Ausgabe 06/2025
Alle Jahre wieder

Glitzernde Schaufenster, funkelnde Lichterketten, "Last Christmas" in Endlosschleife: Das Weihnachtsgeschäft läuft. Während Kund*innen auf der Suche nach Geschenken von Laden zu Laden hetzen, geht vielen Beschäftigten im Handel im Weihnachts-Marathon die Puste aus. "Im Weihnachtsgeschäft wird der größte Umsatz des Jahres gemacht – bei der vorherrschenden dünnen Personalstärke. Für uns im Handel ist das eine anstrengende Herausforderung", sagt Lorraine Franklin, Erstverkäuferin und Betriebsrätin bei Galeria. "Nach Wochen zwischen Weihnachtsmusik, Tannenbäumen und Dauerstress bin ich an Weihnachten so durch, dass ich das Fest ausfallen lassen würde, wenn ich kein Kind zu Hause hätte."
Glitzer vorne, Druck hinten
Was vorn nach Weihnachtszauber aussieht, ist hinter den Kulissen des Einzelhandels oft purer Ausnahmezustand. Zwar wird versucht, die Personalengpässe mit kurzfristigen saisonbedingten Aufstockungen abzufedern, doch das Problem wird dadurch nicht gelöst. "Die Kolleg*innen, die neu einspringen, helfen uns schon sehr, allerdings fehlt es dennoch in vielen Bereichen an einer fachlichen Beratung, da es in der Mehrzahl keine Fachkräfte sind", schildert Franklin. "Wir bräuchten überall ausreichend und nachhaltig Personal, aber das Problem ist: Die Arbeitgeber sehen uns als Kostenfaktor und nicht als Investition. Dabei könnten wir mit besseren Arbeitsbedingungen noch viel mehr rocken."
Dass die Realität vieler Beschäftigter im Handel weit entfernt ist von der weihnachtlichen Romantik, zeigt auch eine aktuelle Befragung von ver.di mit dem DGB-Index Gute Arbeit. 1.044 Beschäftigte aus dem Hamburger Handel wurden befragt – und das Ergebnis ist alarmierend: 65 Prozent der Befragten sagen, dass sie in den letzten zwölf Monaten mehr Arbeit in derselben Zeit schaffen mussten. 60 Prozent fühlen sich gesundheitlich stark oder sehr stark belastet, und 68 Prozent glauben nicht, dass sie ihren Job unter den aktuellen Bedingungen bis zur Rente durchhalten können. "Ich fühle mich an manchen Abenden nach der Arbeit wie ein platter Kopfsalat", sagt die Erstverkäuferin mit 37-jähriger Betriebszugehörigkeit.
Auch beim Einkommen sieht es düster aus: 22 Prozent sagen, dass ihr Lohn nicht ausreiche. Weitere 50 Prozent kommen gerade so über die Runden. Und 72 Prozent befürchten, dass ihre Rente nicht reichen wird, um später gut leben zu können. "Das Leben ist teuer geworden und mein Geldbeutel hat sich leider nicht an die Realität angepasst", sagt Franklin.
Heike Lattekamp, ver.di-Fachbereichsleiterin im Handel und stellvertretende Landesbezirksleiterin in Hamburg, bringt es auf den Punkt: "Ohne Verbesserungen bei Löhnen, Gesundheitsschutz und Arbeitsbelastung wird es kaum gelingen, Beschäftigte zu halten oder neue zu gewinnen. Der Handel ist für die Grundversorgung der Bevölkerung unverzichtbar – aber dafür braucht es gute Arbeitsbedingungen."
Ohne Tarifvertrag kein Lametta
Ein zentrales Problem ist die schwindende Tarifbindung. Immer weniger Handelsunternehmen sind an Tarifverträge gebunden, viele Beschäftigte dort arbeiten zu deutlich schlechteren Konditionen. Tarifbeschäftigte verdienen im Schnitt mehr, haben bessere Arbeitszeiten, Urlaubsregelungen und Kündigungsschutz.
"Gute Arbeit gibt es nur mit einem Tarifvertrag. Deswegen wollen wir die Rückkehr zur Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen erreichen – im Einzel- und Buchhandel sowie im Groß- und Außenhandel", sagt Heike Lattekamp. "Wir fordern die Politik auf, gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen, um endlich faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen sicherzustellen."
Diese Forderung unterstützt auch Lorraine Franklin: "Wäre die Allgemeinverbindlichkeit nicht abgeschafft worden, wären wir bei Galeria jetzt nicht in dieser prekären Situation. Wir haben keinen Tarifvertrag mehr, wir brauchen jetzt dringend Unterstützung aus der Politik."
Im Mai 2026 startet die nächste Tarifrunde im Handel, eine entscheidende Chance, die Weichen neu zu stellen – für faire Bezahlung, gesunde Arbeitsbedingungen und mehr Anerkennung. "Die Ergebnisse der Studie sind kein Schlusspunkt, sondern ein Auftrag", sagt Heike Lattekamp. "Wir werden sie in die Tarifrunde tragen – und zwar mit der klaren Botschaft: Die Menschen im Handel verdienen Respekt, Sicherheit und Zukunftsperspektiven." Viele hoffen, dass diese Runde etwas bewegt. "Das Verrückte ist ja, dass du den Kunden Tag für Tag die schönsten Sachen verkaufst, aber dein Einkommen dafür so gering ist, dass du selbst jeden Euro umdrehen musst. Das muss sich ändern", sagt Lorraine Franklin.