„In der Ukraine mangelt es an Personal auf allen Ebenen und in allen Bereichen“, postete Anton Martynow, Leiter des großen ukrainischen Verlagshauses „Laboratoria“, kürzlich auf Facebook. Das stimmt. Als unser Wirtschaftsjournalist im Jahr 2022 zur Armee eingezogen wurde, haben wir viel länger als üblich nach Ersatz für ihn gesucht. Nach zwei Jahren Krieg stehen die meisten Betriebe vor ähnlichen Problemen. Das jüngste Beispiel aus meinem persönlichen Leben ist die dritte Woche in der Warteschlange für eine Autoreparatur. In der Werkstatt, in der wir unseren Wagen immer reparieren lassen, fehlen drei Mechaniker. Ich habe nicht nach dem Grund dafür gefragt, aber ich vermute, dass die Mechaniker auch zur Armee eingezogen ­wurden und es jetzt schwer ist, neue zu finden.

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Olha VorozhbytFoto: privat

Vor einiger Zeit habe ich hier in meiner Kolumne geschrieben, dass in bestimmten Branchen der Mangel an Arbeits­kräften aufgrund der Mobilisierung erhebliche Auswirkungen auf die Arbeit hat. Die Zahl der Bürgerinnen und Bürger, die unlängst zur Armee gegangen sind, übersteigt eine Million, sodass diese Veränderung auf dem Arbeitsmarkt nicht ­unbemerkt bleiben kann. So sind zum Beispiel mehr als 20 Prozent der Beschäftigten der Bergwerke der Westukraine mobilisiert. Dies bedeutet eine zusätz­liche Arbeitsbelastung für die anderen Beschäftigten. Zugleich sind in diesen Berufen jetzt häufiger Frauen beschäftigt. Während vor der Invasion nur Männer in den Bergwerken von Pawlohradvuhillya (die Bergwerke, die derzeit in der Ostukraine noch in Betrieb sind) unter Tage arbeiteten, sind jetzt mehr als 3 Prozent der Beschäftigten dort Frauen. Auch in anderen Berufen, die früher von ­Männern dominiert wurden, steigt die Zahl der Frauen. Einerseits ist das eine positive Veränderung, da die Gleichstellung in den Berufen zunimmt. Andererseits wird das Problem des Personalmangels dadurch nicht grundlegend gelöst.

Verschiedenen Quellen zufolge haben seit dem Beginn der russischen Invasion mehr als 6 Millionen Menschen die Ukraine verlassen. Ja, die meisten von ihnen sind Frauen mit Kindern, aber in der Ukraine mangelte es schon vor 2022 an Männern auf dem Arbeitsmarkt. Da ­ihnen ihre Arbeit in den benachbarten EU-Ländern höhere Löhne einbrachte, ­arbeiteten sie oft in Polen oder Deutschland. Viele dieser Männer kehrten nach Ausbruch des Krieges zur Armee zurück, aber viele blieben auch in der EU.

4,5 Millionen Arbeitskräfte fehlen

Im Juli 2023 schätzte das ukrainische Wirtschaftsministerium, dass die Ukraine in den nächsten zehn Jahren 4,5 Millionen zusätzliche Arbeitskräfte für den ­Arbeitsmarkt gewinnen muss. Eine der größten Stellensuche-Websites, work.ua, nennt den Personalmangel als ein Problem, mit dem die große Mehrheit der ukrainischen Arbeitgeber konfrontiert ist. Auch in der Medizin und Pharmazie fehlt es an Personal.

Es gibt immer noch keine Strategie, wie die Ukraine die Probleme auf dem ­Arbeitsmarkt überwinden will. Einige ­Arbeitgeber versuchen, das Problem durch die Zahlung höherer Gehälter zu ­lösen, was angesichts der gestiegenen Arbeitsbelastung logisch ist.

Gleichzeitig hat Russland seine Strategie des Zerstörungskrieges nicht aufgegeben, indem es mit seiner militärischen ­Aggression große Industriestädte niederbrennt, Zivilisten tötet, Menschen ihrer Arbeitsplätze und Zukunft beraubt. So pathetisch es auch klingen mag, es ist schwierig, eine Entwicklungsstrategie für die Ukraine zu formulieren, ohne eine Strategie zum Sieg über Russland. Zwei Jahre Krieg haben bewiesen, dass diese Strategie nur gemeinsam mit Freunden und Partnern in den anderen europä­ischen Staaten aufgebaut werden kann.