Niemals zuvor gab es so viele Klimaflüchtlinge wie heute. Es wird Zeit, sie als solche anzuerkennen

VON MAIK SÖHLER

Zwei afrikanische Asylsuchende kurz nach ihrer Ankunft auf Fuerteventura

Was haben wir uns im letzten Sommer übers Wetter gefreut. Von ein paar Unterbrechungen abgesehen schien die Sonne von Juni bis September, und in den Wettervorhersagen war die Rede von italienischen Verhältnissen an der Ostsee. Deutlich machen jene Ansagen auch etwas anderes. Das Weltklima ändert sich, was uns als Segen erscheint, ist für andere eine Katastrophe. Wüsten weiten sich aus, Wasser wird knapp, die austrocknenden Böden werfen nichts mehr für die Landwirtschaft ab. Der Treibhauseffekt führt zu nie gesehenen Klimakatastrophen wie Hurrikane, Überschwemmungen und steigenden Meeresspiegeln.

Längst finden sich solche Phänomene nicht mehr allein in der "Dritten Welt". Der Hurrikan Katrina traf New Orleans, kurz danach vernahm die Öffentlichkeit erstmals den Begriff "Klimaflüchtlinge". So bezeichnete das Earth Policy Institute (USA) in einer Studie die aus New Orleans Evakuierten. Hunderttausende Menschen seien geflohen, "wir schätzen, dass mindestens 250000 von ihnen sich andernorts niedergelassen haben und nicht zurückkehren werden".

Damit hatte kaum jemand gerechnet, obwohl Umweltexperten schon länger vor den Folgen der globalen Erwärmung warnten. Sie bezogen sich aber meist auf kleine, nur knapp über dem Meeresspiegel liegende Inselstaaten im Pazifik, die beim Ansteigen der Meere verschwinden könnten. Das US-Institut weist außerdem darauf hin, dass mit den USA ausgerechnet das Land getroffen worden sei, das in erster Linie für die Erderwärmung verantwortlich sei. Der Bericht schließt mit den Worten: "Der Strom von Klimaflüchtlingen zählt heute Tausende. Wenn wir nicht schnell die CO2-Emissionen reduzieren, könnte er Millionen zählen."

Millionen auf der Flucht

Hier ist das Institut schlecht informiert. Das UN-Flüchtlingshilfswerk schätzt derzeit die Anzahl aller Flüchtlinge weltweit auf 40 bis 50 Millionen. Von ihnen sind nach Ansicht der United Nations University mit Sitz in Bonn über 19 Millionen wegen klimatischer Veränderungen und den Folgen unterwegs. Professor Norman Myers von der Oxford University kommt in seiner Studie "Environmental Refugees" (Umweltflüchtlinge) sogar auf 25 Millionen Klimaflüchtlinge. Diese Zahl drohe sich bis zum Jahr 2010 zu verdoppeln, und wenn sich das Klima weiter erwärme, könnte sie im Jahr 2050 auf 150 Millionen anwachsen.

Am schlimmsten dran ist die Sahelzone

Kein Wunder: In China dehnt sich die Wüste Gobi um mehr als 10000 Quadratmeter pro Tag aus, Marokko, Tunesien und Libyen verlieren pro Jahr über 1000 Quadratkilometer fruchtbares Land an die Wüste. Teile Ägyptens drohen zu versalzen, während in der Türkei große Flächen Farmland der Bodenerosion zum Opfer fallen. Eine aktuelle Studie des Internationalen Roten Kreuzes kommt zu dem Ergebnis, dass mittlerweile mehr Menschen vor Umweltkatastrophen fliehen als vor Kriegen.

Am stärksten betroffen ist Afrika, genauer: die Sahelzone. Für Myers ist diese Region schon längst zum Hauptort geworden, den Klimaflüchtlinge verlassen. Mindestens fünf Millionen Afrikaner hätten sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten von dort verabschiedet. Das sieht auch Corinna Milborn so. Sie ist Chefredakteurin der österreichischen Menschenrechtszeitschrift Liga und hat vor kurzem zur Recherche ihres neuen Buchs Gestürmte Festung Europa die Sahelzone und umliegende Länder besucht. Im Gespräch berichtet sie von den Zuständen in Staaten wie Burkina Faso, Ghana oder Mali: "Schon länger hat es dort alle acht bis zehn Jahre Dürren gegeben. Mittlerweile aber kommt eine Dürreperiode pro Jahr - und damit eine Hungersnot. Der Niederschlag ist zwar gleich geblieben, aber nun fällt der gesamte Regen auf einmal. Deswegen wird der Boden weggeschwemmt und Landwirtschaft unmöglich gemacht." Hirse, das Hauptnahrungsmittel, brauche regelmäßigen Niederschlag, nicht aber Stürme. Brunnen konnten früher in fünf Metern Tiefe entstehen, heute muss 40 Meter tief gebohrt werden. Das geht nur mit Unterstützung aus dem Ausland.

Nur wer geht, überlebt

Die meisten der Betroffenen wandern ab in die umliegenden Städte, die zu "Molochen mit vielen Slums" werden, oder in benachbarte Länder. "Geld kommt aber nur rein, wenn die jungen Männer die Dörfer verlassen, nach Europa gehen, dort arbeiten und das Geld nach Hause überweisen." Milborn hat viele Flüchtlinge auf die Gründe ihrer Flucht angesprochen und stets eine Antwort bekommen: "Wir haben keine andere Wahl." Die Flucht aus der Sahelzone ist alternativlos, es geht ums Überleben. Europa ist derzeit für 21 Prozent des weltweiten Energiever- brauchs und die entsprechenden CO2-Ausstöße verantwortlich, Afrika für knapp drei Prozent. "Klimawandel wird in den Industrieländern produziert, die Folgen bekommen andere ab, zum Beispiel all jene im Sahel. Überleben kann nur, wer weggeht", betont Milborn.

Das weiß auch Bernd Mesovic, Sprecher von Pro Asyl: "Kein Flüchtling wird als Grund seiner Flucht Klimaveränderungen und die Folgen angeben, weil das nicht anerkannt wird und sich damit kein Aufenthaltsstatus erreichen lässt." Im Gegensatz zu den klaren Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention sei "Klimaflüchtling" ein "unspezifischer Begriff". Dennoch betont er: "Es gibt eine globale Verantwortung für den Klimawandel, also dürfen die von den Folgen Betroffenen damit nicht allein gelassen werden."

www.unu.edu

www.milborn.net

www.proasyl.de