Ausgabe 06/2025
Nicht aus freiem Willen

"Das Land Berlin hat bisher stets an uns gespart. Immer mussten wir kämpfen, jetzt umso mehr", schimpft Undine Barge, die in Berlin-Schöneberg Saxophon unterrichtet. Tatsächlich ist die Zukunft der 1.800 Honorarlehrer*innen an den zwölf bezirklichen Berliner Musikschulen gerade unsicherer denn je. Wohin führt der hauptstädtische Sonderweg?
"Seit Jahrzehnten gehen wir dafür auf die Straße, dass wir fest angestellt und sozial abgesichert werden." Selbst als Rentnerin unterrichtet sie noch, sagt Undine Barge. 33 Jahre Honorartätigkeit hätten ihr keine ausreichende Alterssicherung gebracht. Bei einer Podiumsdebatte in der ver.di-Bundesverwaltung am 19. November sprachen Berliner Musiklehrer*innen von Zumutungen, Unverschämtheit, gar Betrug. Doch auch von Angst, Depression und Wut.
Anders als im bundesweiten Schnitt arbeiten in Berlin noch immer drei Viertel der rund 2.400 Musikschullehrkräfte mit Honorarverträgen. Ihre "Selbstständigkeit" steht dabei nur auf dem Papier. Für sie gilt, genau wie für die wenigen Festangestellten: sie sind an Lehr- und Stundenpläne sowie Weisungen gebunden, bekommen Schüler*innen zugewiesen, nutzen Räumlichkeiten und Instrumente der Musikschule, organisieren Vorspiele, nehmen an Konferenzen teil. Das Gros der "Freien" empfindet es als ungerecht, weniger Krankengeld zu bekommen, schlechter und in den Ferien gar nicht bezahlt zu werden. "Festanstellung für alle Musikschullehrkräfte!" fordern sie mit ver.di deshalb schon lange.
Das sogenannte "Herrenberg-Urteil" versprach Rückenwind. Die Klavier- und Keybordlehrerin Susanne Nowakowski hatte über acht Jahre und drei Instanzen einen Prozess gegen die Stadt Herrenberg gewonnen. 2022 bewertete das Bundessozialgericht ihre Lehrtätigkeit an der kommunalen Musikschule klar als sozialversicherungspflichtig. Liebe zum Beruf, Disziplin und Idealismus ließen sie die prekären Arbeitsbedingungen viel zu lange ertragen, sagt die diplomierte Pädagogin heute und fordert, "die Musikschulausbildung grundsätzlich auf einen sicheren Boden zu stellen".
Mit dem Herrenberg-Urteil sah Martin Ehrhardt, Vorsitzender der Bundesfachgruppe Musik in ver.di, den "Zahltag" für massenweise Festanstellungen eingeläutet. Tatsächlich stellten nicht nur einzelne Kommunen, sondern ganze Bundesländer, voran Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, jetzt auch Sachsen, ihre Musikschul- lehrer*innen fest an. Beim Verband deutscher Musikschulen weiß man: Waren 2023 noch 44,2 Prozent aller Lehrkräfte auf Honorarbasis beschäftigt und 55,8 Prozent fest, stieg die Zahl der Angestellten 2024 auf über 70 Prozent. Der Trend setze sich fort. Wo Einsicht ist, ist offenbar ein Weg. Das gilt auch für Großstädte von Aachen über Bielefeld, Dortmund, Dresden, Frankfurt/Oder, Kassel, Kiel, Leipzig, Magdeburg bis Trier.
Berlin weigert sich
Nicht so in der Hauptstadt. Statt eines Einstellungsbooms folgten hier vor allem Abwehrkämpfe. Mit ständigem Verweis auf leere Kassen setzen Kultur- und Finanzverwaltung auf Zeit und weiteren Honorarlehrer-Einsatz. Dass trotz langer Wartelisten in den Musikschulen erfahrene Lehrkräfte auf der Strecke bleiben, gilt dabei wohl als Kollateralschaden. Kathleen Dinius etwa, zuletzt mit 32 Wochenstunden an der Musikschule in Berlin-Pankow tätig, wurde zu Ende September gekündigt. Sie und zwei ihrer Klavierkolleg*innen hatten eine Zusatzvereinbarung nicht unterschrieben. Die Honorarkräfte an den bezirklichen Musikschulen sollten eine Übergangsregelung akzeptieren, mit der sie bis Ende 2026 weiter als "selbstständig" gelten. "Ich habe beschlossen, dass ich unter den bisherigen Bedingungen nicht mehr weiterarbeiten will. Ich möchte meine Arbeitskraft so billig nicht mehr verkaufen", sagt Dinius.
Bereits 2024 hatte die Musikschullehrerin bei der Deutschen Rentenversicherung ihren Status feststellen lassen. Auch sie bekam bestätigt, dass sie sozialrechtlich eine abhängige Beschäftigung ausübt, seit über 30 Jahren. Jetzt klagt sie gegen ihre Kündigung und auf Festanstellung. Wie zuvor schon Adriana Balboa. Die Gitarrenlehrerin von der Spandauer Musikschule hat im Sommer in erster Instanz verloren (Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 15. Juli 2025 – Az 22 Ca 10650/24). Für die Berufung will man beim ver.di-Rechtsschutz nun alle juristischen Geschütze aufbieten. Doch bleibt der Ausgang ungewiss.
Die meisten Berliner Honorar-Lehrkräfte haben zähneknirschend die geforderte Zusatzvereinbarung akzeptiert. Einige Hundert dokumentierten gegenüber ver.di, das aus wirtschaftlichen Zwängen, nicht aus freiem Willen getan zu haben. Doch sind sie damit bis Ende 2026 ruhiggestellt und verzichten auf Ansprüche.
Was danach kommt, war die Frage, die bei der gemeinsam mit dem Landesmusikrat organisierten Podiumsdebatte alle umtrieb. Nichts deutete darauf hin, dass im nächsten Berliner Doppelhaushalt die jährlich nötigen 20 Millionen für die Festanstellung von Musiklehrern bereitgestellt oder Rücklagen gebildet werden. Zwar hatte die CDU auf ihrem Landesparteitag wenige hundert Festanstellungen von Musikschullehrern als Ziel angepeilt. Das aber ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Den scheint es nun tatsächlich zu geben: Die Berliner Koalition gab überraschend am 21. November bekannt, dass mit 8 Millionen Euro für 2026/27 insgesamt 200 volle feste Stellen zusätzlich finanziert werden sollen – als "wichtiger erster Schritt". Für ver.di ist das ein Erfolg der Proteste, aber längst nicht ausreichend. Die Mehrheit der Honorarkräfte müsse "weiterhin mit Unsicherheit leben, und der Konkurrenzdruck um die wenigen Stellen wird massiv steigen", kritisiert die Gewerkschaft.
Bundesweit beschwören die Christdemokraten zudem eine duale Lösung, die unbedingt "Wahlfreiheit" zwischen Honorar- und Festanstellung bieten soll. Annika Klose, arbeits- und sozialpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, nannte es auf dem Podium eine politische Frage, wie man in Berlin ordentliche soziale Entgelt-Bedingungen rechtssicher für alle hinbekomme. Man schaue momentan "noch in eine Black Box", da das Bundesarbeitsministerium einen Gesetzentwurf erst für das Frühjahr ankündigt. Die Gefahr, dass der Berliner Sonderweg direkt vor einer Wand endet, ist also längst nicht gebannt.
Die Rechtslage
Nach dem Herrenberg-Urteil des Bundessozialgerichts 2022 (AZ: B 12 R 3/20 R) war klar, dass eine Lehrtätigkeit an einer kommunalen Musikschule, aber auch an Volkshochschulen und vergleichbaren Bildungsträgern, in der Regel sozialversicherungspflichtig ist. Die nötige Umstellung auf Festanstellungen erfordert zusätzliche Finanzmittel. Auch mit Hinweis darauf beschloss der Bundestag eine Übergangsregelung ab 1. März 2025. Die ermöglicht eine Weiterbeschäftigung auf Honorarbasis bis Ende 2026, sofern die Lehrkraft zustimmt.
Was sagt ver.di
ver.di verfolgt mit Partnern eine bundesweite Umwandlung zu flächendeckender sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung an kommunalen Musikschulen. Die Gewerkschaft vertrat diese Position auch im Fachdialog des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Auftraggeber und Lobbyverbände bis zum Deutschen Musikrat verfechten dagegen ein "duales" Modell, das weiter selbstständige Beschäftigung ermöglichen soll.