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Foto: Julian Röder/Ostkreuz

Esther Schüttpelz: Ohne mich

"Ich bin ein interessantes Hybrid zwischen kapitalistischem Arschloch und durchsetzungsstarker Zukunftsfrau", behauptet die namenlose Ich-Erzählerin dieses Romans selbstbewusst. Sie ist Mitte Zwanzig, frisch verheiratet und schon wieder frisch getrennt, und auch sonst besteht ihr Leben aus Widersprüchlichkeiten. Soll sie tatsächlich wie geplant ihr Jurastudium beenden oder doch lieber wie bisher die Nächte durchmachen? Soll sie eine typische Karriereanwältin werden oder besser aussteigen, Yoga machen, selbst komponierte Songs auf der Gitarre spielen? Vorübergehend entscheidet sich die junge Frau für beide Seiten: Sie kippt jede Menge Bier und Wodka, kifft und kokst, hat One-Night-Stands, versinkt tief in Münsteraner Clubnächten – und schafft es dennoch, irgendwie ihr Referendariat zu überstehen und einen gewissen bürgerlichen Schein zu wahren. Sie schlittert zwischen Spießigkeit und Rebellion, Anpassung und Ausbruch durch ihr Leben.

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Esther Schüttpelz hat einen schnellen, scharfsinnigen Roman voller Sprachwitz geschrieben. Das chaotische Leben der Studentin zeigt sie aus nächster Nähe und in origineller Sprache, wenn sie etwa notiert: "Der Wecker klingelt, wieso klingelt der Wecker, wir sind doch gerade erst eingeschlafen, und wieso tut alles so weh, aua, mein Kopf, wie spät ist es, Scheiße." Während die Hauptfigur weiter durch die Nächte taumelt und ihre Trauer über die gescheiterte Ehe mit Sex und Drogen verdrängt, reift in ihr die Erkenntnis, dass sie Hilfe braucht. Aber Hilfe ist das Letzte was sie will. Immerhin zieht sie für ein paar Tage zu ihren Eltern, zum Runterkommen, um zur Ruhe zu kommen. In ihrem Kopf rumort es: Soll sie sich endlich von allen weiblichen Abhängigkeiten befreien oder doch eher den Aufstieg in männliche Machtwelten anstreben, oder gar beides? Bringt ihr vielleicht eine Versöhnung mit dem Exmann Stabilität? Es bleibt kompliziert.

Ihre turbulente Geschichte erzählt Esther Schüttpelz lakonisch, lässig und leicht, und gleichzeitig mit kunstvoller Ironie und großem Sprachtalent. Es ist nicht leicht, eine Genreschublade für diesen Roman zu finden, der im Frühjahr mit dem Debütpreis der lit.Cologne ausgezeichnet wurde. Die Geschichte gleicht einer modernen Reflexion übers Frausein und ist gleichzeitig eine umwerfende Lovestory über das Jahr nach dem Ende einer großen Liebe. Lesenswert, zweifellos. Günter Keil

Diogenes Verlag, 208 S., 22 €

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Jonathan Escoffery: Falls ich dich überlebe

"Sag mal, bist du 'n Schwarzer oder 'n Latino?" "Ich bin Amerikaner." "Bullshit, kommst du aus Afrika oder aus Puerto Rico?" "Keins von beiden. Ich bin Amerikaner." "Quatsch, gib's zu, du bist Jamaikaner!" Solche Gespräche muss Trelawny immer wieder führen. Er ist zwar in Miami geboren, doch seine Eltern und sein Bruder kommen aus Jamaika. Seine Hautfarbe ist den Schwarzen zu hell und den Weißen zu dunkel. Die Folge: Trelawny gilt als Außenseiter, in der Highschool, im College und in Jamaika, wo er sich während eines Stipendiums aufhält. Der junge Mann passt sich immer wieder neu an und versucht alles, um den sozialen Aufstieg zu schaffen. Trotzdem scheitert er krachend. Immerhin bekommt er zwei Söhne, doch auch die reiben sich später an ihrer Herkunft. Jonathan Escoffery erzählt die furiose Familiengeschichte jamaikanischer Einwanderer mit vielen tragikomischen Momenten. Er berichtet von Widersprüchlichkeiten bei der Identitätssuche und schreibt über ethnische Zugehörigkeiten so humorvoll und gleichzeitig ernst, wie kaum ein anderer Autor. Ein Roman über die Verletzungen und Narben, die zwischen den Kulturen entstehen, und ein Buch, das für Verständnis sorgt. Günter Keil

Piper Verlag, Ü: Henning Ahrens, 288 S., 22 €

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Guillaume Paoli: Geist und Müll

Er war Propagandist der "Glücklichen Arbeitslosen", Hausphilosoph am Leipziger Centraltheater und erklärte dem deutschen Publikum die Gelbwestenbewegung. Aber eins war Paoli nach Einschätzung seiner Kritiker bislang nicht: ein sattelfester Theoretiker. Dem versucht der in Berlin lebende Franzose nun mit Geist und Müll zu begegnen, seiner philosophischen Untersuchung der schwer zu verstehenden Gegenwart mit der "Absicht, das Chaos chaotisch darzustellen". Dazu führt er Theoretiker, Wissenschaftler und Philosophen (außer Hannah Arendt alles Männer) an, bis man erst ganz rammdösig und schließlich depressiv wird. Denn zwar ist das Buch eine Abfolge kurzer Betrachtungen und zum Teil höchst amüsanter Geistesblitze, und dabei kriegt jeder von Politik bis Kultur sein Fett weg. Aber vor allem bringt Paoli den Wachstumskritiker Ivan Illich gegen Bruno Latour und dessen Rechtfertigung eines gottgewollten ewigen Fortschritts in Stellung. Nur wie die meisten Philosophen vor ihm hat auch Paoli viel Analyse – immerhin sehr scharfsinnige – zu bieten, aber keine Lösung. Der Ausweg aus der Misere, mit dem er uns schließlich allein lässt: Mit einer Flasche Schnaps am Strand den Weltuntergang erwarten.

Thomas Winkler

Matthes & Seitz Berlin, 268 S., 22 €