Während die G8-Staats- und Regierungschefs das weitere Wirtschaftswachstum planen, geht es Nichtregierungsorganisationen um globale Verteilungsgerechtigkeit und Umweltschutz

VON ANNETTE JENSEN

Der G8-Gipfel in Heiligendamm braucht guten Schutz

Offiziell ist jeder Beschluss bei der G8 Chefsache. Doch tatsächlich steht vieles fest, wenn Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am 6. Juni die Staats- und Regierungschefs der reichsten Länder zum Weltwirtschaftsgipfel in Heiligendamm empfängt. Die schon vorher fertigen Papiere haben so genannte Sherpas ausgehandelt. Sie sind die persönlichen Beauftragten der jeweiligen Staats- und Regierungschefs zur Vor- und Nachbereitung der Treffen der G8-Staaten. Wie beim Bergsteigen schleppen sie das schwere und sperrige Gepäck, damit ihre Chefs sich anschließend als erfolgreiche Gipfelstürmer fotografieren lassen können.

Während das Hauptreffen in Heiligendamm hinter einem elf Millionen Euro teuren Zaun stattfinden wird, versuchen die Sherpas, Offenheit für die Anliegen der Zivilgesellschaft zu demonstrieren. Ende April trafen sie sich mit etwa 200 Vertretern von Nichtregierungsorganisationen (NRO) aus aller Welt zum Gedankenaustausch in Bonn - in dieser Form eine Premiere.

"Wir wollen etwas für den Wohlstand aller Länder tun", leitete der deutsche Sherpa Bernd Pfaffenbach, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, das Gespräch ein. Viele im Saal bezweifelten allerdings, dass Investitionsfreiheit und Wirtschaftswachstum dafür die richtigen Mittel sind. "Die G8 hat die Verantwortung für viele Ungerechtigkeiten. Weltweit wächst die Spaltung zwischen den Armen und Reichen", kritisierte der katholische Bischof George Ehusani aus Nigeria. Die Mehrheit der Afrikaner sei heute zehnmal so arm wie vor 20 Jahren, derweil eine kleine Elite zu Millionären geworden sei.

Auch der DGB-Sekretär Jürgen Eckl forderte eine gleichberechtigtere Verteilung der Früchte der Globalisierung. Sowohl im Ländervergleich als auch innerhalb der einzelnen Gesellschaften wurden die Unterschiede in den vergangenen Jahren verschärft. Deutschland ist da keine Ausnahme: Während die Vermögenden seit 2004 jährlich sechs bis zehn Prozent Zuwachs einstreichen konnten, dümpelten die Löhne zwischen minus 0,7 und plus 1,3 Prozent.

Trotz der von vielen Seiten vorgetragenen Grundsatzkritik an der G8 und ihrem Wirtschafts- und Wachstumscredo setzte Bernd Pfaffenbach dennoch auf Harmonie: "Ich sehe da nur wenige Widersprüche zwischen uns." Er beteuerte, die Anliegen der Nichtregierungsorganisationen lägen bei ihm und seinen Kollegen in guten Händen und würden bei den Gipfelvorbereitungen mitbedacht.

Keine konkreten Beschlüsse

Beim Thema Klima und Energie, das in den vergangenen Monaten auf der Tagesordnung des G8-Gipfels immer weiter nach oben gerückt ist, zeichnet sich dagegen eine grundlegend andere Konstellation ab. Die US-Regierung will hier auf jeden Fall konkrete Beschlüsse verhindern. Dagegen hat Kanzlerin Angela Merkel in den vergangenen Wochen die Hoffnung genährt, dass in Heiligendamm eine Verminderung der CO2-Emissionen durch die Industrieländer verbindlich festgeschrieben wird. Mal ist von 20, dann von 30 oder sogar von 40 Prozent die Rede, die bis zum Jahr 2020 eingespart werden sollen. "Es ist wichtig, dass der Druck hoch bleibt, den die NROs ausüben", sagte der italienische Sherpa Stefano Sannino. In Heiligendamm müsse eine Atmosphäre entstehen, bei der allen klar sei: "Wer nicht mitmacht, steht allein draußen im Kalten."

Allerdings sind viele NRO-Vertreter auch bei diesem Thema misstrauisch. Denn Angela Merkels vollmundige Ankündigungen auf internationaler Ebene stehen in deutlichem Widerspruch zu der Politik, die sie zu Hause betreibt. Gerade werden in Deutschland sechs Braunkohle- und 17 Steinkohlekraftwerke geplant, die Bundesregierung hat in Brüssel die Grenzwerte für Autoabgase aufgeweicht, ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen gilt sowieso als Tabu und Flugbenzin gibt es hierzulande nach wie vor steuerfrei.

Großdemo in Rostock

Derweil die Sherpas weiter an ihren Papieren schreiben, gehen auch die Vorbereitungen der Protestveranstaltungen gegen den G8-Gipfel in die heiße Phase. Am Samstag, den 2. Juni findet in Rostock eine Großdemonstration statt, zu der 100000 Menschen erwartet werden. Sehr viele Organisationen haben zur Teilnahme aufgerufen: Gewerkschaften, Erwerbsloseninitiativen, Umweltorganisationen, Migrantengruppen, attac, feministische Netzwerke, die Kirchen und noch viele mehr. Schon jetzt ist die Breite des Spektrums ein Erfolg. Am 5. Juni, einen Tag bevor die Staats- und Regierungschefs in Mecklenburg eintreffen, beginnt ebenfalls in Rostock ein dreitägiger Gegengipfel, den ver.di mitorganisiert. Auf dem Programm stehen Workshops zu brennenden Themen wie "Prekäre Arbeit und wachsende Armut", "Die Ökonomisierung der Bildung" und "Der Zusammenhang von Globalisierung und Krieg". Die Referenten kommen aus aller Welt - von den Philippinen bis Venezuela, von Südafrika bis Norwegen.

http://globalisierung.verdi.de/g_8-gipfel