Ausgabe 04/2023
Frostiges Lohnniveau
Bevor Dirk Giemza morgens den Motor startet, um auf Verkaufstour für Bofrost zu gehen, hat er bereits eine Stunde gratis gearbeitet. Einloggen, Fahrzeug beladen, Tablet hochfahren – das zahlt sein Arbeitgeber nicht. Mehr als 50 Kund*innen stehen auf seinem Tourenplan. Jetzt heißt es, Umsatz machen. Giemza liefert Bestellungen aus, preist die Hähnchen-Medaillons im Angebot an und klingelt bei den Nachbarn, vielleicht wollen die mal einen Blick in den Katalog werfen. Sein Butterbrot wird er irgendwann hinterm Steuer essen. Für eine Pause bleibt keine Zeit.
Dirk Giemza ist Bofrost-Verkaufsfahrer. So ein hilfsbereiter und kompetenter, der laut Firmen-Website gerne berät, pünktlich liefert und Zubereitungstipps gibt. Tatsächlich steht Giemza unter Druck – so wie alle Verkaufsfahrer. Sie erhalten ein Grundgehalt und eine umsatzabhängige Provision, gestaffelt nach Bronze, Silber, Gold, Platin und Platin Plus. Leicht zu durchschauen ist das Entlohnungssystem nicht.
Zusätzlich gibt es ein Prämienmodell. Jeden Monat legen die Führungskräfte Ziele fest. Die Verkaufsfahrer können wählen, ob sie lieber die festgesetzte Zahl von Neukund*innen, die Ziele beim Aktionsverkauf oder beim Service erreichen wollen. Haben sie allerdings den Aktionsverkauf gewählt, aber doch nicht so viele Torten verkauft wie vorgegeben, dafür jedoch die Servicequote erreicht, gibt es trotzdem keine Prämie.
Mindestens 400 Euro mehr
Der Unmut ist groß. So groß, dass die Bofrost-Beschäftigten gestreikt haben. Seit 2021 erstmals wieder am 28. April. „Nach der Rede des ver.di-Sekretärs auf der Betriebsversammlung sind gleich zwei Kollegen in die Gewerkschaft eingetreten und haben sich dem Streik angeschlossen“, berichtet der Betriebsratsvorsitzende Carsten Heisrath aus der Niederlassung Dülmen. Das zweite Mal zogen die Streikenden aus verschiedenen Bofrost-Niederlassungen nach Düsseldorf zur zentralen Kundgebung in der Tarifauseinandersetzung des Einzel- und Versandhandels sowie Groß- und Außenhandels. In Nordrhein-Westfalen fordert ver.di für die Beschäftigten 13 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 400 Euro bei einer Laufzeit von zwölf Monaten.
Das hätten die Bofrost-Beschäftigten auch gern: endlich wieder Tarifbindung. Seit das Familienunternehmen 2017 den Arbeitgeberverband verlassen hat, gilt der Tarifvertrag nur in Nachwirkung. Die meisten Fahrer*innen haben seit sechs Jahren keine Lohnerhöhung mehr bekommen. Neue werden für 2.300 Euro Grundgehalt eingestellt – 686 Euro weniger als die tarifliche Eingruppierung für den Groß- und Außenhandel in Nordrhein-Westfalen. Von Zuschlägen für Mehrarbeit oder Samstagsarbeit nach 13 Uhr nicht zu reden. Bofrost argumentiert gegenüber den Verkaufsfahrern, dass sie mehr Umsatz machen müssten, wenn sie mehr verdienen wollten. „Das ist doch kein Automatismus“, sagt Giemza, Betriebsratsvorsitzender in der Niederlassung Dortmund.
Profitierten die Fahrer während der Corona-Pandemie noch davon, dass sich die Kundschaft die Ware direkt ins Haus liefern ließ, spüren sie jetzt die Folgen von Inflation und Krisen. Die Leute bestellen seltener und weniger. Die Folge: Das Einkommen der Fahrer sinkt, weil sie weniger Umsatz machen.
Tarif statt Provision
„Ich bin total abhängig von der Provision. Das ärgert mich“, sagt Torsten Große, Betriebsrat in Dormagen. „Alles wird teurer. Ich kann mir von meinem Lohn immer weniger leisten“, pflichtet ihm Ralf Kaffenberger bei. Der Betriebsratsvorsitzende aus Herne ist seit 25 Jahren Bofrost-Fahrer. Mitsamt Prämie, Provision und Grundgehalt kommt er auf etwa 3.200 Euro brutto. Viele Fahrer sind für einen solchen Lohn 180 bis 200 Stunden im Monat unterwegs.
Sie sind sich einig: Bofrost soll Tarifgehälter zahlen — und obendrauf Provisionen. ver.di hat bereits alle 26 Niederlassungen in NRW – jede ist eine eigenständige Gesellschaft – aufgefordert, einen Anerkennungstarifvertrag und die von ver.di vereinbarten Verbandstarifverträge des Großhandels abzuschließen. Doch Bofrost, Europas Nummer 1 im Direktvertrieb von Tiefkühlkost und Speiseeis, mauert, sagt Heino Georg Kaßler, der im Handel für ver.di die Verhandlungen leitet.
Noch sind nicht alle Niederlassungen bei Streiks und Protesten dabei, aber es werden mehr. Man muss sich auch mal trauen, findet Carsten Heisrath. Vor einigen Jahren war es in der Niederlassung in Dülmen üblich, die Inventur unbezahlt zu erledigen. Es war auch üblich, dass alle Beschäftigten monatlich drei Euro in eine Kasse zahlen. Von dem Geld säuberte ein Reinigungsdienst die Beladeplätze auf dem Betriebsgelände. Bis der Betriebsrat dieses unrechtmäßige Zur-Kasse-Bitten in sozialen Medien öffentlich gemacht hatte. Dann war Schluss damit. Eine schlechte Meinung über sich in der Öffentlichkeit, das kann der Familienbetrieb mit Sitz in Straelen am Niederrhein nicht gut leiden.