Der Metro-Konzern probt in Lübeck schon mal die Tarifflucht. Die Einzelhandelsverbände wollen Zuschläge für Verkäufer/innen senken. Kommt der heiße Herbst?

Ohne Formular keine Streikunterstützung. Geld wird schließlich gebraucht. Die Verkäuferin fordert: "Habe Arbeit - brauche Geld". Am 28. August legten rund 700 Beschäftigte der Supermarktketten extra und Reichelt in Berlin die Arbeit nieder

Einzelhandel ist wie Fußball: Alle kennen sich aus, wenigstens ein bisschen. Manchmal wird sogar leidenschaftlich diskutiert - über Angebote, Öffnungszeiten oder Wurstsorten. Die eigentlichen Akteure - rund 2,6 Millionen Beschäftigte in Deutschland - tauchen in solchen Gesprächen selten auf. Dabei sind sie es, die uns ständig im Verkauf und an der Kasse begegnen.

Dass die Arbeit viel stressiger geworden ist, spüren inzwischen auch viele Kunden. Allein zwischen 2003 und 2006 sind 130000 Vollzeitjobs im Einzelhandel weggefallen. Gleichzeitig ist die Verkaufsfläche jedes Jahr um bis zu 1,5 Millionen Quadratmeter gewachsen. "Die abgebauten Arbeitsplätze werden nur zum Teil durch Teilzeit- und Minijobs ersetzt", stellt ver.di-Handelsexperte Ulrich Dalibor fest.

Immer mehr Leiharbeit

Was sich kaum geändert hat, ist der mit über 70 Prozent sehr hohe Frauenanteil. Doch selbst hochprofitable Unternehmen wie Metro oder Edeka schrauben ständig die Personalkosten herunter. So ist die Kollegin, die im Edeka-Kittel die Regale mit Joghurt bestückt, nicht in jedem Fall bei Edeka beschäftigt. Immer öfter werden Leiharbeitnehmerinnen eingesetzt, wie zum Beispiel bei der Metro-Tochter real, und auch an den Kassen.

Der Druck auf die Einkommen gehört neben den Preisschlachten zum Alltag in einer Branche, die mit Übernahmen, Fusionen und Pleiten Schlagzeilen macht. Was harmlos Strukturwandel genannt wird, ist die Folge eines harten Verdrängungswettbewerbs. Inzwischen entfallen bei Lebensmitteln schon fast 90 Prozent des Umsatzes auf die Top Ten, die Discounter ziehen über 40 Prozent auf sich - Tendenz steigend.

Viele Arbeitgeber kämpfen mit allen Tricks und harten Bandagen. Deutlich wird das auch in der aktuellen Tarifrunde.

"Wo Krieg ist, gibt es Verluste." So skizzierte kürzlich der Geschäftsführer eines großen Berliner Warenhauses sein Verhältnis zur Belegschaft. Die Töne auf der Unternehmerseite werden offenbar immer schriller, das Verhalten provokativer.

Tariflos in Lübeck

Der Metro-Konzern, der das Tarifgeschehen maßgeblich gestaltet, hat Ende August die Gründung einer tariflosen Gesellschaft in Lübeck bekannt gegeben. Dort werden neu eröffnete Märkte von real eingegliedert. Im Vergleich zum Tarif wird in diesen Läden drei Stunden pro Woche länger gearbeitet. Umsonst. Die Löhne sollen etwa neun Euro betragen, Zuschläge komplett wegfallen. ver.di sieht das als kalkulierten Angriff auf die Flächentarifverträge. "Die Tarifrunde wird damit weiter angeheizt", erklärte die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Margret Mönig-Raane.

Weniger Zuschläge

Monatelang hatten die Arbeitgeber als Vorbedingung gefordert, dass die Zuschläge für ungünstige Arbeitszeiten verschlechtert werden. Nach einer Streikbewegung mit bundesweit rund 500 Arbeitskämpfen ist in Nordrhein-Westfalen Ende August wieder verhandelt worden. Dabei boten die Einzelhandelsverbände 1,7 Prozent mehr Lohn ab Oktober an. Zuschläge soll es statt ab 18 Uhr 30 erst ab 20 Uhr geben, an Samstagen sollen sie ganz wegfallen. Nachtarbeit soll erst ab 22 Uhr extra vergütet werden.

Dieses Paket würde ein Minus von etwa 180 Euro bedeuten. ver.di hat es strikt abgelehnt.

In vielen Bundesländern ist schon ausgiebig für die geltenden Zuschläge bei ungünstigen Arbeitszeiten sowie für Gehaltserhöhungen zwischen 4,5 und 6,5 Prozent oder Festbeträge bis zu 130 Euro gestreikt worden. Anfang September wurden auch mehrtätige und unbefristete Aktionen vorbereitet. In den Tarifkommissionen kursierte das Schlagwort vom "heißen Herbst".