weact_stoppt_dauerbefristung.jpg
Berlin, Juni 2024: wissenschaftliche Mitarbeiter* innen überreichen zehntausende Unterschriften gegen DauerbefristungenFOTO: SOFIE PUTTFARKEN/CAMPACT

Von einem Vertrag zum nächsten hangeln? Damit wollte sich die Politikwissenschaftlerin Frauke Banse nicht einfach abfinden, als sie ihre befristete Stelle an der Uni in Kassel antrat. „Was machen wir?“, fragte sie einen Kollegen. Für beide stand fest: „Wir wollen keine Karöttchen, wir wollen ans Eingemachte.“ Und startete vor sieben Jahren die Initiative Uni Kassel Unbefristet.

Mehr Dauerstellen an Hochschulen? „Das ist ein viel zu dickes Brett“, bekam Frauke Banse oft zu hören. Und: „Dieses System ist an Unis so fest verankert, daran beißt ihr euch die Zähne aus.“ Doch seither hat sich viel getan. Überall in Deutschland haben Beschäftigte ebenfalls Unbefristet-Initiativen gegründet und sich zur #IchBinHanna-Bewegung zusammengeschlossen. Die Mitgliedszahlen von ver.di an den Hochschulen steigen. „Das Bewusstsein hat sich sehr verändert“, sagt Frauke Banse, „wir bewegen was.“ Zwar zeichnet sich ab, dass die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, kurz WissZeitVG, nicht die erhofften Verbesserungen bringt. Trotzdem zeigen die Proteste gegen Befristungen erste Erfolge.

Der Durchbruch

Aktuelles Beispiel: Bei der Tarifrunde mit dem Land Hessen hat ver.di neben Lohnerhöhungen auch durchgesetzt, dass hessenweit 400 unbefristete Vollzeitstellen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Hochschulen eingerichtet werden. „Das ist ein richtiger Durchbruch“, betont Frauke Banse, die bei ver.di aktiv und Mitglied der Tarifkommission ist. „Endlich haben wir mit dem Thema tarifpolitisch einen Fuß in der Tür. Das war ein sehr langer Weg.“

Natürlich sei die Zahl der neuen Dauerstellen zu niedrig. Zudem sei der Fortschritt für Beschäftigte aus Technik und Verwaltung nur sehr gering, Kolleginnen und Kollegen in Drittmittelprojekten blieben letztlich außen vor. „Wir hätten uns viel mehr gewünscht. Aber der Abschluss zeigt, dass die Gewerkschaften – und damit wir Beschäftigte – nun mit am Tisch sitzen, wenn über Entfristungen verhandelt wird. Das galt lange als völlig ausgeschlossen.“

„Endlich haben wir mit dem Thema tarifpolitisch einen Fuß in der Tür. Das war ein sehr langer Weg.“
Frauke Banse, Mitglied der ver.di-Tarifkommission

Auch einzelne Hochschulen machen sich auf den Weg. So hat zum Beispiel das Institut für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin beschlossen, das Lehrstuhlprinzip abzuschaffen und auf eine sogenannte Departmentstruktur umzustellen, wie es auch international üblich ist. Dafür verzichten Professor*innen auf Stellen, die ihnen zugeordnet sind, und richten dafür Dauerstellen kollektiv beim Institut ein. „Das Beispiel zeigt: Veränderungen sind möglich“, sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter Daniel Fuchs vom Institut für Asien- und Afrikawissenschaften an der Humboldt-Universität. „Sogar, ohne dafür den rechtlichen Rahmen ändern zu müssen.“ Zunehmend vernetzten sich auch Professorinnen und Professoren, um sich für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen. „Dafür sind sie bereit, eigene Privilegien aufzugeben.“ Trotzdem steht für ihn fest: „Der Druck muss von unten kommen.“

An der Humboldt-Uni machten sich Beschäftigte jetzt dafür stark, dass auch andere Institute dem Beispiel folgten, kündigt Daniel Fuchs an. Unabhängig davon, welches Modell sich im Einzelfall am besten eignet. Eine Alternative zur Departmentstruktur könnten zum Beispiel auch unbefristete Dozent*innenstellen sein. Egal, wie: „Wichtig ist, dass sich endlich etwas an den prekären Bedingungen verändert“, betont Fuchs, der auch in ver.di aktiv ist. Immer nur befristete Verträge zu bekommen, sei extrem belastend.

80 Prozent befristet angestellt

„Ich leiste viel und mache meine Arbeit wirklich gerne.“ Doch dem 39-Jährigen fehlt eine dauerhafte Perspektive. Sein aktueller Vertrag endet in drei Jahren. Wie es danach weitergeht, weiß er nicht. Langfristig planen? Oder in Ruhe forschen? „Unmöglich“, sagt Daniel Fuchs. Seine Eltern haben beide selbst nicht studiert und sich gefreut, als ihr Sohn eine Stelle an der Uni bekam. „Sie dachten, dass es sich um einen guten Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst handelt.“ Doch über 80 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeite-r*innen sind nur befristet angestellt.

Daniel Fuchs ärgert, dass in der Debatte oft so getan werde, als würden sich wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die faule Haut legen, sobald sie einen unbefristeten Vertrag in der Tasche hätten. Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung hatte im Sommer 2021 ein Video veröffentlicht, in dem die Comicfigur Hanna erklärt, warum der schnelle Wechsel des Personals ein Vorteil für die Wissenschaft sei: „Damit nicht eine Generation alle Stellen verstopft.“ Die Empörung war riesig. Unter dem Hastag #IchBinHanna meldeten sich tausende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit befristeten Verträgen zu Wort und klärten über ihre Situation auf.

„Die Proteste haben eine breite Debatte angestoßen“, betont Sonja Staack, bei ver.di für Hochschulen zuständig. Und sie hätten dazu geführt, dass die Bundesregierung eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes angekündigt hat. „Das ist ein Erfolg der Bewegung. Doch die große Frage ist jetzt: Was kommt dabei rum?“ Ihrer Meinung nach braucht es unbedingt einheitliche Vorgaben für Entfristungen, damit es nicht einzelnen Hochschulen oder Instituten überlassen bleibt, ob sie mehr Dauerstellen einrichten – oder nicht.

Doch trotz heftiger Kritik habe die Wissenschaftsministerin Stark-Watzinger (FDP) einen Gesetzentwurf vorgelegt, der am eigentlichen Problem nichts ändert. Im Gegenteil. Die Novelle sieht vor, dass Postdocs künftig nicht mehr maximal sechs Jahre befristet werden dürfen, sondern nur noch vier Jahre. Anreize für mehr Dauerstellen sind hingehen nicht vorgesehen. „Dadurch würde sich das Problem nur verschärfen“, warnt die Gewerkschafterin. Noch sei das Gesetz immerhin nicht verabschiedet. Zunächst befasst sich der Bundestag damit.

Mitte Juni überreichte ein breites Bündnis, dem auch ver.di angehört, über 65.000 Unterschriften – mit der Forderung: Stoppt die Dauerbefristung in der Wissenschaft! „Das ist eine richtig große Nummer“, findet Sonja Staack. Bei der Aktion trugen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bunte Pappmasken mit dem Bild von #IchBinHanna vor dem Gesicht. Zudem hat ver.di eine Fotoaktion unter dem Motto „Befristung muss im Rahmen bleiben“ gestartet. „Jetzt kommt es darauf an, nochmal richtig Druck zu machen.“ Auch im Interesse der Wissenschaft. Sonja Staack verweist auf das aktuelle Wissenschaftsbarometer: Der Umfrage zufolge denken über 70 Prozent aller Postdocs mit befristetem Vertrag darüber nach, aus der Wissenschaft auszusteigen. „Ein Armutszeugnis.“

Dennoch steht auch für die Gewerkschafterin fest: „Es tut sich was!“ 400 Vollzeitstellen in Hessen seien ein Riesenschritt. „Und ein bundesweites Signal.“ Auch die Beispiele an einzelnen Hochschulen zeigten: „Es lohnt sich, vor Ort aktiv zu werden.“

Davon ist auch Frauke Banse überzeugt. Sie legt Wert darauf, die Forderung nach mehr Dauerstellen nicht auf wissenschaftliches Personal zu beschränken, sondern auch die Beschäftigten in Technik und Verwaltung einzubeziehen. Seit dem Tariferfolg sei klar, dass sich die Gewerkschaften nicht mehr allein mit unverbindlichen Gesprächen zu Befristung bei Kaffee und Keksen zufriedengeben. „Die Zeiten sind vorbei“, betont die Politikwissenschaftlerin.

Ihr eigener Vertrag als Lehrkraft für besondere Aufgaben ist inzwischen übrigens entfristet. „Alles andere war für die Uni nicht mehr zu halten.“

Hier geht’s zur Fotoaktion „Befristung muss im Rahmen bleiben“