Ausgabe 01/2007-02
Meine Baustelle - Konzerte
Wut, Musik, Widerstand
Meine Baustelle #3: meine Kritik "Du willst dein Kind schützen, also machst du das Radio aus - wird dir nichts nützen", heißt es in dem Song Freiwild von K.I.Z. Die Berliner Hiphop-Band hat Recht. Solange es Veranstaltungen wie Meine Baustelle #3: meine Kritik am 24. Februar 2007 im Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) gibt, kann das Radio ruhig ausbleiben. Denn hier kommen drei musikalische Welten zusammen, die auf den ersten Blick nichts, auf den zweiten aber vieles verbindet. Nichts bedeutet: Von den Stilen her passen die Ton Steine Scherben Family, die sich um die Tradition der Ton Steine Scherben bemüht, die Ex-DDR-Kombo Kommando Stuhlgeist und eben K.I.Z. gar nicht zusammen. Sehr viel dagegen meint: Hier kommen unter einem Dach drei Generationen Berliner Protestmusik zusammen und, wie es treffend in einer Presseerklärung des HKW heißt, "bei allen drei Formationen ist Subjektivität, wie durch den Titel dieses Wochenendes angezeigt, unmittelbarer Startpunkt der Kritik".
Die Ton Steine Scherben Family steht für die typische Westberliner Links-Alternativ-Mischung der siebziger Jahre aus Aggression und Frustration. Kommando Stuhlgeist wird den subversiven, von Punk und New Wave beeinflussten Ostberliner Magnetband-Untergrund der Achtziger wieder aufleben lassen. Die Ghetto-Boygroup K.I.Z. kennt weder Ost noch West, sondern nur jung und radikal. Spannend dabei ist, dass mit diesen drei musikalischen Welten auch drei Fangruppen aufeinanderprallen werden. Zu Hause bleiben sollte vielleicht nur, wer unter fünf, über 75 Jahre oder stockreaktionär ist.
Der Abend im HKW beginnt um 18 Uhr mit einer Diskussionsrunde zum Thema "Wut, Musik, Widerstand" mit Mitgliedern der Bands, moderiert von dem Frankfurter Radiomoderator Klaus Walter. Es soll über Gemeinsamkeiten und Unterschiede, Geschichte und Gegenwart, Musik und Texte debattiert werden. Ab 20 Uhr werden die Bands spielen, davor und in den Pausen schaut sich, wer will, auch noch die Filme Flüstern & Schreien - ein Rockreport (DDR 1988) und/oder Die Erben der Scherben (D 2006) an. Das Konzept der Veranstaltung stammt u.a. von Detlef Diederichsen, seit dem Herbst neuer Leiter des HKW. Im August soll das Haus der Kulturen der Welt in Gänze wiedereröffnet werden. Meine Baustelle #3: meine Kritik ist aber weit mehr als nur ein Pausenfüller.Maik Söhler
MEINE BAUSTELLE #3: MEINE KRITIK. DISKUSSION - KONZERT - FILM, HAUS DER KULTUREN DER WELT, 24. FEBRUAR 2007. KONZERTEINTITT: 15 € / ERMÄssIGT 10 €
Jacaranda Ensemble: Continental Jacaranda ist ein Baum. Das zartrosa Gewächs blüht in Südafrika, Brasilien und in anderen südlichen Regionen der Erde.
Das Jacaranda Ensemble dagegen stammt von der nördlichen Halbkugel und wurde 1997 von fünf klassisch ausgebildeten Musikern der Brandenburger Symphoniker gegründet, um weit entfernte musikalische Welten miteinander zu verbinden. Inspiriert von Reisen durch fremde Kontinente und getrieben von der Neugier an exotischen Klängen, tauschen die professionellen Musiker in diesem Projekt ihre angestammten Blasinstrumente wie Fagott oder French Horn gegen Saxophon, Didgeridoo und Alpenhorn, das Schlagwerk wird um Vibraphon, Marimba und jede Menge außereuropäische Percussion erweitert. Afrikanische Rhythmen, lateinamerikanische Folklore, asiatische Meditationen und barocke Melodien verschmelzen in teils komponierten, teils improvisierten Mini-Symphonien zu einer ernsthaften Weltmusik im besten Wortsinn. Inzwischen fasziniert das Quintett mit einem höchst individuellen Sound, zu dem man Filme am laufenden Band drehen könnte. Gastspiele in Los Angeles, Norwegen oder Estland gehören genauso zum Terminkalender wie ein Auftritt beim Weihnachtskonzert des Bundespräsidenten. In diesem Sommer stehen Konzerte in China an. Mit Continental, der dritten CD dieses außergewöhnlichen Ensembles, ist man auch zu Haus bei diesem grenzenlosen akustischen Abenteuer dabei.Vick
CD / JACARANDA MUSIC WORLD, WWW.JACARANDA.DE, 17,95€
Die Grenzgänger & Frank Baier: 1920 - Lieder der Märzrevolution Ist es noch naiv oder schon wieder mutig, das Genre der Arbeiterlieder neu zu beleben? Genau das tun die Bremer Folkband Die Grenzgänger und der Ruhrgebietsliedermacher Frank Baier auf ihrer im letzten Frühsommer mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichneten CD. Das Ergebnis ist durchaus mutig. Denn hier wurde nicht einfach das traditionelle Liedgut der deutschen Arbeiterbewegung neu interpretiert, entstanden ist vielmehr eine ausgewogene Mischung aus Arbeiterliedern, Ruhrgebietsromantik, politischem HipHop, historischen Tondokumenten und Collagen. Gewiss: Nicht jeder Song der CD schafft es, die jenseits von Duisburg oder Castrop-Rauxel wohnenden Werktätigen anzusprechen. Und auch deutschsprachiger Klassenkampffolk muss nicht jedermanns Sache sein. Aber wem so etwas nicht ans Herz geht, dem wird das Beiheft zur CD zumindest ans Hirn gehen. Hier finden sich nicht nur Songtexte, sondern es wird reichlich und gut ausgewähltes Material über die Märzrevolution und ihre Niederschlagung anschaulich präsentiert. So manches Geschichtsbuch sieht dagegen alt aus. Das ist auf jeden Fall mutig.MAS
MÜLLER-LÜDENSCHEID-VERLAG/INDIGO, 18€