Ausgabe 03/2025
„Wir sind alle gleich“

"Rücken krumm, Tasche leer – CFM, danke sehr", schallt es Mitte Mai lautstark durch die Straßen vor der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit. Hunderte Beschäftigte der Charité Facility Management GmbH (CFM) haben sich versammelt, um ihre zentrale Forderung kundzutun: "TVöD für alle an der Spree!" Endlich sollen auch die Beschäftigten der Servicetochter des Berliner Uniklinikums nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) bezahlt werden – so, wie ihre bei der Charité angestellten Kolleg*innen. Und so, wie es die schwarz-rote-Landesregierung und der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) von Berlin, durch die die Spree fließt, bereits vor zwei Jahren versprochen haben.
"Mein 16-jähriger Sohn fragt mich: Mama, warum musst du fast jedes Wochenende arbeiten, warum lässt du dir das gefallen?", erzählt die Küchenkraft Agnieszka Jastrzebska bei der gewerkschaftlichen Konferenz "Gegenmacht im Gegenwind" Anfang Mai in Berlin. "Ich will ihm beweisen, dass es sich lohnt, morgens zur Arbeit aufzustehen – dass es sich lohnt, ein guter Mensch zu sein." Agnieszka hat sich ver.di angeschlossen, weil sie sich nicht mehr mit einer Bezahlung abfinden will, die bis zu 700 Euro monatlich unter dem TVöD liegt. Über 1.400 ihrer Kolleginnen und Kollegen haben denselben Schritt getan. Im Alltag sorgen sie in der Logistik, Reinigung, Küche, Technik und anderen Bereichen dafür, dass die Klinik läuft.
Seit Mitte April sind sie schon im Erzwingungsstreik, für den sich zuvor in einer Urabstimmung 99,3 Prozent der ver.di-Mitglieder ausgesprochen hatten. Nahezu täglich gehen Hunderte auf die Straße, machen ihrer Wut Luft. "Wir werden wie Menschen zweiter Klasse behandelt", sagt Agnieszka. "Wenn ich streike, spüre ich meine Stärke, und die meiner Kolleginnen." Bei der CFM arbeiteten Beschäftigte aus aller Welt – und hielten zusammen. "Wir sind alle gleich. Wir haben dieselben Probleme, dieselben Träume – egal, aus welchem Land wir kommen, welche Hautfarbe wir haben oder an welchen Gott wir glauben."
Nicht nur innerhalb der CFM, auch von außen kommt eine enorme Solidarität. Beschäftigte der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), des kommunalen Klinikkonzerns Vivantes und anderer Betriebe sammeln Geld für die Streikenden. Patient*innen, Studierende und viele andere unterstützen die CFMler*innen. "Ohne die CFM würde die Charité nicht funktionieren", betont die Krankenpflegerin Franziska Aurich auf einer Streikkundgebung. "700 Euro weniger als im TVöD – das ist eine Frechheit! Ihr habt so viel mehr verdient für die wertvolle Arbeit, die ihr leistet."
Große Solidarität
Diese Botschaft ist offenbar auch bei den politisch Verantwortlichen angekommen. Der Regierende Bürgermeister Wegner hat ein Stufenmodell vorgeschlagen, mit dem die Löhne schrittweise an den TVöD angeglichen werden sollen. Genau das hatte zuvor die ver.di-Tarifkommission angeboten. Und der Druck hat auch bei der Leitung von Charité und CFM Wirkung gezeigt: Über eine schrittweise Angleichung der Entgelttabellen an den TVöD wurde am 26. Und 27. Mai wieder verhandelt. Bei den sonstigen Arbeitsbedingungen, die im Manteltarifvertrag geregelt sind, soll es allerdings nur um einzelne Verbesserungen gehen.
Ein Wermutstropfen ist die Bedingung der Vorstände, den Streik während der Verhandlungen auszusetzen. Nach intensiven Debatten akzeptierte dies eine Streikversammlung mit über 300 Teilnehmenden. "Mit der Entscheidung, den Streik auszusetzen, geben wir der CFM und der Charité einen sehr großen Vertrauensvorschuss", betont die Diätassistentin Anne Ruback. "In den Diskussionen wurde jedoch auch deutlich, dass wir sofort wieder auf der Straße stehen, wenn die CFM in den Verhandlungen weiter blockiert."
Bislang hatte die Verhandlungsspitze der CFM nur ein Angebot vorgelegt, das zwar Lohnerhöhungen vorsieht, die Ungleichbehandlung und Spaltung der Charité-Belegschaft aber zementieren würde. Statt den Ball des Regierenden Bürgermeisters aufzunehmen, hatte sie zudem die für den 15. Mai geplanten Verhandlungen abgesagt.
Die Absage sei nicht nur ein Affront gegen die Beschäftigten gewesen, sondern auch gegen Wegner und die Landesregierung, erklärte ver.di-Verhandlungsführerin Gisela Neunhöffer. Der Senat müsse als Eigentümer von Charité und CFM dafür sorgen, dass die politischen Zusagen umgesetzt und eine Lösung am Verhandlungstisch gefunden werden.
Spendenaufruf für die Streikenden der CFM: gofundme.com/f/streikunterstutzung-fur-die-beschaftigten-der-cfm
Foto: privat

Das Mammutziel ist erreichbar
„Kurze Information, Dank und vielleicht auch Motivation an euch alle […]: Von Samstag bis Sonntag nahm ich am Mammutmarsch teil. Ich bin 100 Kilometer marschiert und habe dafür 24 Stunden gebraucht. Dieses Jahr hatte ich zwar keine Gelegenheit, mich auf diesen Marsch vorzubereiten, da ich, wie viele von euch, jede freie Minute dem Streik widme. Die Energie, Entschlossenheit und Kraft, die ich jeden Tag auf dem Streikposten beobachtete, gaben mir jedoch unglaubliche mentale Stärke. Obwohl es Momente gab, in denen ich dachte, ich könnte nicht mehr, es sei das Ende, genügte es mir, mich an all die Streikenden zu erinnern, an ihre Entschlossenheit, ihr Engagement, aber auch an ihre Opferbereitschaft. Ich möchte nur sagen: Auch wenn es vielen unmöglich oder dumm erscheint, reicht es, wenn wir wirklich an etwas glauben, und wir werden es trotz vieler Opfer erleben. Es muss klappen. Zum Schluss noch ein kurzes Zitat von Mohamed Ali: „Gib nicht auf. Leide jetzt und lebe den Rest deines Lebens wie ein Champion.“ Agnieszka Jastrzebska, CFM-Beschäftigte
Die wichtigsten Fragen & Antworten
Warum sind die Dienstleistungen an der Charité überhaupt ausgegliedert?
Um Geld zu sparen. Europas größtes Universitätsklinikum hat 2005/2006 fast alle Tätigkeiten außerhalb von Medizin und Pflege in der Charité Facility Management GmbH gebündelt und ausgegliedert. Der Zweck: Tarifflucht! Neue Beschäftigte wurden ohne tarifvertraglichen Schutz, zu deutlich schlechteren Bedingungen eingestellt. Davon profitierten auch die Privatunternehmen Vamed, Dussmann und Hellmann, die 49 Prozent der CFM-Anteile kauften. Seit dem 1. Januar 2019 ist die CFM wieder vollständig im Besitz der Charité und damit des Landes Berlin. Das Outsourcing an der Charité und anderswo ist eine Folge des Finanzierungssystems, das alle Krankenhäuser unter permanenten Kostendruck setzt.
Wie verhält sich der Berliner Senat?
Mehrfach haben Berliner Landesregierungen versprochen, die Tochterunternehmen der Krankenhäuser – neben der Charité hat auch der kommunale Klinikkonzern Vivantes etliche Tätigkeiten ausgegliedert – wieder in die Muttergesellschaften zurückzuführen. Doch ob rot-rot-grün oder schwarz-rot – keine der Koalitionen setzte dies tatsächlich um. Auch der aktuelle Regierende Bürgermeister Kai Wegner versprach nach seiner Wahl die "schnellstmögliche" Rückführung der Tochterunternehmen, was auch die Übernahme des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) bedeuten würde. "Das ist eine feste Zusage dieser Koalition und wir werden das auch machen", sagte der CDU-Politiker 2023 bei einem Arbeitnehmerempfang im Roten Rathaus. Doch bislang hat er dieses Versprechen nicht eingelöst. Deshalb nehmen die CFM-Beschäftigten ihr Schicksal selbst in die Hand und streiken für den TVöD.
Warum ist es so schwer, den TVöD durchzusetzen?
Von Beginn an war die CFM-Belegschaft gespalten in Altbeschäftigte und Neueingestellte. Erstere haben einen Arbeitsvertrag mit dem Klinikum, für sie gilt der TVöD. Die neuen Kolleg*innen werden deutlich schlechter bezahlt und arbeiten oft unter prekären Bedingungen, mit befristeten Arbeitsverträgen oder in Teilzeit. Dennoch haben sie in den vergangenen Jahren immer wieder versucht, Lohnerhöhungen mit teils wochenlangen Arbeitskämpfen durchzusetzen. So haben sie Verbesserungen erreicht, die Bezahlung liegt aber weiterhin um bis zu 700 Euro im Monat unter dem TVöD-Niveau. So kraftvoll wie aktuell hat die CFM-Belegschaft allerdings noch nie gekämpft. Dadurch hat sie erreicht, dass nun zumindest über die Angleichung der Entgelttabellen an den TVöD verhandelt wird.