In der Blumenindustrie Kolumbiens hat sich eine unabhängige Branchengewerkschaft neu gegründet - die Untraflores. Das ist eine Sensation in dem vom Bürgerkrieg zerrütteten lateinamerikanischen Land, in dem mehr Gewerkschafter ermordet werden als irgendwo sonst auf der Welt. Zu Besuch bei einer Handvoll mutiger Frauen

VON KNUT HENKEL (TEXT UND FOTOS)

Eine Arbeiterin auf den Nelkenfeldern des Branchenprimus Colibri Flowers

Ein handgemaltes Schild mit der Aufschrift "Hacienda Terranova" ziert den verlotterten Eingangsbereich der Blumenplantage Benilda S.A.. Einige Meter hinter der Schranke mit dem windschiefen Wachhaus beginnen die langen Reihen der plasticos - der mit Planen bespannten Metallgerippe, in denen Rosen und Nelken gezüchtet werden. Es ist halb drei Uhr nachmittags und gleich ist Feierabend auf der rund 30 Kilometer von Bogotá entfernten Plantage. Zwischen den Gewächshäusern sind die ersten Arbeiter zu sehen, die sich dem Ausgang nähern. Drei Sicherheitsleute in Uniform stehen dort in der Nähe der Stechuhren. "Gleich werden sie die Taschen der Arbeiter kontrollieren", erklärt Alejandro Torres. Der kleine drahtige Gewerkschaftsberater mit dem graumelierten Schnauzer kennt das Prozedere, denn schon öfter hat er Aidé Silva an ihrem Arbeitsplatz abgeholt. Und es ist auch nicht das erste Mal, dass er dem Sicherheits-chef Livardo García Herrera begegnet. Der mustert ihn misstrauisch. "Ungebetene Besucher wollen wir hier nicht und Fotos darf man hier auf keinen Fall machen", knurrt der in Zivil gekleidete Mann im Vorbeigehen.

Die Hacienda Terranova der Blumenplantage Benilda S.A.

Kurzes Spitzentreffen der Betriebsgewerkschaft Benilda S.A. mit Berater Alejandro Torres vor dem Tor

"Typisch", sagt Aidé Silva wenig später, nachdem sie Stechuhr und Taschenkontrolle passiert hat. Die 34-Jährige ist Vorsitzende und Gründungsmitglied der Gewerkschaft der Blumenarbeiter, Untraflores, der jüngsten Branchengewerkschaft Kolumbiens. Seitdem sie 19 ist, arbeitet Aidé Silva auf der 110 Hektar großen Plantage, die auch Rosen und Nelken nach Deutschland liefert. Anders als viele Kollegen stammt sie nicht aus der Region, sondern ist im Departamento Santander, im Norden Kolumbiens auf einem kleinen Bauernhof aufgewachsen. Bei Benilda S.A., mit 1400 Arbeitern ein Schwergewicht unter den 380 Exportunternehmen der Blumenbranche, lässt man sich ungern in die Karten gucken. "Nur einmal habe ich erlebt, dass ein Journalist aus dem Ausland in den Betrieb gelassen wurde", sagt Aidé Silva schulterzuckend. Selbst im Register des Unternehmerverbands Asocolflores ist Benilda nicht aufgeführt.

Aufs falsche Pferd gesetzt

Auffällig unauffällig mustern die Wachleute die kleine Gruppe, die sich vor dem Fabrikeingang um Aidé Silva bildet. Die Gewerkschafterin blickt sich suchend um, grüßt hier, grüßt da und reicht schließlich einige Unterlagen weiter. Dann kommen mit Helena Marta und Esperanza Cerero zwei weitere Gewerkschafterinnen der ersten Stunde. "Insgesamt 29 Frauen waren wir, als wir im Frühjahr 2001 begannen, uns zu organisieren", erzählen die beiden. Der Grund dafür war die angekündigte Streichung aller zusätzlichen Leistungen. Die sind beachtlich bei Benilda, denn statt des offiziellen Mindestlohns von umgerechnet 130 Euro erhalten die fest angestellten Arbeiter/innen um die 150 Euro. Zudem wird das Essen in der Betriebskantine zu 70 Prozent vom Unternehmen bezahlt und auch für den täglichen Transport zur Arbeit kommt Benilda S.A. auf. Keine Selbstverständlichkeit, denn auf den Blumenplantagen wird trotz hohen Arbeitsdrucks und zahlreicher Überstunden im Vorfeld von Valentins- und Muttertag meist nur der gesetzliche Mindestlohn gezahlt.

Die Gewächshäuser von Colibri Flowers

María Mercedes Alvárez arbeitet seit sieben Jahren bei Colibri Flowers. Auf die Frage, ob sie sich schon einmal überlegt hat, in eine Gewerkschaft einzutreten, lacht sie nur nervös - dabei gilt Colibri als besonders sozial

Diese zusätzlichen Leistungen wollten die Frauen damals nicht kampflos aufgeben. "Also gründeten wir ein Gewerkschaftskomitee", erzählt Helena Marta. "Und dann kontaktierten wir die Blumenarbeitergewerkschaft Sinaltraflor, um mit denen im Rücken unsere Rechte zu verteidigen." Wenig später begann Sinaltraflor mit den Unternehmensvertretern zu verhandeln. "Doch von uns wurde niemand dazu gebeten", erinnert sich Aidé Silva. Heute lacht sie darüber. Die unerfahrenen Frauen hatten einen Fehler gemacht - Sinaltraflor steckte mit den Managern von Benilda unter einer Decke, wie sich bald herausstellte. Kein Einzelfall, denn nicht nur in Kolumbien gibt es die so genannten gelben Gewerkschaften. "Die segeln unter falscher Flagge und vertreten die Interessen der Arbeitgeber statt der Arbeitnehmer", sagt Alejandro Torres. Er muss es wissen, er leistet seit mehr als 30 Jahren Gewerkschaftsarbeit und ist in der Blumenregion groß geworden.

Signal für die Blumenarbeiterinnen

Daraus lernten die Frauen und gründeten mit Untraflores gleich eine Branchengewerkschaft, um die 110000 Arbeiter im Blumensektor zu organisieren. "Wir wollten ein Signal für die Zukunft setzen", sagt Aidé Silva und steigt in den Wagen von Alejandro, der sie ins Gewerkschaftsbüro ins nahe gelegene Facatativá bringen soll. In der 100000-Seelen-Stadt lebt jeder zweite von der stetig wachsenden Blumenindustrie. Auf über 900 Millionen US-Dollar beliefen sich laut Branchenverband Asocolflores 2005 die Exporte von Rosen, Nelken, Chrysanthemen und Co. Damit ist Kolumbien, das vor allem in die USA und nach Europa exportiert, mit einem Marktanteil von 14 Prozent die Nummer zwei der Branche - nach Holland.

Der Wagen hält vor einem einfachen Backsteinbau. Aidé öffnet die Tür zum Gewerkschaftsbüro. "Das ist mein zweites Zuhause", erklärt sie. Warum sie für zwei schuftet? Aidé Silva hat zwei Töchter. Die sollen nie in den plasticos, den Gewächshäusern, arbeiten müssen. Sechs Tage die Woche ist sie nach der Schicht im Treibhaus im Gewerkschaftsbüro anzutreffen. Dort organisiert sie mit den Compañeiros, den Kollegen, Diskussions-, Weiterbildungs- genauso wie Filmabende. Und der Einsatz beginnt sich langsam auszuzahlen. Aidé Silva, die von einem Bauernhof stammt, kein Abitur machen konnte, hat genauso wie ihre Mitstreiter gelernt zu reden, zu argumentieren und zu schreiben. Parallel dazu ist Untraflores stetig gewachsen. Sechs Betriebsgewerkschaften mit insgesamt rund 1300 Mitgliedern gehören der Branchengewerkschaft mittlerweile an.

Zum Kartoffelschälen in die Küche

Dabei war der Start alles andere als einfach. "Nach der Gründung von Untraflores schickte mich die Firma in die Küche zum Kartoffelschälen. Isolieren wollte man mich", erinnert sich die erst neulich wieder gewählte Gewerkschaftsvorsitzende. Ein halbes Jahr währte das, heute kontrolliert Aidé Silva die Pflanzkästen, die so genannten Camas, auf Schädlingsbefall. Für 1500 dieser 1 mal 1,30 Meter großen Kästen ist sie nun zuständig, und oft muss sie hetzen, um die Arbeitsnorm bei Benilda zu erfüllen. Das Grundrecht auf Gewerkschaftsfreiheit wollte man dort anfangs genauso wenig akzeptieren wie den Gleichheitsgrundsatz. So wurden den gewerkschaftlich organisierten Frauen Lohnzuschläge und Sonderleistungen gestrichen, und mehrere wurden entlassen. "Das waren gezielte Manöver, um die neue Gewerkschaft gleich in ihrer Gründungsphase zu zerstören", sagt Aidé Silva. Doch es blieb bei dem Versuch. Die Frauen hatten es satt, sich vom Management alles gefallen zu lassen und bewiesen Durchhaltevermögen. So musste Benilda nach langem Rechtsstreit nicht nur die Arbeiterinnen wieder einstellen, sondern auch die einbehaltenen Lohnzuschläge auszahlen.

Erfolge, die der kleinen Gewerkschaft genauso Auftrieb gegeben haben wie die eigene Zeitung namens Florecer. Mit dem alle zwei Monate erscheinenden Blatt von Blumenarbeitern für Blumenarbeiter gehen die Gewerkschafter von Haus zu Haus und werben Mitglieder. "So bauen wir peu á peu neue Betriebsgewerkschaften auf", erklärt Argenis Bernal von der Betriebsgewerkschaft SintraCóndor. Sie gehört zum zwölfköpfigen Führungsgremium von Untraflores, das sich jeden Mittwoch in dem schlichten Versammlungsraum trifft.

Diffamierung, Entlassung und Entrechtung

SintraCóndor zählt genauso wie die erst vor wenigen Monaten gegründete Betriebsgewerkschaft Astraflores gerade 30 Mitglieder. "Als Sympathisanten der Guerilla und als subversiv hat uns das Management diffamiert und unseren Mitgliedern die Austrittserklärung vor die Nase gehalten", klagt die SintraCóndor-Vorsitzende. Damit geriet sie in Gefahr.

"Dieses Totschlagargument wird landesweit gegen Gewerkschaftsvertreter ins Feld geführt", sagt Domingo Tovar, Menschenrechtsbeauftragter von Kolumbiens größtem Gewerkschaftsdachverband, dem CUT. "Wer in die Ecke der Guerilla gerückt wird, ist ein potenzielles Opfer der Paramilitärs", sagt der baumlange Gewerkschaftsfunktionär mit dem buschigen schwarzen Schnauzer. Angst vor Verfolgung aber auch Privatisierungen und das massive Outsourcing, sind wesentliche Gründe für den kontinuierlich sinkenden gewerkschaftlichen Organisationsgrad. "Entlassung und anschließende Wiedereinstellung als Leiharbeiter ist ein beliebtes Rezept in Kolumbien, denn Leiharbeiter haben keine Rechte. Sie dürfen sich nicht gewerkschaftlich organisieren", schildert Tovar das Vorgehen. Das ist auch im Blumensektor weit verbreitet, sagt Aidé Silva. "Bei Benilda haben etwa 800 Arbeiter einen Festvertrag, die restlichen 600 sind bei Subunternehmen, den so genannten Kooperativen, angestellt."

Carlos, der Mann von Aidé, und Rosalia. Rosalia soll neue Mitglieder werben

Auch Carlos Cortes, der Mann von Aidé Silva, arbeitet als Leiharbeiter. Unter einem Vorwand wurde er entlassen. Für seine Frau ist klar, dass er gehen musste, weil sie für die Gewerkschaft wirbelt. Die beiden haben sich in Cazucá, einem Armenviertel am Rande Bogotás, kennen gelernt. Mit 17 Jahren hatte Aidé den elterlichen Hof verlasssen, um in Bogotá Arbeit zu suchen. Als Verkäuferin hat sie damals gearbeitet, während Carlos als Wasserverkäufer in Cazucá sein Geld verdiente. Mit einem Esel hat er das Lebensmittel in die Elendsviertel ohne Wasseranschluss transportiert. Später überzeugte er Aidé davon, in seine Heimatstadt Facatativá zu gehen, um dort im Treibhaus zu arbeiten. Heute hält der kleine drahtige Mann ihr den Rücken frei. Er schmeißt - nicht gerade typisch für Kolumbien - den Haushalt und kümmert sich um die beiden Töchter. Abends kommt er meist im Gewerkschaftshaus vorbei, um Aidé abzuholen. Hoffnungen auf eine Festanstellung hat er keine mehr, denn Gewerkschafter stellt kaum ein Unternehmen ein.

Aidé Silva mit Florecer. Die Zeitschrift erscheint in einer Auflage von 5000 Exemplaren

Selbst bei dem hoch gelobten Branchenprimus Colibri Flowers gibt es unter rund 600 Angestellten kein einziges Gewerkschaftsmitglied. "Für derartige Belange haben wir unser Arbeiterkomitee", erklärt Geschäftsführer Andrés Toro lapidar. Er hat, anders als die Konkurrenz von Benilda, kein Problem, Besucher auf der mit einem Fair Trade- und einem Umwelt-Label ausgezeichneten Nelkenplantage zu empfangen. Hier ist das Risiko von Pestizidvergiftungen relativ gering und sämtliche Colibri-Arbeiter haben feste Arbeitsverträge. Doch bei der Frage, was sie von der Gewerkschaftsfreiheit halten, kichern María Mercado Alvaréz und ihre Kolleginnen am Sortiertisch nur hilflos. Schnell senken sie die Köpfe und bündeln weiter Nelken nach Qualität und Farbe. Aidé Silva kennt diese Reaktionen nur zu gut, und auch sie hat manchmal Angst um ihren Arbeitsplatz. Doch es gibt keine Alternative: "Wir müssen uns organisieren, wenn wir etwas erreichen wollen", sagt sie und löscht als Letzte abends um zehn das Licht im Gewerkschaftsbüro.

Das Flower Label Programm (FLP) vergibt ein Gütesiegel für sozial- und umweltverträgliche Blumenproduktion. Eine Liste der Läden in Deutschland, die diese Blumen anbieten, gibt es unter

www.fairflowers.de

Feindbild Gewerkschaft

Die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Menschen nimmt in Kolumbien seit Jahren kontinuierlich ab. Bei 42 Millionen Einwohnern gibt es gerade noch eine Million Gewerkschaftsmitglieder. Entlassungen, Angst und Verfolgung sind Alltag, erklärt Domingo Tovar von Kolumbiens größtem Gewerkschaftsdachverband CUT. "Seit der Gründung 1986 wurden nicht weniger als 4000 Mitglieder ermordet", sagt der CUT-Menschenrechtsexperte. "Cortar Cabezas" - Köpfe abschneiden, heißt das in Kolumbien lapidar. Doch auch die Veränderung der Beschäftigungsverhältnisse sorgt für den schwindenden Einfluss der Arbeitervertretungen. 62 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung Kolumbiens arbeiten ohne reguläre Anstellung. Diese Veränderung der Arbeitsverhältnisse hat auch den Verfall des Durchschnittslohns nach sich gezogen. Der sank laut CUT von 600 US-Dollar auf derzeit 120 US-Dollar (etwa 93 Euro).