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Kateryna Voloshko (li.) und Ivanna Khrapko sind aus der Ukraine zum Kongress der EGB-Jugend gekommenFoto: Andi Weiland

Ivanna Khrapko und Kateryna Voloshko hatten die längste Anreise zum Jugendkongress der Europäischen Gewerkschaftsjugend vom 19. bis zum 21. Mai in der gerade frisch bezogenen Zentrale des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Berlin. 36 Stunden sind die beiden jungen Gewerkschafterinnen der Föderation der ukrainischen Dienstleistungsgewerkschaften (FPSU) von Kiew aus unterwegs gewesen. Mitten aus dem Krieg, den Russland gegen ihr Land führt, haben sie sich auf den Weg gemacht, um Teil der europäischen Gewerkschaftsjugend zu sein. Und um über die Situation in der Ukraine und ihre Arbeit zu berichten.

Kateryna hüllt sich dabei an diesem Wochenende immer wieder in die blau-gelbe Flagge der Ukraine, wenn sie zusammen mit Ivanna zu den über 100 jungen Gewerkschafter*innen aus ganz Europa spricht. Sie berichten von den tausenden toten Zivilisten, hunderten toten Kindern, weit über zehntausend Verletzten, unter ihnen viele Beschäftigte, vorneweg Rettungskräfte, die immer wieder dort im Einsatz sind, wo gekämpft wird. Sie erwähnen die drei Millionen Deportierten, mehr als sieben Millionen Binnenvertriebenen, mehr als sechs Millionen Geflüchteten und die fünf Millionen Menschen, die durch den Krieg ihre Arbeit verloren haben.

Kateryna und Ivanna sagen: "Wir helfen, wo wir können. Wir stellen unseren Mitgliedern und ihren Familien, die vertrieben wurden, sichere Unterkünfte. Unsere Mitglieder unterstützen sich gegenseitig mit Autos, Lebensmitteln und Medikamenten." Aber auch ihre Gewerkschaftsarbeit setzten sie fort mit Weiterbildungen, Seminaren und Trainings. "In diesem Jahr waren es bisher sechs Veranstaltungen. Das klingt nach wenig, für uns ist das in unserer Lage viel", sagen sie. Ihre aktuelle Situation unterscheidet sich komplett von dem, was die anderen jungen Gewerkschafter*innen berichten. Für die beiden Ukrainerinnen ist es dennoch wichtig, von den Problemen und Kämpfen – ein Wort, das an diesen Tagen eine ganz andere Bedeutung bekommt – zu hören.

Keine leeren Versprechen mehr

Im Zentrum stand eine Podiumsdiskussion unter dem Kongressmotto "Power to the Union Youth". Wie kann und muss die Jugendarbeit der europäischen Gewerkschaftsarbeit gestärkt werden. Allein wie die Debatte geführt wird, wie Emojis und Gifs aus den Sozialen Medien eingesetzt und auf einer Leinwand eingeblendet werden, unterscheidet den Jugendkongress von dem wenige Tage später startenden Kongress des Europäischen Gewerkschaftsbundes, an dem auch viele der Jugendlichen hier teilnehmen werden. Für Erheiterung sorgt auch der Nummernboy, der die jeweiligen Schwerpunkte der Diskussion mit einem Schild vor dem Plenum entlanggehend ankündigt.

Auf der Bühne sitzen Yolanda Gil, Präsidentin der EGB-Jugend, Ludovic Voet, gewählter Sekretär des EGB und zuständig für Jugend, Tea Jarc, Vorsitzende der slowenischen Gewerkschaft Mladi Plus, und Kai Reinartz von der ver.di Jugend. Es geht vor allem darum, wie sich die jungen Menschen in der Gewerkschaft stärken lassen. Tea hat da klare Vorstellungen: "Die Gewerkschaften sind nicht alt. Die Gewerkschaften, das sind wir." Sie glaubt, junge Menschen heute haben alle möglichen Versprechen satt, sie wollen Ehrlichkeit und da "abgeholt werden, wo sie sind und arbeiten". Nicht nur in Slowenien sind das derzeit vor allem junge Menschen in prekären Jobs, Ryders und Zusteller der sogenannten Plattformökonomie.

Tea und ihre Kolleg*innen fangen diese jungen Menschen dort ab, wo sie anzutreffen sind, zum Beispiel vor Restaurants, dessen Essen sie ausliefern. "Wir fragen sie nach ihren Problemen, verabreden uns mit ihnen, hängen mit ihnen ab mit Kaffee und Sandwiches und hören ihnen zu", sagt Tea. Für besonders Betroffene, die nicht einmal einen festen Wohnsitz haben, haben sie einen "Escape Room", einen Schutzraum eingerichtet.

Mit Erfolg. Über 120 Mitglieder haben sie so schon gewonnen und Mitte Mai zum ersten Mal gestreikt.

Die Macht des Streiks

Wie es um Streiks in Europa bestellt ist, darum ging es in einem der vielen Workshops. Cosima Steltner von der IG Metall und Isabelle Gagel von ver.di stellten in einer Präsentation dar, dass das Recht auf Streik zwar generell überall in Europa gelte, dass die Wirkung von Streiks aber von vielen Faktoren abhänge. Der überall existierende Fachkräftemangel erhöhe aktuell die strukturelle Macht der Gewerkschaften in ganz Europa. Die institutionelle Macht hänge dabei aber wesentlich von der Größe einer Gewerkschaft ab, kleine Gewerkschaften, vor allem, wenn sie mehrere Branchen abdecken, haben es da schwieriger, die Interessen ihrer Mitglieder durchzusetzen. Gesellschaftliche Macht hätten Gewerkschaften vor allem in Ländern wie Frankreich, wo der Generalstreik erlaubt ist.

Chloe, eine junge Gewerkschafterin aus Frankreich, musste in der anschließenden Diskussion jedoch für die junge Gewerkschaftsbewegung in Frankreich festhalten: "Wir haben keine Jugendvertretungen in unseren Gewerkschaften, ich wünschte, wir hätten sie." Deshalb hätten die französischen Gewerkschaften zwar eine große institutionelle Macht, könnten auf die Politik einwirken, aber nur eine geringe Mitgliedermacht. Entgegen den Bildern zu den letzten Protesten gegen das neue Rentengesetz, gegen das Millionen Menschen auf die Straße gegangen sind, auch viele junge Menschen, sagt Chloe: "Wir streiken viel, aber die Streikwilligen in den Gewerkschaften werden weniger."

Für Ivanna und Kateryna, die an diesem Kongresstag das letzte Wort hatten, ist an Streiks in der Ukraine momentan überhaupt nicht zu denken. Aber auch für sie traf der EGB-Kongress wenige Tage später eine wichtige Entscheidung: Mit großer Mehrheit wurde für eine Jugendquote in allen Gremien von 25 Prozent beschlossen, die volle Mitbestimmung bei allen Themen. Es wird nicht mehr über die Köpfe der jungen Menschen hinwegentschieden, sie reden jetzt mit. Die Jugend ist jetzt nicht mehr die Zukunft, sie ist die Gegenwart.