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Zusammen für die 17 NachhaltigkeitszieleFoto: Christophe Gateau/picture alliance/dpa

ver.di publik: Was ist Nachhaltigkeit für Dich?

Dieter Schäfer: Ich beschäftige mich seit 2007 intensiv mit dem Thema. Das Prinzip der Nachhaltigkeit beruht auf drei Säulen: der ökologischen, der ökonomischen und der sozialen Säule. An die soziale Säule wird allerdings seltener gedacht, wenn man über Nachhaltigkeit spricht. Dabei gehört zum Beispiel „Gute Arbeit“ zu den 17 Nachhaltigkeitszielen, auf die sich die Vereinten Nationen (UN) im Jahr 2015 geeinigt haben. Gute Arbeit ist also nicht nur eine wichtige gewerkschaftliche Forderung, sondern auch ein globales Nachhaltigkeitsziel.

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Dieter Schäfer, 68 Jahre, war Verwaltungsbeamter in Oberhausen und ist seit 1975 aktives GewerkschaftsmitgliedFoto: privat

Können sich Gewerkschaft und Nachhaltigkeit also gegenseitig bestärken?

Nachhaltigkeit ist für mich ein ureigenes gewerkschaftliches Thema, das sich gut mit allen unseren Handlungsfeldern verknüpfen lässt. Wir sollten in unseren ­Arbeitskämpfen und Tarifauseinandersetzungen außerdem immer wieder betonen, dass sich auch Deutschland zu den 17 Nachhaltigkeitszielen der UN ­bekannt hat. Dann bekommen unsere gewerkschaftlichen Forderungen ein anderes Gewicht. Denn Unternehmen können die Forderung nach guten Arbeitsbedingungen und fairer Bezahlung, nach Guter Arbeit also, nicht so leicht ablehnen, wenn sie zu den international ­vereinbarten Nachhaltigkeitszielen gehören, zu deren Einhaltung ein Unternehmen verpflichtet ist.

Gelingt eine solche Argumentation in Tarifauseinandersetzungen?

Bei der angestrebten Mobilitätswende ist uns das schon gelungen. Im öffent­lichen Personennahverkehr (ÖPNV) sind die Arbeitsbedingungen derzeit nicht attraktiv, geringe Gehälter treffen auf Schichtdienste. Es herrscht erheblicher Personalmangel. Gleichzeitig brauchen wir einen funktionierenden öffentlichen Nahverkehr, um unsere klimapolitischen Ziele zu erreichen. ­Deswegen gibt es jetzt das Bündnis wir-fahren-zusammen.de von ver.di und Fridays for Future (FFF), die sich ja bekanntlich für schnelle und effektive ­Klimaschutz-Maßnahmen einsetzen. Gemeinsam fordern wir, auch in Tarifrunden, Vorfahrt für den ÖPNV. Wir brauchen mehr Mobilität für alle, einen gut finanzierten ÖPNV mit bezahlbaren Fahrpreisen bei gleichzeitig guten Arbeitsbedingungen und fairen Löhnen. Sonst finden wir keine Beschäftigten, die bereit sind, im ÖPNV zu arbeiten und die Mobilitätswende voranzutreiben.

Worauf legt ver.di Wert, wenn es um Nachhaltigkeit geht?

Als ver.di wollen wir zur nachhaltigen Transformation der Gesellschaft und der Arbeitswelt beitragen. Aber um für unsere Mitglieder und auch für interessierte Beschäftigte glaubwürdig zu sein, reicht es nicht, nur die richtigen Forderungen zu stellen. ver.di geht daher selbst mit gutem Beispiel voran.

Hast Du ein konkretes Beispiel?

Klar, denn wir haben uns als Organisation schon früh auf den Weg gemacht. Auf dem Bundeskongress 2011 wurde der erste Antrag zu ökofairer Beschaffung und zur Reduzierung von CO₂ beschlossen. Damit haben wir uns als ver.di selbst zu mehr Nachhaltigkeit verpflichtet. Aus dem Beschluss resultierte zum Beispiel die Ausstattung des ver.di-Bildungs­zentrums Brannenburg mit einer Photovoltaik-Anlage und einem Blockheizkraftwerk. Und auf dem Bundeskongress 2023 wurde mit dem Antrag H006 beschlossen, ver.di nach Möglichkeit bis zum Jahr 2030 als eine nachweislich klima­neutral arbeitende Organisation aufzustellen. Wir orientieren uns dabei an der Bundesregierung, die beschlossen hat, dass die Bundesbehörden bis 2030 klimaneutral arbeiten müssen. Das können wir als ver.di auch schaffen.

Und wie wird man eine klimaneutrale Organisation?

Zum Beispiel mit Hilfe des Umweltmanagementsystems Eco-Management and Audit Scheme (EMAS), das auch die Bundesbehörden zur Zertifizierung nutzen. Man kann sich als Organisation auf dem Weg zur klimaneutralen Organisation beraten lassen. Dabei geht es zum Beispiel um die Einsparung von Ressourcen wie Energie und Wasser, aber auch indirekte Umweltauswirkungen werden bewertet. Ich denke dabei wieder an die soziale Säule der Nachhaltigkeit. Später kontrollieren Umweltgutachter*innen die getroffenen Maßnahmen, so dass ­eine EMAS-Zertifizierung nicht zum Green-Washing missbraucht werden kann. Die EMAS-Zertifizierung gibt es schon seit fast drei Jahrzehnten, Transparenz wird bei diesem Prüf-Siegel großgeschrieben.

Das klingt nach großen Themen und vor allem nach viel Aufwand.

Natürlich ist es für eine große Organisation wie ver.di insgesamt viel Arbeit, sich auf den Weg zur Klimaneutralität zu ­begeben. Denn für eine solche Zertifizierung wird die gesamte Organisation bezüglich ihres CO₂-Ausstoßes noch systematischer auf den Kopf gestellt als bei der Selbstverpflichtung aus dem Jahr 2011. Aber zum einen freue ich mich persönlich darauf, an diesem Prozess mitzuarbeiten. Und zum anderen werte ich es als absoluten Erfolg, dass unser Bundeskongress diesen grundlegenden Schritt auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit beschlossen hat. Die nötige Transformation erreichen wir dabei nicht mit einem großen Schlag, sondern mit vielen aufeinanderfolgenden Maßnahmen. So verteilt sich die Arbeit des gesamten Prozesses auf einen längeren Zeitraum.

Welche Maßnahmen könnten im Rahmen einer EMAS-Zertifizierung auf ver.di zukommen?

Das Thema Abfall und Abfallvermeidung wird uns ganz sicher beschäftigen, Photo­voltaik-Anlagen auf weiteren ver.di-Gebäuden sind denkbar, genauso wie neue effektive Heizungsanlagen, die nicht nur weniger Emissionen ausstoßen, sondern perspektivisch auch die Kosten senken. Aber es gibt auch ganz viele ­kleinere Schritte, die zur Nachhaltigkeit beitragen. Das wird sich im Laufe des Zertifizierungs-Prozesses genauer zeigen.

Apropos kleine Schritte, hast Du Tipps für Interessenvertreter*innen, die in ihren Betrieben und Dienststellen für mehr Nachhaltigkeit sorgen wollen?

Steigen wir mal niedrigschwellig ein: Über ihre Mitbestimmungsrechte können Interessenvertretungen beispielsweise Einfluss auf die Beschaffung von Dienstkleidung nehmen. Eine Interessenvertretung kann sich dafür stark machen, dass nur Kleidung angeschafft wird, die aus fair produzierten Grundstoffen und unter fairen Arbeitsbedingungen gefertigt wird. Der Blick auf die gesamte Lieferkette ist hier entscheidend. Und ein etwas größerer Schritt wäre es, bei der Geschäftsführung eine EMAS-Zertifizierung anzuregen. Denn das ist auch für kleine und mittelständische Unternehmen und Organisationen möglich. Die Interessenvertretungen müssen dabei übrigens in den Prozess der EMAS-Zertifizierung und die zu treffenden Maßnahmen miteinbezogen werden. Das Charmante an der Sache ist: Wenn sich ein Betrieb in Sachen Nachhaltigkeit systematisch aufstellt, dann wird neben der ökologischen Säule der Nachhaltigkeit immer auch die soziale Säule mitgedacht. Ein EMAS-zertifizierter Betrieb kann sich nicht erlauben, die Arbeit seiner Interessenvertretung zu behindern. Deshalb empfehle ich allen Interessenvertretungen, auch in diese Richtung aktiv zu werden.

Interview: Maren Skambraks

17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung

Vereinte Nationen – Im Jahr 2015 haben die 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen die Agenda 2030 verabschiedet. Leitbild der Agenda 2030 ist es, allen Menschen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen und gleichzeitig die natürlichen ­Lebensgrundlagen dauerhaft zu bewahren. Dies umfasst soziale, ökonomische und ökologische Aspekte. Mit der Agenda 2030 hat die Weltgemeinschaft erstmals 17 global gültige Ziele für eine nachhaltige Entwicklung beschlossen. Auch Deutschland hat sich diesen Zielen verschrieben.

1. Keine Armut

2. Kein Hunger

3. Gesundheit und Wohlergehen

4. Hochwertige Bildung

5. Geschlechtergleichheit

6. Sauberes Wasser und Sanitärversorgung

7. Bezahlbare und saubere Energie

8. Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum

9. Industrie, Innovation, Infrastruktur

10. Weniger Ungleichheiten

11. Nachhaltige Städte und Gemeinden

12. Nachhaltiger Konsum und nachhaltige Produktion

13. Maßnahmen zum Klimaschutz

14. Leben unter Wasser

15. Leben an Land

16. Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen

17. Partnerschaft zur Erreichung der Ziele