17_nachhaltigkeit_artenvielfalt_s.jpg
Foto: Harald Opitz/KNA

Laut Auswertungen des EU-Klimadienstes Copernicus lag die Erderwärmung 2023 zum ersten Mal durchschnittlich zwölf Monate lang bei 1,48 Grad über dem Durchschnitt der Jahre 1850 bis 1900, und auch das Jahr 2024 hat rekordverdächtig begonnen. Wird es dieses Jahr noch wärmer, dann könnte erstmals in der Gesamtjahresbilanz das im Pariser ­Klimaabkommen vereinbarte 1,5-Grad-Ziel überschritten werden.

Seit dem Aussterben der Dinosaurier sind nicht mehr so viele Arten auf diesem Planeten verschwunden wie heute. Weltweit sind bis zu zwei Millionen Tier- und Pflanzenarten gefährdet. Die Menschheit muss auf Nachhaltigkeit umstellen, will sie die Biodiversität schützen und den ­Planeten retten. Ob weniger Kohleverbrennung, Verzicht auf Pestizide, schonender Umgang mit Rohstoffen, Schutz der Regenwälder oder Zugang zu sauberem Wasser – Konzerne und Unternehmen haben hier überall einen großen Anteil.

Grün oder grün gewaschen?

In Deutschland wurden zum 16. Mal in Folge 100 Unternehmen als „Vorreiter der Transformation in der deutschen Wirtschaft“ für ihre Nachhaltigkeit mit einem Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet. Dabei ging es quer durch die Branchen, von der Baumarktkette OBI Deutschland, über die Lebensmittelkette Bio Company bis hin zur Deutschen Telekom oder dem Sportartikel-Einzelhändler Globetrotter. Auch der Zoo Leipzig hat die Auszeichnung bekommen, für seinen Artenschutz und weil er besonders darauf achtet, ­Emissionen, Abfälle und Abwasser zu ­reduzieren. Vergeben wurden die Preise vom Bundesumweltministerium gemeinsam mit Partnern. Also alles auf einem guten Wege?

Mitnichten, denn viele Unternehmen betreiben sogenanntes „green washing“, um Verbraucher*innen zu täuschen. Sie präsentieren sich naturnah und grün, sind es aber nicht. Dazu gehört irreführende Werbung, die eine vermeintliche Nähe zur Natur vortäuscht, und auch das Verschleiern von Umweltschäden. Verbraucher*innen brauchen deshalb Orientierung. So ein Nachhaltigkeitspreis kann dabei helfen. Doch einheitliche Zertifikate gibt es bislang nicht.

Was das kostet

Haben sich Verbraucher*innen schließlich bis zu den nachhaltigen Produkten durchgekämpft, müssen sie feststellen, dass die meist teurer sind als andere. Das bedeutet, Nachhaltigkeit muss man sich leisten können. Als ein Hemmnis ­erwies sich im letzten Jahr zudem die ­Inflation. Sie hat den nachhaltigen Konsum gebremst, obwohl in Deutschland die Mehrheit der Menschen längst weiß, wie wichtig Nachhaltigkeit ist. Das ergab eine Analyse des Marktforschungsinstituts GfK.

Der ermittelte Nachhaltigkeitsindex fiel im Herbst angesichts gestiegener Preise auf den niedrigsten Wert seit seiner ersten Erhebung im Februar 2022. 73 Prozent der Deutschen glauben aber, dass sie durch ihr eigenes Verhalten zum Klima- und Umweltschutz beitragen können. Vor allem Menschen mit einem monat­lichen Haushaltsnettoeinkommen von 4.000 Euro und mehr sind laut GfK bereit, unter Nachhaltigkeitsaspekten einzu­kaufen. Für die anderen wird es jedoch finanziell sehr eng, je weniger sie haben. Das stellt die Frage auf, wie die Transformation gerecht ­finanziert werden kann.

ver.di hat zum Jahresanfang die Haushaltspläne der Bundesregierung kritisiert. Der zentrale Fehler sei es, die Kosten für Investitionen in die industrielle Transformation in den Regelhaushalt hineinzupressen. Das Resultat seien zweifelhafte Gegenfinanzierungen „mit erheblicher sozialer Unwucht“, sagte der ver.di-­Vorsitzende Frank Werneke. Weder dürfe der öffentliche Personennahverkehr geschwächt werden, noch dürften Menschen mit niedrigeren Einkommen durch den stärkeren Anstieg der CO₂-Preise in eine harte soziale Schieflage gebracht werden. Dabei handelt es sich um eine Abgabe auf den Handel mit Benzin, Heizöl und Gas. Höhere Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung müssten über ein Klimageld an die Bevölkerung zurückfließen, fordert ver.di.

Auch beim öffentlichen Nahverkehr gibt es für die Politik erheblichen Handlungsbedarf, denn ausgerechnet dort herrscht ein dramatischer Mangel an ­Arbeitskräften. „In allen Tarifbereichen fallen heute täglich Busse und Bahnen aus, weil es nicht genug Personal gibt. Denn die Arbeitsbedingungen im ÖPNV sind weit davon entfernt, konkurrenzfähig zu sein. Die Verkehrswende benötigt auch eine echte Arbeitswende im Verkehr“, betont die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Christine Behle. Deshalb fordern ver.di und Fridays for Future gemeinsam: „Mehr Klimaschutz braucht mehr öffentlichen Personennahverkehr.“

17 Ziele, darunter auch Gute Arbeit

Auch international muss gehandelt werden. 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen haben bereits im Jahr 2015 mit der Agenda 2030 insgesamt 17 Nachhaltigkeitsziele verabschiedet. Deutschland hat sich ebenfalls dazu bekannt. Zu den vereinbarten Zielen gehören beispielsweise sauberes Wasser, saubere Energie, nachhaltiger Konsum, nachhaltige Produktion, aber auch menschwürdige Arbeit.

„Unternehmen können die Forderung nach guten Arbeitsbedingungen und ­fairer Bezahlung, nach Guter Arbeit also, nicht so leicht ablehnen, wenn sie zu den international vereinbarten Nachhaltigkeitszielen gehören, zu deren Einhaltung ein Unternehmen verpflichtet ist“, betont Dieter Schäfer, stellvertretendes Mitglied im ver.di-Gewerkschaftsrat und seit vielen Jahren in ver.di für Nachhaltigkeit aktiv (Interview auf Seite 20).

Die Erde bleibt für nachfolgende Generationen nur bewohnbar, wenn jetzt gehandelt wird. Was jetzt versäumt wird, kommt der Menschheit teuer zu stehen, denn die ­Natur kann immer weniger selbst kompensieren. Schon jetzt nehmen die Meere 4 Prozent weniger CO₂ auf als früher. Wird es noch wärmer, könnten sie bald mehr CO₂ abgeben als schlucken.

Die Schäden durch Hitzerekorde, Waldbrände und Überschwemmungen gehen längst in die Milliarden. Sind schließlich die sogenannten Kipppunkte erreicht, dann entsteht ein ­Dominoeffekt und die Schäden lassen sich nicht mehr rückgängig machen. Schwellenwerte dafür sind beispielsweise die großen Eisschilde auf Grönland und in der Westantarktis, der Amazonaswald, die Korallenriffe oder die Atlantikzirkulation, zu der auch der Golfstrom gehört. Weite Teile der Erde, ganze Küstenregionen werden dann unbewohnbar.

ver.di hat sich schon 2011 zu Nach­haltigkeit verpflichtet und die „ökofaire Beschaffung und Reduzierung von CO₂“ beschlossen. Auf ihrem Bundeskongress 2023 hat sich die Gewerkschaft erneut zu mehr Nachhaltigkeit verpflichtet. Mit diesem Ziel hat das ver.di-Bildungs­zentrum Brannenburg eine Photovoltaik-Anlage und ein Blockheizkraftwerk angeschafft, um die Emissionen zu senken, und das Bildungszentrum Mosbach hat auf einen nachhaltigen Zyklus umgestellt, mit Lieferanten, Mitarbeitern und Gästen, um Umwelt, Pflanzen, Lebewesen und Tierwelt zu schützen (mehr darüber auf den Seiten 18+19). Der Kollaps der Erde lässt sich noch aufhalten. Nur weitermachen wie bisher ist dabei keine Option.

Editorial: Nachhaltigkeit

Und es schmeckt doch

Wie schwer es fallen kann, auf Gewohntes zu verzichten, das hat das Team unseres ver.di-Bildungszentrums in Mosbach erlebt. In punkto Nachhaltigkeit wurde dort nämlich alles auf den Kopf gestellt, überprüft und umgestellt. Getroffen hat es auch das Buffet, von dem sich die Besucher*innen über viele Jahre bedient haben, heute müssen sie zwischen Tellergerichten wählen. Das hat vielen anfangs überhaupt nicht geschmeckt, aber die Vergeudung von Lebensmitteln konnte und kann so nahezu vermieden werden. Heute sind 90 Prozent der Mosbacher Besucher*innen voll begeistert von der leckeren Küche a lá Teller, der Nachhaltigkeit ganz nach ihrem Geschmack. pewe