Bei Betriebsänderungen auch "sehr weitgehende Tarifforderungen" möglich

Wenn es um Arbeitsplatzabbau, Standortverlagerungen oder Betriebsschließungen geht, sehen die Gewerkschaften ihre Position nach einem aktuellen Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) gestärkt: Streiks zur Durchsetzung von Sozialtarifverträgen bei drohenden Entlassungen durch Produktionsverlagerungen und andere Betriebsänderungen sind nach einer Entscheidung der Erfurter Richter zulässig.

"Gewerkschaften dürfen zu Streiks für einen Tarifvertrag aufrufen, in dem wirtschaftliche Nachteile aus einer Betriebsänderung ausgeglichen oder gemildert werden sollen", urteilte der Erste Senat des BAG Ende April. Im Urteil heißt es, typische Sozialplan-inhalte wie Ansprüche auf Abfindungen oder Qualifizierungsangebote seien tariflich regelbare Angelegen-heiten.

Gericht wies Unterlassungsklage ab

Gewerkschaften könnten mit Streiks bei Betriebsänderungen auch "sehr weitgehende Tarifforderungen" gegenüber dem Arbeitgeber oder dem zuständigen Arbeitgeberverband verfolgen. Das BAG wies damit - wie die Vorinstanzen - eine gegen Streikaufrufe der Industriegewerkschaft Metall gerichtete Unterlassungsklage des Arbeitgeberverbandes Nordmetall ab.

Der spricht nun von einer bedenklichen Entscheidung des BAG, die das Streikrecht trotz der bestehenden Sozialplan-Regelungen im Betriebsverfassungsgesetz grundlos ausdehne. Die Gewerkschaften hätten dadurch die Möglichkeit, mit unvertretbar hohen Streikforderungen unternehmerische Maßnahmen zu blockieren. Anlass des Gerichtsverfahrens war eine Auseinandersetzung im Kieler Werk der Heidelberger Druckmaschinen AG im Jahr 2003, bei der durch eine Betriebsänderung rund 560 Arbeitsplätze zur Disposition standen.

In dem BAG-Urteil heißt es, das Betriebsverfassungsgesetz schränke die Regelungsbefugnis von Tarifvertragsparteien nicht ein. Der Umfang einer Streikforderung, die auf ein tariflich regelbares Ziel gerichtet sei, unterliege wegen der im Grundgesetz gewährleisteten Koalitionsfreiheit von Gewerkschaften und im Interesse einer funktionierenden Tarifautonomie keiner gerichtlichen Kontrolle. 1 AZR 252/06

HENRIK MÜLLER

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