Ausgabe 03/2025
Auf die Barrikaden

Tanja Kinkel: Im Wind der Freiheit
Wer Demokratie will, der darf die eine Hälfte der Menschheit, die Frauen, nicht vergessen. Davon war Louise Otto überzeugt, die vor zweihundert Jahren gelebt und für Frauenrechte gekämpft hat. Bestsellerautorin Tanja Kinkel stellt diese starke Frau in den Mittelpunkt ihres spannenden neuen Buches.

Der Roman spielt vor den historischen Ereignissen von 1848, als sich die Menschen im Deutschen Bund erstmals gegen die Macht der Fürsten und die Zensur erheben. Die junge Louise hat ihren eigenen Kopf und lehnt nach dem Tod ihres Vaters männliche Vormundschaft ab. Sie will das Denken nicht "dem nächstbesten Mann überlassen". Durch ihr Erbe wird sie finanziell unabhängig und beginnt zu schreiben: Romane über Not und Elend der Arbeiterinnen und auch Zeitungsartikel für die oppositionellen Sächsischen Vaterlandsblätter, die Robert Blum seit 1840 herausgibt. Der Aktivist und spätere Politiker ermutigt sie, ihre Autorenschaft nicht hinter einem männlichen Pseudonym zu verstecken.
Die zweite wichtige Figur im Buch ist Susanne Grabasch, eine mittellose Arbeiterin. Sie sucht Hilfe für eine in der Tuchfabrik verunglückte Freundin und wird für Louise zur wichtigen Informationsquelle für deren Recherchen. Kinkel erzählt abwechselnd aus der Perspektive der beiden Frauen, was das Geschehen zum Krimi macht, denn die Frauen haben mächtige Gegner. Bald findet Louise, dass Frauen nicht nur in die Zeitungsredaktionen, sondern auch ins Parlament gehören. Dort ist Robert Blum inzwischen einer der führenden Köpfe der Demokraten. Doch sie kann bei der Nationalversammlung nur heimlich hinter dem Vorhang lauschen. Die Fabrikarbeiterin Susanne hat ganz andere Sorgen, sie braucht "gute Löhne, gute Arbeit, bei der man sich nicht zu Tode schindet …"
Als Susanne auch noch diesen Job verliert, muss sie einen gefährlichen Auftrag annehmen. "Prinzipien muss man sich leisten können", sagt sie zu Louise. Aber auch die ist nicht gänzlich frei. Sie wird zensiert, von Spitzeln verfolgt, mit Gefängnis und Tod bedroht. Der Weg der beiden Frauen im ersten Aufwind der Demokratie, er ist vor allem ein Kampf für Gleichberechtigung und Selbstbestimmung – ob im Parlament, in den Fabriken oder in den Betten. Der Rest ist Geschichte: Die Revolution von 1848/49 scheitert, viele Menschen sterben, und doch gibt die Autorin am Ende dieses erhellenden Romans einen versöhnlichen Ausblick. Marion Lühring
HOFFMANN UND CAMPE 2025, 479 S. 26 €
Yannic Han Biao Federer: Für immer seh ich dich wieder
Wer einen autofiktionalen Text schreibt in einer Zeit, da es zum guten Ton gehört, öffentlich die vermeintliche Flut ebensolcher Bücher zu beklagen, braucht Mut.

Mehr als Mut erfordert es, wer diesen Text dem Schlimmsten widmet, das einem Menschen zustoßen kann. Yannic Han Biao Federer hat seinen Sohn verloren. Gustav Tian Ming starb im Mutterleib. Wie Worte finden für das, was einen sprachlos macht? Wie der Gefahr des Voyeurismus entgehen? Wie dem Vorwurf des Missbrauchs der Literatur zur Psychotherapie begegnen? Es zeugt vom Selbstbewusstsein und dem Können des Autors, dass er sich um diese Fragen kaum zu scheren schien, sondern einfach den bestmöglichen Text zustande bringen wollte. Und das ist ihm gelungen. Detailliert beschreibt er, wie das Kind per Kaiserschnitt geholt werden muss. Wie sie das tote Baby tagelang bei sich behalten, Besuch empfangen, wegen bürokratischer Pflichten kaum Zeit finden zu trauern. Wie Yannic noch in Schockstarre beginnt, diese "Literatenstimme" im Kopf zu hören, als wäre das alles eine Recherche. Und wie es am Ende gelingt, weiterzuleben. Dieses Buch bringt einen emotional an die Grenzen. Doch ist es keine Elegie, sondern eine wundersame Hymne an das Trotzdem. Christian Baron
SUHRKAMP NOVA, 184 S., 20 €
Kaliane Bradley: Das Ministerium der Zeit
Eigentlich ist diese literarische Kombination undenkbar: ein Science-Fiction-Roman und eine Romantische Komödie, umgesetzt in einer hochwertigen Sprache, mit philosophisch-ironischem Unterton.

Kaliane Bradley hat sich dennoch an diesen Mix gewagt und daraus einen der originellsten Romane des Frühjahres gezaubert. Der Plot spielt in naher Zukunft, in der die britische Regierung mit Zeitreisen experimentiert. Sie holt fünf reale Menschen aus der Vergangenheit, die sich nun im London der Gegenwart akklimatisieren sollen. Damit sie diese Herausforderung nicht allein bewältigen müssen, werden ihnen professionelle Betreuer*innen zur Seite gestellt. Denn wer nur Pferdekutschen kennt, weiß ja nicht, wie man mit Autos, Toilettenspülungen, Spotify und Handys umgeht. Im Mittelpunkt des Romans stehen ein Polarforscher aus dem 19. Jahrhundert und seine Betreuerin, eine moderne Britin. Beide leben vorübergehend zusammen in einem Haus, und zu ihrer eigenen Verwunderung verliebt sich die Frau in ihn. Dem Mann geht es umgekehrt genauso, und somit entsteht Schritt für Schritt eine verblüffende Liebesgeschichte mit allerlei Hindernissen. Günter Keil
Penguin Verlag, Ü: Sophie Zeitz,
384 S., 24 €