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Es darf noch etwas Zucker sein – Sunnye Melles als ­Mutter Mimi am Rande eines Nerven­zusammenbruchsFoto: Degeto/ARD

Eine Serie über das Leben einer jüdischen Familie in Deutschland ist eine Idee, auf die lange niemand gekommen ist. Jetzt gilt sie als Schatz, der endlich gehoben wurde.

David Hadda, der junge Showrunner der Serie, also Autor und Junge für alles, erzählt bei einer Preview im Berliner Zoopalast von den Anfängen: „Mir war klar, dass der Name Zweiflers – so heißt eine Freundin – perfekt ist, weil in ihm so viel Ambivalentes steckt. Und ambivalent ist auch die Geschichte des Familienoberhaupts Symcha, der nach dem Krieg und dem KZ eben nicht nach Amerika oder Israel geht, sondern in Frankfurt bleibt und dort ­Karriere im Rotlichtviertel macht. Solche Biografien gab es natürlich nur ganz selten, aber es gab sie eben auch. Und es hatte etwas sehr Empowerndes, ein ­neues Narrativ neben dem Opfernarrativ zu erschaffen und von Menschen zu erzählen, die sich etwas genommen haben, was sie brauchten, um weiterzumachen.“

Die Serie dekonstruiert so gekonnt ­Klischees über jüdisches Leben, dass sie in Cannes – wohin das gesamte Team auf eigene Kosten mitgefahren war – mit stehenden Ovationen gefeiert und als beste Serie des Jahres ausgezeichnet wurde.

Hadda hat selbst eine jüdische Schule in Frankfurt besucht; später wechselte er auf eine allgemeine. Dort und bei einem Besuch in Kanada wurde ihm wiederholt die Frage gestellt: Wie kannst du als Jude in Deutschland leben?! Erst dann wurde ihm bewusst, dass sein Freundeskreis fast ausschließlich aus Kindern mit Migrationshintergrund bestand. Das änderte sich erst an der Uni in Heidelberg, dort waren es fast nur sogenannte Biodeutsche. Die stellten ihre Frage etwas anders: Wie ist es für dich, als Jude hier in Deutschland zu leben?

„Das waren Erlebnisse, mit denen ich mich stark auseinandergesetzt habe“, erzählt der Showrunner. „Und dann gab es da eine Titelstory von Spiegel GESCHICHTE, die hieß ‚Das unbekannte Leben von nebenan‘, und auf dem Cover abgebildet sah man zwei jüdische Menschen aus dem Shtetl. Da dachte ich, das ist also die Wahrnehmung von außen. Es liegt an uns, an diesem Bild endlich etwas zu ändern und neue Perspektiven zu ­zeigen.“

„Das wird dann untertitelt“

Also erstellte Hadda, ein begeisterter Fan der Serie „Sopranos“, zunächst ein kleines Konzept, das er der ARD Degeto vorlegte, einer Tochterfirma der ARD. Deren Redaktion war durch die Bank so begeistert, sie wollten die Geschichte sofort größer aufziehen.

Christoph Pellander ist Redaktionsleiter der ARD Degeto Film und liest sich jährlich durch rund 1.000 bis 1.500 Stoffideen, meist in Form von Pitches oder Kurzfassungen: „Das war mit David anders. Der schickte uns ein Potpourri aus Momenten und Familiengeschichten, die uns begeistert haben. Wir wollen ja gerade Geschichten erzählen, die alle Menschen betreffen und alle gleichermaßen abholen. Uns war schnell klar, das hier sind spezielle Geschichten mit universellen Konflikten. Ich bin sehr stolz darauf, dass uns dieser Stoff angeboten wurde, weil so etwas oft bei Netflix landet.“

Tatsächlich hat die Serie den typischen Netflix-Look. Die Kulisse für den Delikatessenladen der Zweiflers ist eine bekannte Äppelwoi-Kneipe in der Innenstadt der Main-Metropole Frankfurt. Und in der Serie wird natürlich auch international gesprochen. Wenn sich der leicht verpeilte Enkel Shmuel aus Berlin in eine talentierte ­Köchin verliebt, sprechen die beiden Englisch, auf Jiddisch verständigen sich ganz selbstverständlich die Großeltern, der Schwiegersohn spricht Russisch, auch ­Italienisch ist zu hören: „Das größte Geschenk war“, erinnert sich Hadda, „dass bei der ARD Degeto das Verständnis dafür da war, die Zweiflers authentisch erzählen und auch besetzen zu müssen. Die sagten nur, na klar, das wird dann untertitelt.“

Haddas größte Sorge galt der Besetzung der Großeltern Symcha und Lilka Zweifler. Die Gesuchten mussten muttersprachlich Jiddisch sprechen, alles andere merken die Juden in aller Welt sofort. Also verschickte Hadda Flyer an Theater, Institutionen und Museen in Israel und den USA. So stießen sie schließlich auf Mike Burstyn: „Und es stellt sich raus“, sagt Hadda, „dass er aus einer legendären ­jüdischen Theaterfamilie kommt. Mike hat mir auch Eleanor Raissa empfohlen, die seine Frau Lilka spielt. Die beiden kennen sich seit 40 Jahren, also die perfekte Basis, um dieses Ehepaar zu spielen.“

Auch der lange Casting-Prozess hat sich gelohnt. Martin Wuttke spielt den ­kriminellen Juden-Siggi mit der ganzen Präsenz eines Luden, Ute Lemper betritt spät, aber intensiv das Spielgeschehen, aber der Knüller ist Sunnye Melles als ­Mutter Mimi am Rande eines ewigen Nerven­zusammenbruchs. Sie holte sich die Rolle mit einer eigenen Regie-Idee, die sich nun als Running Gag durch alle Folgen zieht. So geräuschvoll beißt sie bei jeder Tasse Tee zunächst auf ein Stück Würfelzucker, dass sich dem Betrachter buchstäblich die Zahnwurzeln aufrollen.

Alle sechs Folgen in der ARD-Mediathek