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Foto: dioxin/photocase

Maryse Condé: Das Evangelium der Neuen Welt

Zurück in die Karibik: In ihrem neuen Roman wendet sich die 86-jährige Schriftstellerin Maryse Condé einem Schauplatz zu, der ihrem Geburtsort Guadelupe ähnelt – sie selbst verließ ihre Heimat schon als 16-Jährige, um in Paris zu studieren. Nun kehrt sie inhaltlich zurück auf eine kreolische Insel, wo ein älteres, kinderloses Ehepaar ein Neugeborenes in ihrem Gartenschuppen findet. Monsieur und Madame Ballandra sind überrascht und hocherfreut, und da sich das Ereignis an einem Ostersonntag ereignet, ist bald von einem Wunder die Rede.

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Tatsächlich wirkt Pascal, der Säugling, wie eine Erscheinung: Er ist auffällig hübsch, strahlt Frieden und Ruhe aus, und niemand kann sagen, woher er kommt. Seine Abstammung ist auch deshalb unklar, weil er zwar kreolisch dunkelhäutig ist, aber auch europäisch, asiatisch und afrikanisch aussieht. Schnell entsteht das Gerücht, dieses Findelkind sei ein Sohn Gottes, ein Geschenk an die Menschheit. Ein neuer Messias, der den Auftrag hat, die Welt so zu verändern, dass sie friedlicher wird.

Monsieur und Madame Ballandra bemühen sich nach Kräften, ihn zu etwas Besonderem zu erziehen, doch außer einer geradezu heiligen Aura hat Pascal kaum weitere Talente zu bieten. In der Schule gilt er als Träumer, und seine Noten sind schlecht. Doch in ihm reift der Wunsch, endlich etwas Großes zu leisten. Als junger Mann gründet er die Vereinigung „Die fröhliche Wissenschaft“, um für mehr Harmonie und Toleranz auf der Welt zu sorgen. Der Durchbruch bleibt allerdings aus, und je älter Pascal wird, umso mehr spürt er, wie schwer es ist, ein Vorbild zu sein. Er stolpert durchs Leben, auf der Suche nach seiner Rolle, nach Sinn. Zwar begeistert er viele Menschen mit seinen Reden, doch selbst das ist ihm nach wie vor unheimlich. Hinzu kommt: Immer wieder scheitert er privat, hat Beziehungsprobleme, fühlt sich überfordert. Kann eine Reise nach Asuncion vielleicht das Blatt wenden? Dort lebt Gerüchten zufolge Pascals Vater, ein spiritueller Guru, von dem sich Pascal Tipps erhofft, die ihn aus seinem Dilemma führen.

Die originelle, farbenprächtige Geschichte wird von einem fröhlichen Grundton getragen, von leichter Ironie und absurden Momenten. Ein abwechslungsreicher kreolischer Roman um einen Auserwählten auf Abwegen, der mit dem Alternativen Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde. Günter Keil

btb Verlag, Übersetzung: Bettina Bach. 320 S., 16 Euro

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Haruki Murakami: Die Stadt und ihre ungewisse Mauer

Nach sechs Jahren Roman-Pause meldet sich der Großmeister der bewusstseinserweiternden Literatur zurück. Und zwar mit einer philosophischen Geschichte, die auf einer 40 Jahre alten Kurzgeschichte basiert. Diese hatte Murakami bereits in seinem Roman Hard-Boiled Wonderland und das Ende der Welt verarbeitet. Wie er nun im Nachwort schreibt, hat ihn die Grundidee jedoch nicht losgelassen, und er fand, er müsse sie noch einmal aufgreifen. Eine kluge Entscheidung, denn sein neues Werk überzeugt in jeder Hinsicht: Stilistisch, inhaltlich und gestalterisch. Der Plot spielt an drei Standorten, zu unterschiedlichen Zeiten: In der Vergangenheit, an die sich der Ich-Erzähler aufgrund seiner Jugendliebe erinnert. In einer fiktiven, ummauerten Stadt, wo das wahre Ich der jungen Frau lebt. Und in einem abgelegenen Bergdorf, in dem der Erzähler in der Gegenwart als Bibliotheksleiter lebt. Diese drei Orte verbindet Murakami elegant mit magischem Realismus, und er führt die Lesenden gekonnt ins Reich des Unbewussten, tief unter der Oberfläche. Eine souveräne literarische Erkundung von Liebe, Tod, Träumen und Sehnsucht. Günter Keil

DuMont Buchverlag, Übersetzung: Ursula Gräfe. 640 S., 34 €

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Mebrahtu & Kinkel: Freiheit in Briefen

Tanja Kinkel ist für ihre historischen Romane wie Der Puppenspieler berühmt. Jetzt bietet die promovierte Germanistin zusammen mit der eritreischen Schriftstellerin Yirgalem Fisseha Mebrahtu ein bewegendes Stück Geschichte unserer Zeit. Das Buch ist mit Unterstützung des PEN-Zentrums Deutschland entstanden. Kinkel ist Mitglied im Schriftstellerverband PEN. Mebrahtu, die nach Verhör, Folter und Gefängnis von Eritrea nach Deutschland fliehen konnte, ist ehemalige Stipendiatin des PEN Deutschland Writers in Exile Programms. Die beiden Autorinnen gehen von 2020 bis 2023 in den Dialog: In respektvollen und empathischen Briefen schreiben sie, was Freiheit für sie bedeutet und über ihre Erfahrungen mit dem Schreiben, in Eritrea in einer von Zensur und Gewalt geprägten Diktatur und in Deutschland, anfangs noch unter dem Eindruck der Pandemie. Dabei tauschen sie sich aus über Sprache und das Nicht-Sprechen-Können, über Heimat und Exil, über Alltägliches und immer wieder auch über ganz Persönliches. Entstanden ist ein einzigartiges Mosaik aus Erinnerungen und Einblicken in die politischen und gesellschaftlichen Zustände in Eritrea und Deutschland. Maria Ring

Akono Verlag, 181 S., ca. 14,80 €