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Die Bürgerämter arbeiten unter Vollast. Überall fehlt es an klaren Zusagen, dass mehr Personal kommtFoto: Christian Charisius/dpa

Das Vertrauen in die Demokratie wird dort gestärkt, wo Politik sichtbar handelt – für bessere Arbeitsbedingungen, für bezahlbaren Wohnraum, für soziale Gerechtigkeit. Für ver.di ist deshalb maßgebend, was der Koalitionsvertrag tatsächlich für die Menschen in Hamburg bringt, die dort leben und arbeiten.

Erstmal gut klingt, dass der Koalitionsvertrag gleich in der Präambel verspricht, dass sich alle das Leben in Hamburg leisten können sollen. Wir als Gewerkschaft teilen dieses Ziel. Aber schöne Worte zahlen noch keine Miete.

SPD und Grüne haben sich viel vorgenommen auf dem Papier, doch an entscheidenden Stellen fehlt ihnen der politische Mumm, der aus Ankündigungen echte Veränderungen macht. Und oft auch der Wille zur Klarheit.

Beispielsweise ist die Hamburg-Zulage nur ein halber Schritt. Das reicht nicht. Dass bestimmte Tätigkeiten in den Bezirksämtern besser bezahlt werden sollen, ist ein Anfang – aber noch kein Durchbruch. Man kann nicht am Rand ein bisschen Öl schmieren, wenn das ganze Getriebe klemmt. Eine echte Hamburg-Zulage, die alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst der Länder entlastet, ist überfällig. Sonst wandern die Fachkräfte weiter – und die Stadt verliert an Substanz.

Ein weiteres Beispiel, wo es am Willen fehlt, ist das Hamburger Tariftreuegesetz. Es darf nicht länger auf eine Regelung aus Berlin warten. Gebraucht wird jetzt ein politisches Signal statt einer Blaupause. Das heißt, öffentliche Aufträge gehören in tarifgebundene Hände. Punkt.

Auch die Entlastung für belastete Bereiche muss klarer angegangen werden. Ob Pflege, Kita, Stadtreinigung, Bürgerämter – überall wird längst unter Volllast gearbeitet. Der Koalitionsvertrag nennt zwar die Entlastung besonders beanspruchter Bereiche – bleibt aber unkonkret: kein Zeitplan, keine Zahlen, kein Nachdruck. Wir sagen: Das reicht nicht. Wir brauchen klare Zusagen, mehr Personal, bessere Bedingungen für eine funktionierende öffentliche Daseinsvorsorge – und zwar gestern.

Das Bekenntnis zur Integration ausländischer Fachkräfte und Geflüchteter ist zwar ein starkes Signal – gerade in Zeiten, in denen Abschottung wieder salonfähig wird. Tarifbindung und faire Arbeitsbedingungen dürfen dabei keine Fußnote bleiben.

Der öffentliche Nahverkehr muss jetzt angeschoben werden. Die kostenlosen Schüler*innen-Tickets beizubehalten ist hier eine sinnvolle Maßnahme. Auch der angekündigte Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs zeigt in die richtige Richtung. Doch klar ist auch: Eine sozial und ökologisch notwendige Verkehrswende braucht mehr als Ankündigungen. Wer es mit der Mobilitätswende ernst meint, muss jetzt investieren: in Taktung, Personal und Infrastruktur. Alles andere bleibt Stillstand.

Bei der Krankenhausreform darf ebenfalls nicht gezaudert werden. Dabei müssen die Beschäftigten beteiligt werden. Mehr Qualität in der Versorgung geht nur mit ihnen. Sie kennen die Realität auf den Stationen. Eine Reform, die ohne sie geplant wird, ist keine Lösung, sondern ein Rückschritt. Qualität in der Gesundheitsversorgung entsteht nicht auf dem Papier, sondern durch die Arbeit der Menschen, die jeden Tag Verantwortung tragen. Ihre Interessen müssen ernst genommen werden – in jedem Reformschritt.

Verpasste Chance

Und dass der 8. Mai in Hamburg kein gesetzlicher Feiertag zum 80. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus wurde, ist eine verpasste Chance, Haltung zu zeigen. Dieses Datum ist Mahnung und Verpflichtung zugleich – im Jahr 2025 genauso wie in Zukunft. Wer Verantwortung für die Demokratie übernehmen will, muss auch die Geschichte sichtbar machen. Wir bleiben dabei: Der 8. Mai muss ein Feiertag werden – für eine würdige, zukunftsgerichtete Erinnerungskultur.

100 Tage – mehr Zeit gibt es nicht, um erste Zeichen zu setzen. Die Schonfrist ist kurz, der Erwartungsdruck hoch. Wir zählen mit. Anfang August schauen wir genau hin, was umgesetzt wurde, wo etwas in Bewegung gekommen ist, was Rhetorik geblieben ist. Hamburg braucht eine Politik des Handelns – für die Menschen, die diese Stadt täglich am Laufen halten. Sandra Goldschmidt,

ver.di-Landesleiterin Hamburg