Ausgabe 02/2025
Planet und Mensch im selben Boot

Ohne eine gesunde Erde kann es auch der Menschheit nicht gut gehen. Wir sind Teil der Natur und von ihr abhängig – trotz aller Technik. Deshalb müssen Umwelt- und Gesundheitspolitik konsequent zusammen gedacht werden, fordert der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU). Das Expertengremium unterstützt damit eine wissenschaftliche Richtung, die international zunehmend an Bedeutung gewinnt und unter dem Titel "One Health" firmiert.
Das heutige Gesundheitssystem erweist sich oft genug als eine Art Reparaturbetrieb für Krankheiten, die durch schlechte Luft, Klimaerwärmung, Chemikalien oder Lärm ausgelöst werden. Etwa 95 Prozent der städtischen EU-Bevölkerung sind Feinstaubkonzentrationen ausgesetzt, die über den Grenzwerten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) liegen. Allein in Deutschland kosten die winzigen Partikel jedes Jahr schätzungsweise 32.000 Menschen das Leben. Hauptquelle ist der Straßenverkehr. Der verursacht außerdem Lärm, der Anwohnende unter Dauerstress setzt und die Wahrscheinlichkeit von Herzinfarkten, hohem Blutdruck und Depressionen erhöht.
Auch die Klimaerwärmung und ihre Folgen machen krank. Bei Überschwemmungen wie der im Ahrtal werden Menschen verletzt, traumatisiert und manche sterben sogar. Die zunehmenden Hitzewellen führen zu mehr Arbeitsunfällen und schwächen insbesondere Ältere und Kranke. Der heiße Sommer 2022 forderte in Europa über 60.000 Menschenleben. "In vielen Kliniken und Pflegeeinrichtungen bräuchte es dringend bauliche Maßnahmen wie eine bessere Isolierung der Fassaden und Fenster, mehr Beschattung und Grünanlagen für die Patient*innen, Bewohner*innen und Beschäftigten", sagt Grit Genster, ver.di-Bereichsleiterin fürs Gesundheitswesen. Doch überall mangelt es an Geld – der Investitionsstau ist immens. Nötig wäre auch, die Notaufnahmen an besonders heißen Tagen personell besser auszustatten und klimatisierte Pausenräume für alle Beschäftigten einzurichten, betont Genster. Sie war eine der Hauptrednerinnen bei einer ver.di-Veranstaltung zum Thema "One Health", die von Engagement Global mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und der Postcodelotterie gefördert wurde.
Obwohl Deutschland etwa 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für das Gesundheitssystem ausgibt und damit international zur Spitzengruppe zählt, liegt die Lebenserwartung niedriger als in vergleichbaren Ländern. Ein zentraler Grund dafür ist, dass hierzulande weniger als zehn Prozent für Prophylaxe und Gesundheitsförderung ausgegeben werden. Die "zunehmende Profitorientierung von Gesundheitssystemen" sieht der Wissenschaftliche Beirat für globale Umweltveränderungen (WBGU) als wesentlichen Grund: Unnötige medizinische Eingriffe und Arbeitsverdichtung gehen zu Lasten von Patient*innen und Beschäftigten. Außerdem schaden die heute dominierende Landwirtschaft und eine viel zu fleisch- und zuckerhaltige Ernährung sowohl dem Planeten als auch der menschlichen Gesundheit, kritisiert der WBGU.
Dem Gesundheitswesen kommt deshalb häufig die Rolle des Ausputzers zu. Doch es trägt auch selbst zu den krankmachenden Strukturen bei. Das betrifft nicht nur das oft schlechte, weil völlig unzureichend finanzierte Essen in den Kliniken. Auch etwa fünf Prozent der klimaschädlichen Gase sind auf den Gesundheitssektor zurückzuführen. Neben schlecht isolierten Gebäuden frisst vor allem die Herstellung vieler Medikamente viel Energie.
Allein in Deutschland kosten die winzigen Feinstaubpartikel jedes Jahr schätzungsweise 32.000 Menschen das Leben. Hauptquelle ist der Straßenverkehr.
Zwar ist der hohe Standard bei der Versorgung mit Arzneimitteln unzweifelhaft eine große Errungenschaft. Doch bis heute spielen Umweltrisiken bei der Zulassung der Wirkstoffe so gut wie keine Rolle. Dabei gibt es längst zahlreiche Beispiele für fatale Wirkungen von Medikamenten auf Tiere. So eliminieren Kläranlagen das in vielen Schmerz- und Rheumamitteln verwendete Diclofenac nicht, was die Ökosysteme in Flüssen schädigt. Auch kam es deswegen schon zu einem Massensterben bei Vögeln.
Ohne Artenvielfalt mehr Epidemien
Die Corona-Pandemie hat einer breiten Öffentlichkeit erstmals bewusst gemacht, wie stark Mensch- und Tiergesundheit miteinander verbunden sind. Zoonosen sind Infektionskrankheiten, die Viren, Bakterien oder Pilze von einer Wirbeltierart auf eine andere übertragen. Warum die Wahrscheinlichkeit solcher Ausbrüche wächst, legte die international renommierte Wissenschaftlerin Kim Grützmacher auf der ver.di-Veranstaltung dar: Zoonosen hängen stark mit der Zerstörung natürlicher Lebensräume durch Entwaldung, Bergbau und Urbanisierung zusammen. Andererseits sind intakte Ökosysteme weit besser in der Lage, gefährliche Mikroorganismen in Schach zu halten und den Ausbruch von Epidemien unwahrscheinlicher zu machen. "Angemessene Rückzugsräume von 30 bis 50 Prozent der Erdoberfläche für eine sich selbst erhaltende Artenvielfalt sind dringend notwendig", so der WBGU. Das sei aus wirtschaftlicher Perspektive ebenfalls sinnvoll, betont Grützmacher. Schließlich ist der Schutz von Wäldern um ein Vielfaches billiger als die Bewältigung einer Pandemie.
Alles hängt mit allem zusammen
Auch eine Alternative zum aktuellen Ernährungssystem ist längst entwickelt. Eine interdisziplinäre Forschungsgruppe hat einen "Speiseplan für Mensch und Erde" (Planetary Health Diet) erarbeitet, mit dem eine wachsende Menschheit ernährt werden kann, ohne den Planeten weiter zu ruinieren. Jedem Menschen weltweit stehen demnach ausreichend Nährstoffe insbesondere in Form von frischem Gemüse, Hülsenfrüchten und Nüssen zur Verfügung. Tierische Produkte kämen dagegen nur in kleinen Mengen auf die Tische.
Die wissenschaftlichen Grundlagen für eine gute Zukunft existieren. Weil das menschliche Wohlbefinden untrennbar mit dem Zustand der Natur verbunden ist, muss sich auch das Gesundheitssystem als Teil des ökologischen Gesamtsystems begreifen. Umwelt, Landwirtschaft, sozialer Zusammenhalt, Bildung und Gesundheit sind nicht getrennte Sektoren mit einzeln abzuarbeitenden Problemlagen, sondern alles hängt mit allem zusammen.
Der One-Health-Ansatz verlangt deshalb eine integrierte Perspektive. Die gute Nachricht: Bei einer solchen Herangehensweise verstärken sich Verbesserungen gegenseitig. Und es gibt funktionierende Beispiele. Die Deutsche Bundes- stiftung Umwelt (DBU) hat 22 Projekte gefördert, die nachgeahmt werden können: Das reicht von CO₂-Bilanzen für Krankenhäuser über gute Ernährung in Pflegeheimen bis hin zu einer klimagerechten Gesundheitsberatung.
"Wir stehen an einem Scheidepunkt. Gesellschaft, Wirtschaft und Politik müssen Verantwortung übernehmen und eine umfassende Transformation in die Wege leiten, die zu einem gesunden menschlichen Leben auf einem gesunden Planeten führt", fordert der WBGU.
EDITORIAL
Gesundheit: Stark bleiben
Gesund bleiben ist gar nicht so einfach: Erhöhter Feinstaub in der Luft, vergiftete Gewässer, Hurrikans und Flutkatastrophen, überall lauern Gefahren. So viel ist klar, wer die Umwelt schützt, der schützt gesundes Leben für alle. Doch allzu oft interessieren sich skrupellose Unternehmen nur für den größtmöglichen Profit und nicht für Mensch und Umwelt. Zum Beispiel bei der Herstellung von billigem Fleisch mit ausbeuterischen Methoden. Dem hat der Gesetzgeber nun weitestgehend einen Riegel vorgeschoben. Andere Branchen können davon profitieren. Doch auch hinter vielen Gesundheitsversprechen im Internet steckt oft nur der Wunsch nach Profit. Hilfreich ist da ein starker Rücken – und eine gute Rückenschule. Marion Lühring