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Foto:Adam Bennie/Getty Images/iStock

52 Millionen Mal verkauft und ein Bekanntheitsgrad von 98 Prozent: Der große Erfolg des 9-Euro-Tickets im heißen Sommer 2022 hat der Politik Beine gemacht. Der Druck, ein Nachfolgeticket einzuführen, war gewaltig. Aber wie sollte es gestaltet werden und vor allem: Wie viel sollte es kosten? Mit fünf Monaten Verspätung gibt es nun – seit dem 1. Mai – das 49-Euro-Ticket, inzwischen gern als "Deutschlandticket" bezeichnet.

Das Deutschlandticket gilt – der Name sagt's – deutschlandweit im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) für alle Regionalzüge, für Bus, Tram, U- und S-Bahn. Es kostet "zum Einführungspreis" 49 Euro im Monat, das sind 588 Euro im Jahr, und ist im digitalen Abo per Chipkarte oder als App erhältlich, einige wenige Verkehrsbetriebe bieten das Ticket auch in Papierform an. Kündbar ist es monatlich.

Gedacht ist das Ticket als eine Art mobile eierlegende Wollmilchsau. So soll es die Deutschen angesichts gestiegener Preise nicht nur finanziell entlasten, sondern das Umsteigen vom Klimakiller Auto befördern und damit Umwelt und Klima schützen. Gleichzeitig könnten Image und Attraktivität des mausgrauen öffentlichen Verkehrs gesteigert werden. Auch durch das einfachere Reisen über Tarifgrenzen hinweg.

Zu teuer oder mega?

Beim Ticketpreis war in Umfragen eine Schmerzgrenze von 29 Euro ermittelt worden, die jetzt deutlich gerissen wird. Was über 29 Euro hinausgeht, hatte die Mehrheit der Befragten als zu teuer taxiert. Dennoch: 15 Prozent der Erwachsenen wollen das Deutschlandticket regelmäßig kaufen, wie eine Forsa-Umfrage ergab. 10 Prozent waren noch zögerlich, die übrigen Befragten sprachen sich dagegen aus.

49 Euro sind zwar immer noch ein attraktives Angebot, aber für den Berliner Verkehrsprofessor Andreas Knie ist das "zu teuer, um einen großen Durchbruch zu schaffen". Knie fordert ein grundsätzliches Umdenken: Der ÖPNV dürfe nicht länger als lästige Pflichtaufgabe betrachtet werden, als "Resterampe für Menschen, die keinen Führerschein haben". FDP-Verkehrsminister Volker Wissing, dem klimapolitisches Versagen vorgeworfen wird, lobt dagegen das Deutschlandticket in fast euphorischem Ton. Es sei "Fortschritt und Freiheitsgewinn" und habe "das Zeug, die Geschichte des ÖPNV komplett neu zu schreiben". Jetzt sei Schluss mit dem Rätselraten vor Ticketautomaten, "Schluss mit kompliziert".

Die immer wieder geforderte soziale Staffelung, Preisnachlässe für Schüler*innen, Studierende, Azubis, Arbeitslose und Rentner*innen, ist nicht vorgesehen. Inzwischen haben aber etliche Bundesländer in Eigenregie nachgebessert. Nach dpa-Recherchen wollen Bayern, Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Saarland sozial motivierte Preisnachlässe anbieten, wobei von Bundesland zu Bundesland jeweils andere Preismodelle favorisiert werden.

Kinder, Hunde, Fahrräder

Der Charme eines einheitlichen Tickets für ganz Deutschland ist damit ausgehebelt, zumal es auch unterschiedliche Regelungen für Kinder, Hunde und Fahrräder gibt. Für den geliebten Hund zum Beispiel verlangen die meisten Verkehrsverbünde ein Extraticket. Andere erlauben die kostenlose Mitnahme, aber nur in Transportboxen. Wieder andere begrenzen die kostenlose Mitnahme auf einen Hund und verlangen für jeden weiteren ein Zusatz-Ticket. Dann gibt es noch besonders tierliebende Unternehmen, in deren Züge alle Hunde umsonst mitreisen.

Die Mitnahme von Fahrrädern ist bei manchen Verkehrsverbünden im Deutschlandticket inbegriffen, manchmal aber nur zu bestimmten Zeiten umsonst. Die meisten Unternehmen verlangen dagegen ein Zusatzticket. Kinder bis sechs Jahre dürfen überall umsonst mitfahren, für ältere Kids gibt es teilweise Sonderregelungen. Fahrten im Grenzgebiet zum Ausland werden schwierig. Meist gilt das Ticket nur bis zur Landesgrenze, bei manchen Verkehrsverbünden aber bis zum ausländischen Endbahnhof. Ebenso unterschiedlich sind die Regelungen für Upgrades in die erste Klasse.

Der Verkaufsstart verlief nach ersten Trendmeldungen besser als erwartet. Der Verband deutscher Verkehrsunternehmen VDV rechnet mit 5,6 Millionen neuen Kundinnen und Kunden. Elf Millionen Bestandskunden, die meist eine Monatskarte haben, werden der Prognose des VDV zufolge auf das Deutschlandticket wechseln, die Ausgaben für die Monatskarte werden verrechnet. Zuwachs für Busse und Bahnen verspricht sich der VDV vor allem vom Jobticket. Mit einem Zuschuss der Arbeitgeber zahlen die Beschäftigten dann nur noch 34,30 statt 49 Euro im Monat für das Ticket.

Was bringt die ÖPNV-Flatrate fürs Klima und die Verkehrswende, wie hoch wird der Klimaeffekt ausfallen? Dazu gibt es höchst unterschiedliche Schätzungen. Schon beim 9-Euro-Ticket rätselte die Verkehrswissenschaft, ob das Ticket wirklich zum Umsteigen vom Auto motivieren konnte oder ob stattdessen zusätzlicher Freizeitverkehr ausgelöst wurde.

Klimaeffekt schwer abzuschätzen

Die vom Science Media Center zum Deutschlandticket befragten Wissenschaftler Mark Andor und Gernot Liedtke rechnen "nicht mit beträchtlich verringerten Mengen an CO₂" (Andor) bzw. nur mit "Einsparungen in der Größenordnung von einer Million Tonnen pro Jahr" (Liedtke). Der VDV blickt deutlich positiver in die Zukunft, warnt aber davor, allein mit dem Deutschlandticket die Klimaziele im Verkehr erreichen zu wollen. Daneben müsse es, wie im Koalitionsvertrag versprochen, eine "Ausbau- und Modernisierungsoffensive für ÖPNV-Systeme mit deutlicher Kapazitätsausweitung" geben. Der Essener Verkehrswissenschaftler Mark Andor fordert darüber hinaus, Privilegien des Autoverkehrs zu stutzen, um so den Verkehr klimafreundlich zu verlagern.

Das im Koalitionsvertrag angekündigte Ausbau- und Modernisierungspaket für den ÖPNV lässt indessen weiter auf sich warten. Die Ministerpräsidentenkonferenz hat es erst einmal auf 2024 verschoben. Hier zeigt sich die Kehrseite des Deutschlandtickets. Weil darin schon drei Milliarden Euro – Bund und Länder geben jeweils 1,5 Milliarden Euro – investiert wurden, tritt die Politik erst einmal auf die Bremse. Wird das 49-Euro-Ticket womöglich zum Alibi bei einer erneut ausbleibenden Verkehrswende? In jedem Fall ist es die größte Tarifreform in der Geschichte des ÖPNV.

Beim Sozialticket nachbessern

In einem Positionspapier bewertet ver.di Chancen und Risiken des Deutschlandtickets. Wir dokumentieren Auszüge:

Indem das Deutschlandticket die Kosten für eine regelmäßige Nutzung des ÖPNV auf einen Wert begrenzt, der erheblich niedriger ist als die Kosten für ein regionales Abonnement, senkt es insbesondere für Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen die Hürde, den ÖPNV zu nutzen.

Zugleich ist der aktuelle Preis zu hoch, gerade für Menschen mit sehr geringem oder gar keinem Einkommen. Eine Sozialticketvariante mit gleichem Leistungsumfang, aber ermäßigtem Preis, wird in einzelnen Bundesländern entwickelt. Das Versäumnis, eine solche Variante bundesweit einheitlich einzuführen, kann aber jederzeit nachgeholt werden – und sollte es auch.

Ohne Modernisierung des bestehenden ÖPNV, die seine Zuverlässigkeit erhöht und seine Zukunftsfähigkeit sichert, ohne Barrierefreiheit und einen umfassenden Ausbau des Angebots, insbesondere im ländlichen Raum, wird es nicht gelingen, maßgebliche Steigerungen der Fahrgastzahlen nachhaltig zu erreichen.