Ausgabe 02/2025
Wir sind immer da
Vor der dritten Verhandlungsrunde in der Tarifauseinandersetzung des öffentlichen Dienstes begründet Luna, eine Kollegin aus dem Klinikum Stuttgart , in einem Statement, warum sie und ihre Kolleg*innen für ausreichend Personal und gute Bedingungen für sich und die Patient*innen kämpfen. Hier ein Auszug:
"Ich möchte zu Beginn mit einem Argument der Covid-Pandemie kommen: Wir sind einer der ausschlaggebenden Gründe, weshalb die Covid-Zeit so schnell beendet werden konnte. Die Leistung, die wir oder auch grundsätzlich die Kolleginnen im öffentlichen Dienst erbracht haben, ist unbezahlbar. Wir haben reagiert, funktioniert und gestemmt. Mit uns haben alle essenziellen öffentlichen Dienste ,Deutschland den Arsch gerettet'. Wir haben dafür nur Applaus geerntet, Lavendelbüsche und Kulis erhalten – und wurden dann wieder vergessen. Und weil wir verhältnismäßig wenig fordern für die Wahnsinnsarbeit, die wir tatsächlich leisten, rufen wir euch auf, mit uns zu streiken.
Da oftmals während unserer Streiks von Gefährdung der Patienten an den Streiktagen gesprochen wird, möchte ich gleich mal mit ein paar harten Wahrheiten kontern. Aufgrund des durchschnittlichen Arbeitsaufkommens sind Patienten in Deutschland grundsätzlich fast immer und in fast jeder Klinik gefährdet. Zusätzlich jedoch werden Kolleg*innen in Situationen hineingeworfen, welche sie überfordern, sie überlasten und vor allem auch die eigene Gesundheit gefährden. Denn wer ist am Ende des Tages zu Hause und rutscht in Gedankenspiralen ab, ob das richtige Medikament, die richtige Dosis oder die richtige Einheit verabreicht wurde?
Es ist absolut verständlich, dass man sauer ist, wenn man sieben Stunden in der Notaufnahme sitzen muss, oder wenn die Angehörige seit zwei Stunden in ihrem eigenen Stuhlgang liegt, weil eine Pflegekraft mit einer Auszubildenden auf zum Beispiel 20 Patienten, zwei Notfälle, 15 Infusionen, die angehängt werden müssen, treffen, und außerdem wartet Herr Müller auf Platz 3 noch auf seinen Kaffee. (...) Gleichzeitig klingelt es auf Zimmer 5 und 7, eine Patientin, schreit nach ihrem Ehemann. Viermal in zehn Minuten klingelt das Telefon, zwei neue Zugänge sollten am besten sofort aufgenommen werden. Die neue Kollegin wird von einem Patienten unsittlich berührt. Das Essen muss verteilt werden, die Angehörigen hätten gern ein Gespräch. Zudem möchte man die Auszubildenden bestmöglich auf ihr Examen vorbereiten. Dafür ist zu selten Zeit. (...)
All das passiert zuhauf. Wir sehen es, auch in den Gefährdungsanzeigen. Wir kriegen es mit, wenn wir uns austauschen, diese Dinge passieren, und das nicht zu selten. Und während der Covid-Zeit wurden wir noch in die falschen Narrative des Heldentums gedrückt: Aber wir sind keine Heldinnen, denn von Heldinnen wird gefordert, sich zu opfern.
"Unsere Kolleg*innen sind Situationen ausgesetzt, in denen es nicht anders geht, als zu versuchen, irgendwie mit Ach und Krach den Tag oder die Nacht oder die Schicht zu überstehen. Hauptsache es stirbt niemand."
Luna, Klinikum Stuttgart
Unser Wohlergehen spiegelt sich zu 100 Prozent in dem Wohlergehen unserer Patient*innen wider. Und wer uns nach allen den Aussagen von Kolleg*innen über die letzten Jahrzehnte hinweg noch immer unterstellen möchte, geldgierig zu sein, den möchte ich daran erinnern, dass wir während der Covid-Zeit die gesamte Gesellschaft mit über Wasser gehalten haben.
Wir hätten alle geballt die Arbeit niederlegen können, hätten streiken und fordern können, was wir wollen und vor allem das, was wir wert sind. Aber das haben wir nicht, wir haben Euch nicht im Stich gelassen, wir waren für Euch da. Nun ist es Zeit, dass ihr, liebe Arbeitgeber, für uns da seid. (...) Wir streiken, aber dem Großteil der Kolleg*innen geht es eher darum, unsere Berufe um ein vieles mehr attraktiver zu machen. Dass vor allem die 1,2 Millionen qualifizierten Arbeitskräfte in Kliniken in Deutschland, die eine entsprechende Ausbildung besitzen, aber aufgrund der prekären Arbeitsbedingungen nicht mehr im Beruf arbeiten, einen Grund haben, zurückzukehren. (...)
Wir behandeln Menschen in ihren ersten Stunden ebenso wie in ihren letzten Minuten und Sekunden. Wir halten die Hände von Hundertjährigen und begleiten Eltern und Angehörige bei dem letzten Atemzug ihres Kindes. Es ist Eure Gesellschaft, es ist Eure Familie, für die wir hier kämpfen. Es seid letztendlich ihr selbst, für die ihr kämpft, wenn ihr für uns kämpft.
Dass ein Klinikum Profit generieren muss, ist widerwärtig. Dass wir uns mit Eurer Gesundheit finanzieren müssen, beschämt mich zutiefst. Aber bitte, uns geht es im Kern nicht ums Geld. Uns geht es nicht darum, gute Zahlen zu schreiben. Das ist nicht das Ziel des Durchschnittsmitarbeitenden. Wir wollen Eure Familienmitglieder, Mütter, Väter, Omas, Opas, Töchter, Tanten, Söhne und Onkels adäquat versorgen, liebevoll pflegen können (...). Für all das brauche ich Zeit. Wir stempeln Patient*innen ab, wir stecken sie in Schubladen, weil wir keine Zeit haben, auf sie einzugehen. Wir haben zu wenig Ressourcen, es ist jedes Mal zu kurz, überall ist es zu kurz und es zieht uns immer tiefer in den Sumpf, und das seit Jahrzehnten. Unsere Kolleg*innen sind Situationen ausgesetzt, in denen es nicht anders geht, als zu versuchen, irgendwie mit Ach und Krach den Tag oder die Nacht oder die Schicht zu überstehen. Hauptsache es stirbt niemand.
Ob der Kollege einen Schluck getrunken hat in dieser Schicht, interessiert niemanden. Ob die Kollegin Zeit hatte, ihren Tampon zu wechseln, interessiert niemanden. Ob die Patientin in der depressiven Phase sich allein in den Schlaf weint, weil durch Zeitmangel keine Gesprächsangebote gegeben werden konnten, interessiert niemanden.
Ich bin hier, weil ich meinen Beruf liebe. Ich bin hier, weil es mir am Herzen liegt, die Arbeit, die so viele von uns mit einer feurigen Leidenschaft ausführen, zu beschützen, zu unterstützen. Gerechter Lohn für die Ärztinnen, die Pflegenden, für die Kolleg*innen in der Logistik, in der Apotheke, in der Küche, in den Kitas, Physios, Kiosk, Patientenbegleitung, in der Dialyse, überall!
Denn die Realität der Krankenhäuser sieht dunkel aus. Das muss nicht sein. Wir balancieren Leben und Tod konstant: Wir ermöglichen in dem einen Zimmer einer Familie einen würdevollen Abschied , zwei Minuten später müssen wir den nächsten Patienten motivieren, das Atemtraining durchzuziehen, mit dem Leben weitermachen zu wollen.
Es ist vor allem auch die große emotionale und psychische Last, die oftmals nicht gesehen wird. All das bedarf Zeit! Rein menschlich betrachtet muss ich doch Zeit bekommen, nach jemandes Ableben einen Moment innehalten zu können. Der wird uns nicht gegeben. Durch die Arbeitsbedingungen wird ein Maß der Gleichgültigkeit gefördert, mit dem wir nicht leben und arbeiten wollen und vor allem müssen.
Gleichzeitig erwartet man auch von uns das höchste Maß an Professionalität, Respekt, Fürsorgesicherheit und Zuspruch. Und das ist alles richtig, aber unter diesen Bedingungen einfach unmöglich. Das ist keine faire Arbeit und vor allem ist sie auch unfair euch gegenüber, denn unsere Arbeit hat nicht nur Auswirkungen auf mich als Individuum. Unsere Arbeit betrifft uns alle. Als Gesellschaft müssen wir wieder anfangen, mehr füreinander da zu sein. Denn wie sollen wir etwas geben, was wir nicht einmal für uns haben, ohne uns selbst ins eigene Fleisch zu schneiden? Das machen Heldinnen. Ich bin keine Heldin, ich bin eine Pflegekraft, eine Krankenschwester, eine Gesundheits- und Krankenpflegerin. Wir sind immer da – 365 Tage im Jahr, 24 Stunden, sieben Tage die Woche.
Ich habe das Privileg, einen der schönsten Berufe auszuüben. Die Arbeit, die wir hier im Klinikum Stuttgart leisten, ist unendlich wertvoll. Sei es die Reinigungskraft, ohne die wir gar keine Patienten aufnehmen könnten. Die Patiententransporteure, die sich die Füße wund laufen, die Notaufnahme, die einen Großteil der ganzen Notfälle und Nicht-Notfälle abdeckt, die Logistik, die uns unsere Materialien bringt, die Apotheke, die uns Medikamente liefert, die Kita, in der Kolleginnen auf unsere und Eure Kinder aufpassen, die Physiotherapeutinnen, die unsere Patienten mobilisieren, die Atemtherapeuten, die Patienten wieder atmen lassen, die Logopäden, die Patienten wieder zum Schlucken bringen. Wir haben soziale Berufe gewählt. Weil wir Menschen helfen wollen.
Wo bleibt dann also der Respekt und die Wertschätzung durch ein angemessenes Angebot von Euch Arbeitgebern?"