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In der Regel sollte eine Schulassistentin nur für ein Kind zuständig seinFoto: Holger Hollemann/dpA

Es gibt Kinder, die brauchen Unterstützung, um am Schulunterricht teilnehmen zu können. Inklusion nennt man das. Die Gründe dafür sind vielfältig. „Autismus, Traumata, ADHS, aber auch die Unterstützung von Kindern, die zum Beispiel im Rollstuhl sitzen“, sagt Hajo Zingel. Schulassistent*innen machen es möglich, dass sie Klassen an Regelschulen besuchen können. Neben der individuellen Unterstützung gibt es in Bremen auch Klassenassistenzen für Inklusionsklassen.

In der Regel arbeiten in der Schulassistenz in Bremen Menschen mit pädagogischer, pflegerischer oder therapeutischer Ausbildung. Bundesweit jedoch schätzt Sarah Bormann, die bei ver.di auf Bundesebene für diesen Bereich ­zuständig ist, dass von den rund 60.000 Schulassistent*innen die Hälfte über keine einschlägige Ausbildung verfügt. Trotzdem machen sie einen super Job, jedoch oftmals schlecht bezahlt und zu grottigen Bedingungen, so die Gewerkschafterin.

Zingel ist mittlerweile freigestellter ­Betriebsrat beim Martinsclub, einem der Bremer Träger für Schulassistenz. Er selbst hat viele Jahre Kinder betreut und ihnen den Schulbesuch möglich gemacht. Mit Erfolg: Seine Schützlinge ­haben es weitgehend geschafft, nach Abschluss der Schule eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden.

In der Regel kümmert sich eine Person um ein Kind, sagt er. Allerdings gebe es mittlerweile Erprobungsphasen für sogenannte Poollösungen. „Das ist so schwierig wie gedacht“, sagt er zu den Bremer Erfahrungen. Denn die Schulassistenz ist eine Einzelmaßnahme, die für jedes Kind individuell beantragt und bewilligt werden muss. Poollösungen führten zum einen dazu, dass die Beziehungsarbeit leide, ein wichtiger Grundstein der Assistenzen. Zudem wolle man damit allzu oft kaschieren, dass nicht ausreichend Personal vorhanden ist. „Damit werden aber nur die Beschäftigten verheizt und verlassen oftmals den Job“, hat Zingel festgestellt.

Abgedeckt sind oft nur die Schulstunden

Oftmals sind es Teilzeitstellen, die nur die reinen Schulstunden abdecken. Da die Schulassistent*innen mit im Klassenraum sind, sind sie aber auch oft Ansprechpartner*innen für alle Kinder in der Klasse. Wichtige Kontaktpersonen sind auch die Lehrenden. „Wir achten zum Beispiel auch darauf, dass Lern­materialien für Kinder mit ADHS nicht zu bunt und zu wuselig sind oder organisieren einen Gehörschutz für Kinder, die sich durch Umgebungsgeräusche leicht ablenken lassen“, sagt Zingel. Aus den Lerninhalten halten sie sich jedoch raus.

Bezahlt werden die Schulassistent*innen in Bremen nach einem Haustarifvertrag, der sich an den Tarifvertrag der Länder anlehnt. Den haben sich die Beschäftigten im Martinsclub erkämpft. Zu ihren Erfolgen zählt auch, dass Befristungen die Ausnahme sind, und sie nicht mit Jahresverträgen arbeiten, mit denen sie vor den Ferien arbeitslos und nach Schulbeginn wieder neu eingestellt werden. Eine Praxis, die leider bundesweit immer noch in vielen Betrieben gang und gäbe ist.

In Reutlingen, in der Nähe von Stuttgart, arbeiten die Schulassistent*innen ebenfalls weitgehend Teilzeit, leisten jedoch einige Stunden mehr pro Woche, als ihr Arbeitsvertrag vorsieht. Diese ,Überstunden‘ feiern sie dann in den Schulferien ab. Gemeinsam mit den Urlaubstagen reicht es dann, um das ganze Jahr über angestellt zu sein. Tina Hüselitz arbeitet hier in einem Sonderpädagogischen Beratungs- und Bildungszentrum als Schulassistentin. In der Regel ist sie für ein Kind verantwortlich. Poollösungen werden auch hier erprobt, doch die Kolleg*innen lehnen sie weitgehend ab. „Wenn ein Kind die volle Aufmerksamkeit braucht, kann man sich nicht teilen“, sagt Hüselitz. Obwohl Reutlingen eine Großstadt ist, ist das Stadtgebiet eher ländlich geprägt und besteht aus vielen Teilorten. Das führt im Gegensatz zu ­einem Stadtstaat wie Bremen zu einer schlechteren Abdeckung, die Anfahrtswege sind oft weit.

Viele Quereinsteiger*innen hier arbeiten in der Schulassistenz. „Manchmal merkt man schon, dass da die vierjährige Fachausbildung fehlt“, sagt sie. Dennoch sei allen eins gemeinsam: „Unser Grundgedanke ist Inklusion.“ Man müsse schon schauen, was das einzelne Kind brauche. „Ich versuche, dieses Kind in die Klasse zu integrieren. Das heißt aber nicht, dass ich dauernd helfe und alles übernehme“, sagt sie. Aber sie unterstützt, damit das Kind seinen Möglichkeiten entsprechend selbstständig sein kann.

Kampf für bessere Bedingungen lohnt

In den vergangenen Jahren habe es oft an Schulassistent*innen gemangelt, auch wenn nach Angaben der Fachreferentin eines Trägers bei diesem im Sommer alle Stellen besetzt waren. Das war aber nicht bei allen Trägern der Fall, sagt Hüselitz. In Bremen waren nach Angaben von Zingel 2020 in allen Grundschulen 120 Stellen für Schulassistenz unbesetzt. Die Schulassistent*innen sind in Bremen wie in Reutlingen recht gut vernetzt, trotz ihrer eher ,vereinzelten‘ Arbeitssituation. Denn der Kampf für bessere Bedingungen lohne sich, sagt Hüselitz. So werde das, was ver.di in den Tarifrunden für den öffentlichen Dienst im Bereich Sozial- und Erziehungsdienst erkämpft, in Reutlingen eins zu eins an die Beschäftigten weitergegeben, etwa Regenerationstage.

Die Schulassistent*innen haben sich in ver.di zusammengeschlossen. Bundesweit fordern sie gute Arbeit statt prekärer Bedingungen, eine faire Bezahlung nach Tarifvertrag für ihre verantwortungsvolle Tätigkeit und eine auskömmliche Finanzierung durch die Kommunen. „Da die Beschäftigten oftmals stark vereinzelt sind, haben wir im letzten Jahr mehrere Online-Veranstaltungen angeboten, um die Beschäftigten über ihre grundlegenden Rechte zu informieren. Wir waren platt, wie hoch die Nachfrage war und was die Beschäftigten berichteten. In vielen Betrieben werden wichtige Gesetze zum Schutz der Beschäftigten, wie das Arbeitszeitgesetz und der Arbeits- und Gesundheitsschutz nicht eingehalten. Das wollen wir ändern“, sagt Sarah Bormann. Sie sieht neben den Arbeitgebern aber auch die Politik in der Verantwortung. Es bedürfe klarer Qualitätsstandards und einer besseren Finanzierung für diese so wichtige Arbeit.

Am 24. Oktober sollen in Berlin Gespräche mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) über die Tarifierung der Schulassistenz stattfinden. Sie gehen zurück auf eine Vereinbarung von ver.di und dem Arbeitgeberverband in der Tarifrunde für den Sozial- und Erziehungsdienst aus dem Frühjahr 2022.