Ausgabe 01/2007-02
Lieber keine Reform als diese
MARTIN KEMPE ist der Chefredakteur von ver.di PUBLIKfoto: JU
Im Wahlkampf haben die Parteien diametral gegensätzliche Positionen für eine Reform des Gesundheitssystems vorgelegt: die für alle gleiche Kopfpauschale (Unionsparteien und FDP) auf der einen, die Bürgerversicherung (SPD, Grüne, Linkspartei) auf der anderen Seite. Jetzt in der Großen Koalition treffen beide Konzeptionen aufeinander, und es wird ein Kompromiss gesucht, mit dem beide Parteien leben können. Aber weil sie zueinander im Widerspruch stehen, ist der Kompromiss widersprüchlich, voller Ungereimtheiten - und alle sind dagegen. Zu recht, denn keines der beiden Lager hat seine Ziele erreicht.
Weder hat das konservativ-liberale Lager einen deutlichen Schub für die private Krankenversicherung, eine scheinbar demokratische Gleichbehandlung (alle zahlen den gleichen Beitrag) bei gleichzeitiger Vereinfachung durchsetzen können. Noch hat das sozialdemokratisch-linke Lager eine Ausweitung der Finanzierungsbasis und die Einbeziehung aller Bürgerinnen und Bürger für die gesetzliche Krankenversicherung erreicht. Der Versuch, beide Konzepte in einem Kompromiss zu vereinen, hat zu einem heillosen Wirrwarr geführt, den die Beteiligten selbst kaum noch verstehen - die Bevölkerung erst recht nicht.
Warum haben sich die Parteien der Großen Koalition nicht dazu durchringen können, die Reform lieber ganz sein zu lassen, als sich auf so ein konzeptionsloses Gewurstel einzulassen? Ist es der komplizierte Gesetzgebungsprozess? Ist es das Profilierungsinteresse der Koalitionsparteien? Warum haben sie nicht - jede für sich - darauf gesetzt, bei der nächsten Wahl eine Mehrheit für die eigenen Pläne zu gewinnen und diese dann durchzusetzen? Klarer, verständlicher für die Bürgerinnen und Bürger wäre ein solches Verhalten allemal. Und besser auch, denn dann könnten die Wählerinnen und Wähler über eine Reform mitentscheiden, von der sie existenziell betroffen sind. Das stärkt die Demokratie und gibt der dann durchgesetzten Reform eine Legitimation, die der jetzt vorliegende Gesetzentwurf der Großen Koalition nie haben wird.