schwer zu berechnende Klimawirkung, also die Einsparung von Treibhausgasen. Nein, es war die Wiederentdeckung der Busse und Bahnen von Millionen sonst abstinenter Menschen. Sie haben wieder reingeschnuppert in den Öffentlichen Nahverkehr. Im Duktus der Verkehrswissenschaft: Ihre Mobilitätsroutinen wurden durchbrochen. Statt Stau, Fahrstress und Todeskampf um die Parklücke plötzlich entspannte Blicke auf Wiese und Wald – ein wahrhaft heiterer Landaufenthalt.

Und jetzt? Nach schwerer Geburt ist die Politik mit einem 49-Euro-Ticket als Nachfolger niedergekommen. Es soll am Jahresbeginn 2023 starten. Es ist mehr als fünfmal so teuer. Und es gibt keine soziale Staffelung. Studierende, Schüler*innen, Rentner*innen oder Geringverdienende müssen den vollen Preis bezahlen. Eine soziale Nachschärfung wäre dringend notwendig. Die Akzeptanz, das haben Umfragen schon im Vorfeld gezeigt, sinkt dramatisch bei Preisen über 29 Euro. So bleibt es fraglich, ob es mit dem Nachfolgeticket gelingen wird, diejenigen einzufangen, die zuletzt während der Sommersause wieder öfter in Bus und Bahn eingestiegen sind.

"Es geht um die Frage, ob wir als Gesellschaft bereit sind, in zukunftsfähige Mobilitätskonzepte kräftig zu investieren."

Natürlich geht es auch um die Kosten. Bund und Länder haben heftig um die jeweils anteiligen Milliardenbeträge gerungen und bei Redaktionsschluss war die Finanzierung noch immer nicht ganz unter Dach und Fach. Es geht aber auch um die Frage, ob wir als Gesellschaft bereit sind, in zukunftsfähige Mobilitätskonzepte kräftig zu investieren. 3,13 Milliarden Euro hat der heftig umstrittene Tankrabatt gekostet, eine zusätzliche Subvention des Autos. Da sind die 1,5 Milliarden, die der Bund jetzt für das 49-Euro-Ticket ausgeben will, eher knauserig. Und noch eine Vergleichszahl: Die Dieselsubvention schlägt mit 8 Milliarden Euro zu Buche, vom Dienstwagenprivileg gar nicht zu reden.

Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, den Anteil des Öffentlichen Verkehrs bis 2030 auf klimafreundliche 38 Prozent zu puschen. Auch hier gilt: Bei der Ausrufung ehrgeiziger Ziele sind wir Weltklasse, bei der konkreten Umsetzung mit entsprechenden Maßnahmen eher Kreisklasse. Vom 38-Prozent-Ziel sind wir weit entfernt. Der motorisierte Individualverkehr, also das Auto, liegt noch immer unangefochten bei hohen 83 Prozent der Personenbeförderung. Die bitter nötige Verkehrswende hin zu mehr Bus, Bahn und Tram, zu Rad- und Fußverkehr zeigt in einigen Kommunen zwar erste Erfolge. Aber eine echte bundesweite Trendwende ist nicht in Sicht. Und wenn wir schon übers Geld reden: Ein Einzelticket im öffentlichen Verkehr ist in vielen deutschen Städten deutlich teurer als die Parkgebühr fürs Auto, sofern diese überhaupt erhoben wird.

Wir könnten jetzt das 49-Euro-Ticket als Schrittchen in die richtige Richtung begrüßen. Zumal Deutschlands Verkehrspolitik uns ohnehin nicht verwöhnt und in punkto Nachhaltigkeit zu den rückständigsten Ressorts gehört. Doch leider steht zu befürchten, dass der Schwung dieses Sommers komplett verloren geht und sich stattdessen eine Wintermigräne einstellt mit – bestenfalls – einem bisschen mehr Öffentlichen Nahverkehr. Und das ist entschieden zu wenig.