Verhandlungs-Kompromiss mit 72,6 Prozent zugestimmt. Telekomer haben einen Kampf geführt, wie er auch anderen Branchen bevorstehen könnte

Sechs Wochen Erzwingungsstreik haben es gebracht

Elf Wochen Arbeitskampf hat es gebraucht, davon sechs Wochen Erzwingungsstreik der Telekom-Beschäftigten, bis ver.di mit der Deutschen Telekom AG einen Verhandlungskompromiss erzielen konnte. In der Urabstimmung Ende Juni haben 72,6 Prozent der betroffenen ver.di-Mitglieder dem erzielten Ergebnis zugestimmt: Die Einkommen bleiben in voller Höhe erhalten, betriebsbedingte Kündigungen sind bis Ende 2012 ausgeschlossen. Die neuen Service-Gesellschaften dürfen bis Ende 2010 nicht verkauft werden, im Falle eines Verkaufs nach 2010 gilt der Kündigungsschutz weiter bis Ende 2012. Gerettet werden konnten zudem zahlreiche soziale Sicherungsstandards wie etwa der Rationalisierungsschutz und die betriebliche Altersversorgung. Soweit die Haben-Seite.

Das wollte die Telekom - Neoliberalismus pur

Nicht abwenden konnte ver.di den Angriff auf die tarifliche Arbeitszeit. Die Wochenarbeitszeit wird um vier auf 38 Stunden erhöht - ohne Lohnausgleich. Abgewehrt hat ver.di jedoch weitergehende Flexibilisierungs-Absichten der Telekom zu Lasten der Beschäftigten. ver.di-Chef Frank Bsirske zu dem Ergebnis: "Trotz der nicht zu leugnenden Wermutstropfen wird der Kampf der Telekomer als ein Beispiel für erfolgreiche Gegenwehr in die Tarifgeschichte eingehen."

Es war ein Frontalangriff: Auslagerung von 50000 Beschäftigten in drei neue Servicegesellschaften, sofortige Lohnsenkung um zwölf Prozent, Verlängerung und Flexibilisierung der Arbeitszeit, Abbau tariflicher Schutzstandards. Das wollte die Telekom. Neoliberalismus pur: Durch Auslagerung Tarifverträge aushebeln, Kosten senken auf Kosten der Beschäftigten.

Die Telekomer haben einen Abwehrkampf geführt, wie er den Beschäftigten in anderen Branchen und Bereichen womöglich erst bevorsteht. Anders als andere EU-Staaten will die Bundesregierung an der weiteren Liberalisierung des Briefmarkts bereits zum 1. Januar 2008 festhalten. Dann soll der Markt für Briefe unter 50 Gramm, auf dem bislang die Deutsche Post AG das Monopol hält, auch privaten Zustellern geöffnet werden. Das heißt: Eröffnung eines neuerlichen Wettbewerbs auf Kosten der Beschäftigten. Längst findet auf dem Postmarkt ein Unterbietungswettbewerb ohnegleichen statt, und zwar nach dem denkbar schlichten Geschäftsmodell der privaten Zustellerfirmen: Niedrigstlöhne, geringfügige und befristete Beschäftigungsverhältnisse, Verweigerung tariflicher Schutzstandards.

Schon macht eine weitere Methode der Lohnsenkung Schule

Der Staat sieht zu, obwohl er handeln könnte: Laut Postgesetz muss die staatliche Regulierungsbehörde, die Bundesnetzagentur, die Vergabe von Lizenzen an private Zusteller an soziale Mindestvoraussetzungen knüpfen. Das heißt für den Postmarkt, dass die Tarifverträge der Deutschen Post AG über Lohnhöhe, Arbeitszeit und Jahresurlaub um höchstens zehn Prozent unterschritten werden dürfen. Bisher hat die Bundesnetzagentur diese Gesetzesvorschrift jedoch in keinem Falle angewandt: Weder wurde je einem Privatanbieter wegen Unterlaufens der sozialen Mindestbedingungen die Lizenz verweigert, noch jemals einer der Privatfirmen aus diesem Grunde die Lizenz entzogen.

In anderen Industrie- und Wirtschaftszweigen macht eine andere Methode der Lohnsenkung Schule: Unternehmen gründen Leiharbeitsfirmen im eigenen Haus und leihen sich ihre Mitarbeiter dort zu niedrigeren Löhnen aus. Möglich macht das eine Änderung der gesetzlichen Vorschriften zur Leiharbeit, die noch die rot-grüne Bundesregierung 2004 beschlossen hat. Seither dürfen Leiharbeiter länger als zwölf Monate in einem Unternehmen beschäftigt werden - geradezu eine Einladung zur Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Der Streik der Telekomer war ein Streik für gesicherte Beschäftigungsverhältnisse. ver.di-Chef Bsirske: "Die Telekom ist nur die Vorhut für Auseinandersetzungen in allen anderen Branchen der deutschen Wirtschaft und Industrie."

Siehe Artikel "Porträt"