Ausgabe 04/2025
Vorteil für ver.di

Tarifabschlüsse sind das Kerngeschäft von ver.di. Es gibt Haus-, Branchen- und Flächentarifverträge. Kritisiert wird zurecht, dass sie in der Regel auch für die Beschäftigten gelten, die sich aus den unterschiedlichen Gründen nicht zur Gewerkschaft bekennen. Um auch Unentschlossene zu überzeugen, hat die AVEU-Tarifkommission einen Vorteil für ver.di-Mitglieder ausgehandelt.
Der AVEU ist der Arbeitgeberverband energie- und versorgungswirtschaftlicher Unternehmen e.V.. Zu diesem Arbeitgeberverband gehören 130 Mitgliedsunternehmen in Ostdeutschland, vor allem aus den Bereichen Strom, Gas, Wasser, Fernwärme, Abwasser und Brennstoffe. Dazu zählen unter anderem die Stadtwerke Leipzig, die Thüringer Energie AG, die SachsenEnergie AG, die Stadtwerke Weimar, die Stadtwerke Lutherstadt Wittenberg, die VNG AG und die Energie und Wasser Potsdam GmbH.
Wenn die Arbeitgeberseite den ver.di-Argumenten nicht folgen kann (oder will), entscheiden die Mitglieder, mit welchen Mitteln sie die Gegenseite überzeugen. Zwei Warnstreiktage an verschiedenen Orten und eine Vielzahl von Hintergrundgesprächen brachten ein Ergebnis, das neben Entgelterhöhungen und Zuschlagsregelungen eine Mitgliedervorteilsregelung enthält.
"Die bisherigen Freistellungsregelungen sollten modifiziert werden und unseren Mitgliedern einen spürbaren Vorteil bringen", sagt Tobias Bittner, frisch gewähltes Aufsichtsratsmitglied, seit 2018 bei den Leipziger Stadtwerken als Projektingenieur Teil eines Teams im Bereich Nahwärmeanlagen. "Eine Mitgliedervorteilsregelung kannten wir bereits bei der LEAG oder bei Vattenfall. Das sind aber keine Flächentarifverträge wie der beim AVEU. Deshalb können wir besonders stolz darauf sein, dass wir diese Regelungen hinbekommen haben", so Bittner.
Die Regelung in Kurzfassung: Ab 2025 können die ver.di-Mitglieder drei Tage nutzen, um an Tagungen, Schulungen oder Mitgliederversammlungen teilzunehmen. Das Besondere dabei ist, dass nach der Inanspruchnahme des ersten Tages der zweite Tag mit einem Bruttobetrag von 350 Euro abgegolten werden kann. Der dritte freie Tag sollte dann wieder für die Teilnahme an ausgewählten Veranstaltungen genutzt werden. Auch Auszubildende und Dualstudierende profitieren mit einem Bruttobetrag von 150 Euro von dieser Tarifregelung.
Stimmen zum Tarifabschluss
Für Susann Frölich, Betriebsratsvorsitzende und stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende bei den Leipziger Stadtwerken, rückt jetzt nach der Tarifrunde das Tagesgeschäft wieder in den Vordergrund. Sie hat ihre Ausbildung 1996 im Unternehmen begonnen und ist seither Mitglied in der Gewerkschaft.
Aktuell stehen viele innerbetriebliche Themen auf der Agenda."Wir arbeiten seit längerem daran, die Modalitäten der Rufbereitschaft für unsere Kolleg*innen zu verbessern. Der Tarifvertrag bietet da einige Grundlagen, dennoch ist diese Form der Arbeit nicht attraktiv genug und muss weiter verbessert werden", berichtet Frölich. Für die Kolleg*innen im Schichtbetrieb setze der Betriebsrat sich seit Monaten für bessere Arbeitsbedingungen ein. Fakt sei, dass diese Kolleg*innen derzeit an ihre Grenzen gehen, es gehe um den Spagat zwischen temporärem Personalengpass und Anlagenverfügbarkeit. "Hier konnten wir in den Tarifverhandlungen eine Verbesserung erreichen", so die Gewerkschafterin.
Für die betriebliche Interessenvertretung komme erschwerend hinzu, dass der bundesweit beklagte Fachkräftemangel auch bei den Stadtwerken spürbar ist. "Altersteilzeit, Vorruhestand oder andere Modelle, um vorzeitig das aktive Arbeitsleben zu beenden, sind bei uns aktuell nicht mehr möglich. Wir brauchen unsere Fachleute" sagt Frölich. Neue Arbeitsstrukturen führten darüber hinaus zu neuen Herausforderungen. Ungefähr ein Drittel der Belegschaft arbeite mobil, das verändere die Organisation. Aber auch die Kommunikationswege müssten auf den Prüfstand gestellt werden. Intensivere Vertrauensleutearbeit, "netzwerken" und dabei die direkte Ansprache nicht vernachlässigen – bei den Vorbereitungen zum Warnstreik zeigte sich, wie wichtig das ist.
Im Gespräch mit Sven Tönjes aus Freital wird deutlich, wie lebendig Gewerkschaftsarbeit ist. Er ist Betriebsratsvorsitzender bei der Sachsen Energie AG, vertritt mit seinem Gremium über 1.500 Beschäftigte, von denen ein Viertel in der ver.di organisiert sind. "Das ist nicht schlecht, wenngleich es mehr sein könnten", fügt er fast entschuldigend hinzu. Der Zeitfaktor spiele eine wichtige Rolle, davon sei einfach zu wenig da. Mit der Beteiligung am Warnstreik in Dresden, unmittelbar vor der dritten Verhandlungsrunde, könne er leben: "Nach dem Abschluss der Verhandlungen haben sich Beschäftigte bei uns für den Einsatz und das Resultat bedankt. Das motiviert und entschädigt für die Strapazen."
Für ver.di-Verhandlungsführer Frank Franke waren zwei Dinge für den Tariferfolg entscheidend: "Zum einen haben wir sehr früh mit den Vorbereitungen begonnen und die Beschäftigten immer wieder in die Beratungen einbezogen. Zum anderen haben wir beharrlich über die letzten Jahre das Thema des Ausgleichs der Leistungen unserer Mitglieder vorgetragen. Dabei haben wir deutlich aufgezeigt, dass auch die Unternehmen in der Verantwortung sind, einen Beitrag zur Sicherung unseres Flächentarifvertrages zu leisten."