Ausgabe 08/2023
Es geht um jeden Tropfen
Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung hat im Internet einen „Dürremonitor“ eingerichtet, der die aktuelle Trockenheit in der oberen Bodenschicht und in 1,80 Meter Tiefe für alle Regionen anzeigt. Vor allem in Ostdeutschland ist die Lage dramatisch. Die Grundwasserspiegel sinken, an manchen Seen enden Bootssteige inzwischen weit vom Ufer entfernt. Zugleich sehen sich immer mehr Landwirte gezwungen, ihre Felder zu bewässern. Der BASF-Standort Schwarzheide und die neue Tesla-Fabrik in Brandenburg verbrauchen zusammen so viel Wasser wie eine 160.000-Einwohner-Stadt – und das in der Nähe von Berlin, wo in den kommenden Jahren gravierende Probleme zu erwarten sind.
Mit der Stilllegung des Braunkohletagebaus in der Lausitz wird bald kein Wasser mehr aus den Gruben in die Spree gepumpt, wie es jahrzehntelang der Fall war. Im Gegenteil: Die Tagebaulöcher sollen geflutet werden. Im schlimmsten Fall könnte die Spree ganz versiegen, fürchten Hydrologen. Auch das Umweltbundesamt warnt vor massiver Wasserknappheit in der Hauptstadt und schlägt große Speicher und Fernleitungen vor. Geprüft werden soll sogar die Möglichkeit, Ostseewasser energieaufwändig zu entsalzen, um damit die 200 Kilometer entfernte Hauptstadt zu versorgen.
Kostbares Wasser verschwindet im Klo
Den Wasserverbrauch deutlich zu senken, ist dagegen bisher kaum ein Thema. Nach wie vor zapft ein Durchschnittsmensch im Haushalt täglich knapp 130 Liter ab. Nur etwa fünf Liter werden getrunken oder dienen zum Kochen. Dagegen entschwindet etwa ein Drittel der täglichen Verbrauchsmenge durchs Klo.
Aus den Augen, aus dem Sinn: Toiletten gelten als eine der größten Errungenschaften der Moderne. So wird Deutschlands am besten kontrolliertes Lebensmittel – das Trinkwasser – zum Transport von Urin und Kot genutzt. In den Rohren unterhalb der Stadt mischt es sich weiter mit Haushaltschemikalien, Speisefett und Straßendreck, Schwermetallen, Mikroplastik, Katzenstreu und Zigarettenkippen.
Medikamente und Mikroplastik
Die Abwasserkanäle in Deutschland sind zusammengerechnet 575.800 Kilometer lang und die teuerste unterirdische Infrastruktur. Jährlich werden durch sie 5,1 Milliarden Kubikmeter Dreckwasser zu den Kläranlagen transportiert. Die versuchen, die vielfältigen Stoffe wieder herauszuholen, um das Wasser anschließend in Flüsse und Seen einleiten zu können. Der Aufwand ist enorm. Vor allem die biologische Klärstufe, bei der Stickstoff und Phosphor eliminiert werden, verbraucht extrem viel Strom. „Im Moment ist die Kläranlage in einer mittelgroßen deutschen Stadt der größte Einzelverbraucher von Energie“, sagt der Siedlungswasserwirtschaftler Burkhardt Fassauer vom Fraunhofer-Institut IKTS.
Doch all der Aufwand reicht noch nicht. In Wasserproben im Ablauf von Kläranlagen wurden 149 Arznei-Wirkstoffe nachgewiesen – eingetragen vor allem durch menschlichen Urin. Folglich wird auch die Trinkwasseraufbereitung immer schwieriger. Was die Stoffe in der Natur anrichten, ist nur in Einzelfällen bekannt. So hat ein kanadisches Wissenschaftsteam nachgewiesen, dass schon eine geringe Menge an Verhütungsmitteln ganze Ökosysteme zum Umkippen bringen kann.
Die nicht herausgefilterten Stoffe verbreiten sich weltweit bis in die Ozeane – und kehren doch zu uns zurück. So wurde Mikroplastik bereits in menschlichen Gehirnen und Plazentas nachgewiesen. Gegenwärtig wird deshalb über die Einführung einer vierten Klärstufe diskutiert, mit der Medikamentenrückstände und Mikroplastik aus dem Wasser entfernt werden sollen. Erneut wären die Kosten sehr hoch – und für die meisten Länder schon deshalb kein gangbarer Weg.
Etwa die Hälfte der Menschheit hat heute keine sichere Sanitärversorgung, fast 1,5 Milliarden leben in Gebieten mit hoher oder extrem hoher Wasserunsicherheit. Im Jahr 2000 hatte in Afrika schätzungsweise nur jeder siebte Mensch Zugang zu einer Wassertoilette. In Lateinamerika ist die Quote zwar höher, aber nur 15 Prozent des Abwassers werden anschließend behandelt. Angesichts dieser Lage und der zunehmenden Erderwärmung ist es eine absurde Vorstellung, unser System als weltweit anzustrebenden Standard einführen zu wollen.
Was aber dann? Macht es Sinn, aufwändig aufbereitetes Trinkwasser fürs Klo und zum Autowaschen zu verwenden? Ist es nicht besser, die verschiedenen Abwasserströme dezentral zu behandeln, statt alles in einem riesigen Rohrsystem zu vermischen? Und schließlich: Sind Mikroplastik in Kosmetik und Waschmitteln wirklich notwendig – oder sollten sie als Zusatzstoffe einfach verboten werden?
Neue Ansätze mit Hinterlassenschaften
Während die Stadtverwaltungen einiger Metropolen in trockenen Regionen Asiens und Amerikas grundlegend neue Wege gehen (siehe Beispiel oben links), ist Wasserknappheit in Mitteleuropa eine neue Erfahrung. Auch die gut funktionierende Infrastruktur scheint tiefgreifende Innovationen überflüssig zu machen. Doch die Probleme wachsen. Längst suchen auch hier Menschen nach Alternativen.
So entwickeln Eberswalde und der Landkreis Barnim im Forschungsprojekt „Zirkulierbar“ wassersparende und ressourcenschonende Lösungen. Auf dem Gelände des Recyclinghofs hat das Startup „Finizio“ seine Versuchsanlagen aufgebaut. Bei Festivals sammelt das Unternehmen die Hinterlassenschaften der Besucher*innen ein, aber auch mehrere Trocken-Trenn-Toiletten im Stadtgebiet liefern Rohstoffe. Die festen Bestandteile werden anschließend in einem Spezialcontainer etwa eine Woche lang hygienisiert und danach zusammen mit Stroh und anderen Zuschlagstoffen zu gutem Kompost verarbeitet. Die Ernteergebnisse des landwirtschaftlichen Kooperationsbetriebs stimmen optimistisch.
„Zirkulierbar“ lädt andere Kommunen ein, die Entwicklungen zu beobachten und selbst aktiv zu werden. Noch liegt das Thema in Deutschland weitgehend im toten Winkel – so wie vor 40 Jahren die erneuerbaren Energien. Der zunehmende Wassermangel aber wird grundlegend neue und praktikable Ansätze unumgänglich machen.
Die Recherche zum Thema Wasser wurde gefördert
von der „Riff freie Medien gGmbH“. Gerade ist von der Autorin das Buch „Holy Shit – Der Wert unserer Hinterlassenschaften“ bei Orange-Press erschienen, parallel zum gleichnamigen Film. Im Buch stellt Annette Jensen noch mehr interessante Lösungen vor.
Bangalore und San Francisco: Wasser mehrfach nutzen
Schon vor einigen Jahren warnte das Indische Institut für Wissenschaft: Ohne grundlegende Veränderungen werden viele Metropolen in trockenen Gegenden aufgrund von Wasserproblemen über kurz oder lang unbewohnbar werden. Das Institut hat seinen Sitz in der 12-Millionen-Stadt Bangalore in Zentralindien, die als Silicon-Valley des Subkontinents gilt und rasant wächst. Längst reicht das Wasser aus dem hundert Kilometer entfernten Fluss Cauvery nicht mehr, um Bevölkerung und Industrie zu versorgen. Privatfirmen zapfen unreguliert Brunnen an und befüllen damit Tankwagen; der Grundwasserspiegel sinkt dramatisch, der Wasserpreis steigt. Weil es in vielen Wohnvierteln keine Kanalisation gibt, haben sich die einst zur Regenwasserspeicherung angelegten Seen im Stadtgebiet in stinkende, giftige Kloaken verwandelt. 2004 ordnete die Stadtregierung an, dass in allen neuen Wohnblocks dezentrale Kläranlagen eingebaut werden müssen. Seither entwickelt sich in Bangalore ein schwunghafter Handel mit aufbereitetem Abwasser, das in der Stadt nun mehrfach genutzt wird.
Im trockenen San Francisco koordiniert die für Wasser, Abwasser und Strom zuständige Behörde einen Forschungsprozess, an dem viele Unternehmen und Institutionen beteiligt sind. „Die Bewältigung unserer Wasserprobleme durch innovative und kreative Lösungen erfordert den Aufbau von Partnerschaften, strategisches Denken, Kurskorrekturen, harte Arbeit und einen Sinn für Humor“, sagt Behördenleiterin Paula Kahoe. Die neuen Systeme sollen nicht nur Wasser sparen, sondern auch mehr Grün und bessere Lebensqualität in die Stadt bringen und den Chemieeinsatz reduzieren.
Berlin: Duschwasser fürs Klo recyceln
Fast 400 junge Leute wohnen in einem Studierendenheim in Berlin-Pankow. Das Wasser, das durch ihre Toiletten fließt, hat bereits vorher eine Runde durch Duschen, Handwaschbecken oder Waschmaschinen gedreht. Zur Aufbereitung des sogenannten Grauwassers stehen im Keller riesige Tanks, in denen Haare und Flusen herausgefiltert werden, bevor Bakterien die übrigen Schadstoffe abbauen. Danach ist das Wasser völlig geruchlos und auch optisch rein.
Durch die Nutzung für die Klospülung benötigt die Bewohnerschaft nicht nur ein Drittel weniger Trinkwasser. Sie spart auch Energie, weil ein Wärmetauscher dem verbrauchten Dusch- und Spülwasser die Hitze entzieht und damit das künftige Waschwasser erwärmt. „Der finanzielle Aufwand für die doppelten Abwasserleitungen und die Aufbereitungsanlage im Keller amortisieren sich nach wenigen Jahren“, sagt Erwin Nolde, Pionier in Sachen innovative Wasserkonzepte.
Steht eine Strangsanierung an, lässt sich die Technik auch in Bestandsgebäuden einbauen. Wie das sogar ohne doppelte Abwasserleitungen funktionieren kann, erforscht das Bauhaus Institut für zukunftsweisende Infrastruktursysteme in Weimar. Entwickelt werden dünnere Rohre, die sich in die bestehenden Fallrohre integrieren lassen. Außerdem experimentieren die Wissenschaftler*innen mit „schlauen“ Steuerungen, die auf die typischen Wasserschwall-Geräusche von Waschmaschinen oder Klospülungen reagieren. Je nach akustischem Impuls leitet eine Weiche die Ladung zum Aufbereitungsbehälter in den Keller oder in die Kanalisation.
Genf: Häuser von der Kanalisation abklemmen
Genf wächst – und damit auch der Bedarf nach Kapazitäten für die Abwasserbehandlung. Weil es teuer ist, Kläranlagen zu erweitern oder neu zu bauen, sind einige Menschen in der Stadtverwaltung offen, wenn sich ein Haus von der Kanalisation abkoppeln will. Die Genossenschaft Equilibre hat bereits drei entsprechende Hausprojekte realisiert, mehr als ein Dutzend stecken in der Pipeline. Jedes Mal probiert das Leitungsteam in Absprache mit der Bewohnerschaft neue Techniken aus.
In der Rue Soubeyran 7 steht ein sechsstöckiges Gebäude mit 36 Wohnungen, dessen Abwasser in drei unterirdischen Becken mit Hilfe von Würmern, Bakterien, Holzkohle und Gestein aufbereitet wird. Vorbild ist die Natur, die es seit Milliarden Jahren schafft, dasselbe Wasser immer wieder zu nutzen, ohne dass es dauerhaft verschmutzt wird. Die Hausbewohner*innen verwenden das aufbereitete Wasser für die Toilettenspülung und gießen damit die Pflanzen im Garten, auf dem Dach und den Balkonen.
Die Kläranlage befindet sich unter einem 80 Quadratmeter großen, mit Holzbohlen beplankten Feld, auf dem Kinder gerne Fußball spielen. Dass das Ganze nicht stinkt, lässt sich schon daran ablesen, dass ein Restaurant wenige Meter entfernt eine Terrasse betreibt. Untersuchungen einer Doktorandin belegen, dass die Konstruktion in der Lage ist, alle Krankheiten verursachenden Keime abzutöten.
Dübendorf: Mit Teekanneneffekt Urin separieren
„Im Studium erschien die Menge des Abwassers wie gottgegeben“, berichtet Tove Larsen. Eine Veranstaltung über Müll und Recycling brachte die Ingenieurin am Anfang ihrer Wissenschaftskarriere auf die Frage: Warum vermischen wir Haushalts-, Industrie- und Straßenwasser? Wäre eine frühe Trennung so wie beim Abfall nicht viel sinnvoller? Vor allem Urin verursacht einen immensen Kläraufwand, weil er viel Stickstoff und Phosphor enthält. Würde er bereits in den Toiletten ausgeschleust, könnten die Kläranlagen zwei Drittel kleiner ausfallen, rechnete Larsen aus.
Das ist nun fast drei Jahrzehnte her. Seither beschäftigt sich das staatliche Forschungsinstitut für Wasser und Abwasser in der Schweiz EAWAG damit, wie Urinseparierung praktisch umzusetzen ist. Ziel ist es, skalierbare Lösungen für große Städte zu entwickeln. Dafür müssen nicht nur Tabus zu überwunden, sondern auch Lösungen für viele Einzelfragen gefunden werden.
Inzwischen produziert die renommierte Sanitärfirma Laufen eine Kloschüssel, die den sogenannten „Teekanneneffekt“ nutzt. Dabei fließt Urin scharf um die Ecke und kann so separat abgeleitet werden. Wer nicht darauf achtet, wird die Toilette als „ganz normal“ wahrnehmen. Der unverdünnte Urin gelangt durch ein Rohr in den Keller, wo er zu einem hygienischen, schadstofffreien und sehr effektiven Dünger aufbereitet wird. Alle Komponenten sind inzwischen marktreif. Jetzt arbeitet die EAWAG daran, dass sie in die breite Anwendung kommen. Mehrere neue Stadtviertel in der Schweiz und Frankreich werden damit ausgestattet, genau wie das Hauptquartier der Europäischen Weltraumbehörde ESA in Paris. Der Dünger soll ortsnah zum Einsatz kommen.