Erste unabhängige Gewerkschaft gegründet

Im Oktober gründete sich in Vietnam die erste unabhängige Gewerkschaft. Der staatliche "Allgemeine Bund der Werktätigen" erwies sich nach Ansicht der Gründerväter und -mütter als "unfähig, die Interessen der Arbeitnehmer im Privatwirtschaftssektor zu schützen". Ohne eine wirkliche Interessenvertretung sind die Löhne in Vietnam niedriger als in Nachbarstaaten bei gleich hoher Produktivität - so heißt es in der Gründungserklärung.

Rund 40 Prozent des Bruttoinlandprodukts Vietnams wird in der Industrie produziert, überwiegend durch Billigarbeitskräfte. Bisher hat der staatliche "Allgemeine Bund der Werktätigen" das Monopol für deren Interessenvertretung. Seine Funktionäre sollen die Beschäftigten sozialistisch erziehen, aber auch soziale Belange vertreten. Als Staatsangestellte stecken sie in einem Dilemma: Einerseits müssen sie sich loyal gegenüber Partei und Staat verhalten, die die internationalen Investoren mit der Zusage billiger Löhne und einer Bevölkerung, "die nicht zu Streiks neigt", ins Land holt. Andererseits werden sie nicht akzeptiert, wenn sie die soziale Unzufriedenheit vieler Menschen ignorieren.

Die Streikwelle vor einem Jahr, während der zehntausende Streikende mehr als 100 Firmen lahmlegten und die Erhöhung der Mindestlöhne erkämpften, wurde nicht von der Staatsgewerkschaft organisiert, sondern von informellen Streikkomitees. Der unabhängigen Gewerkschaft gehören bekannte Dissidenten an; ob auch Mitglieder dieser Komitees dabei sind, ist bisher nicht bekannt. Mehrere Streikorganisatoren aus dem Industriegürtel um Ho-Chi-Minh-Stadt schlossen sich im November 2006 zum gewerkschaftsähnlichen "Bund der Arbeiter und Bauern" zusammen.

Gewahrsam und Hausarrest

Die Behörden haben beide Organisationen umgehend verboten. Gewerkschaftschef Nguyen Khac Toan aus Hanoi, früher Offizier und Lehrer, der schon vier Jahre als Internetdissident in Haft saß, steht jetzt unter Hausarrest. Sein aus Ho-Chi-Minh-Stadt stammender Stellvertreter Le Tri Tue, ebenfalls als politischer Aktivist bekannt, wurde in Polizeigewahrsam genommen und steht jetzt auch unter Hausarrest. Sieben Funktionäre des "Bundes der Arbeiter und Bauern" sitzen nach Angaben internationaler Menschenrechtsorganisationen sogar in Haft. Die Unabhängige Gewerkschaft hat nach eigenem Bekunden ihre Aufnahme in den Internationalen Gewerkschaftsbund beantragt. Dort sei der Antrag aber bisher nicht diskutiert worden, sagt Jürgen Eckl vom DGB.

Das harte Vorgehen gegen die Gewerkschaft ist ungewöhnlich, denn Vietnam ist eigentlich bestrebt, Arbeitsbeziehungen vernünftig zu gestalten. Felix Schmidt berät in Hanoi für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung Verwaltungen und die staatliche Gewerkschaft. Er meint: "In Vietnam wird derzeit über die Zulassung unabhängiger Betriebsräte in Betrieben diskutiert, in denen es keine staatliche Gewerkschaft gibt. Die fehlen vor allem in den Firmen internationaler Investoren."

MARINA MAI