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Bauernproteste auch in Polen – mit göttlichem Beistand und FanfarenFoto: Sokolowski/AP/picture alliance/dpa

Die polnische Jeanne d’Arc stürmt als Bauer und mit einer in die Höhe gereckten Mistgabel nach vorn. Das Titelbild des Magazins Polityka spielt auf das auch in Polen berühmte Revolutionsbild des Franzosen Eugene de la Croix an „Die Freiheit führt das Volk“. Dabei standen Polens Bauern bisher nur selten im ­Rampenlicht. Doch die aktuellen Bauern­proteste, an deren Spitze sich die Gewerkschaft „Solidarnosc der Individualbauern“ gesetzt hat, wecken im ganzen Land Sympathien. Laut einer Umfrage des Instituts Ibris unterstützen 77 Prozent aller Polen die protestierenden Bauern, auch wenn deren Forderungen die Konsumenten eigentlich abschrecken müssten: höhere Preise für Lebensmittel, Einsatz von Pestiziden und Antibiotika auf dem Feld und im Stall, das Schließen der polnisch-ukrainischen Grenze gegen angebliche „Billigimporte“.

Das einzelne Transparent auf einem der mitfahrenden Trecker „Putin, räum auf mit der Ukraine und Brüssel sowie mit unseren Regierenden“ samt wehender Sowjetfahne mit Hammer und Sichel störte kaum jemanden. Nur Premier ­Donald Tusk protestierte in Warschau, ein paar Politiker und Intellektuelle auch. Die meisten Demonstranten aber schlagen die inzwischen zahlreichen Warnungen vor einer Instrumentalisierung der Proteste zu politischen Zwecken Moskaus einerseits und rechtsradikaler Kräfte in Polen andererseits in den Wind. Was zählt, ist, dass möglichst viele Menschen lautstark und entschieden gegen den Green Deal der Europäischen Union und gegen die Agrarimporte aus der Ukraine protestieren.

Rationale Argumente verfangen nicht

Auch wenn längst klar ist, dass EU und Ukraine nur in geringem Ausmaß für den Einkommensrückgang der polnischen Bauern verantwortlich sind, wollen die Politiker in Brüssel und Warschau den Forderungen der Bauern nachkommen. Denn kurz vor den Anfang April statt­findenden Regionalwahlen in Polen und den schon im Juni nachfolgenden ­Wahlen zum Europäischen Parlament verfangen rationale Argumente wie weltweit gestiegene Preise für Energie und Düngemittel nicht mehr. Dass Russland seit Beginn seines Angriffskriegs auf die Ukraine wesentlich mehr Getreide auf dem Weltmarkt anbietet als je zuvor, lässt auf den großen Lebensmittelbörsen die Preise fallen und damit auch auf dem polnischen Markt.

Obwohl sich alle Bauernorganisationen darauf geeinigt hatten, ohne ihr ­Logo aufzutreten, übernahm auf der Großdemo am 7. März in Warschau doch die Solidarnosc die Sprecherrolle. Die mit über 550.000 Mitgliedern größte Gewerkschaft Polens ist damit Ansprechpartnerin der Mitte-Links-Regierung ­unter Premier Donald Tusk, die erst seit dem 13. Dezember 2023 im Amt ist. Das Problem dabei ist, dass die Solidarnosc ideologisch wie personell sehr stark mit der nationalpopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) verbunden ist, die in den letzten acht Jahren in Polen regierte und nun die stärkste Oppositionspartei stellt.

Das Schweigen der anderen

Der PiS aber ist nicht an einer raschen Lösung des Konflikts gelegen. Im Gegenteil, sie verspricht sich von aufge­brachten, ja gewalttätigen Bauern, brennenden Autoreifen und stinkenden Misthaufen in den Städten Polens politische Gewinne sowohl in den bevor­stehenden polnischen Regionalwahlen als auch in den Wahlen zum Europä­ischen Parlament.

Nicht zu Wort gemeldet hat sich bislang der mit rund 450.000 Mitgliedern zweitgrößte Gewerkschaftsdachverband OPZZ, der traditionell der politischen ­Linken nahesteht. Und auch das Gewerkschaftsforum FZZ, das mit rund 300.000 Mitgliedern, den drittgrößten Gewerkschaftsdachverband stellt und großen Wert darauf legt, unpolitisch zu sein und allein die Arbeitnehmerinteressen zu vertreten, schweigt sich bislang aus.

Für die Koalition aus liberalkonser­vativer Bürgerplattform (PO), dem christlich-agrarischem Dritten Weg und der Neuen Linken (NL), die mit dem Ziel angetreten war, eine EU-freundliche Politik zu betreiben, Demokratie und Rechtsstaat in Polen wiederaufzubauen und die verkrusteten Strukturen des sozialen Dialogs aufzubrechen, ist das eine große Herausforderung. Tusk erwog sogar schon öffentlich, den von den Getreidebauern heraufbeschworenen Handelskonflikt zwischen Polen und der Ukraine staatlich zu sanktionieren und offiziell die Grenze zur kriegsgebeutelten Ukraine zu schließen. Doch die zu Kriegs­beginn vor zwei Jahren noch sehr guten polnisch-ukrainischen Beziehungen würden dadurch in eine schwere Krise ge­raten.

Auch für Polens Gewerkschaften ist die neue Situation nach den Parlamentswahlen schwierig. Zwar gab es mit dem neuen Haushalt der Koalition, der gleich für mehrere Branchen des Öffentlichen Dienstes Gehaltserhöhungen von bis zu 30 Prozent vorsah, ein klares Signal für eine künftige Sozialpartnerschaft. Doch nach acht Jahren, in denen die PiS-­Regierung immer wieder die Solidarnosc unter allen Gewerkschaften einseitig ­bevorzugt hatte, fällt es den anderen ­Gewerkschaften heute anscheinend schwer, plötzlich gleichberechtigt neben der Solidarnosc aufzutreten.

Das liegt allerdings auch an Tusk. In den Jahren 2007 bis 2014 vertrat er als Premier eine dezidiert neoliberale Politik. Zugeständnisse an Gewerkschaften machte er nur ungern. Doch die Jahre als Ratspräsident der Europäischen ­Union haben ihn verändert. Heute setzt der wiedergewählte Premier auf die Gewerkschaften als wichtige Sozialpartner. Und wenn es – wie im März 2024 – aufgebrachte Bauern mit Mistgabeln in der Hand sind, dann verhandelt Tusk auch mit ihnen auf Augenhöhe. Die Zeiten, in der sich Polens Regierung ihre Sozial­partner aussuchte, mit denen sie reden wollte, sind vorbei.