Redakteure protestieren gegen Leiharbeit

29 Prozent weniger als die Stammbelegschaft erhalten Leiharbeiter im Durchschnitt. Deshalb fordert ver.di gleichen Lohn für gleiche Arbeit - vom ersten Tag an

Wenn zwei die gleiche Arbeit tun, bekommen sie noch lange nicht das gleiche Geld dafür. Zum Beispiel, wenn einer von beiden bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt ist. Dann passiert es häufig, dass er in einem Entleihbetrieb zwar die gleiche Arbeit macht wie sein Kollege. Aber das Gehalt liegt am Ende des Monats meist unter dem des Schreibtischnachbarn.

Offiziell gilt in Deutschland die gesetzliche Verpflichtung, dass für Leiharbeitnehmer im Entleihbetrieb gleiche Arbeitsbedingungen gelten wie bei den fest angestellten. Unterlaufen werden kann diese Regelung, wenn sich das Zeitarbeitsunternehmen auf einen Tarifvertrag für die eigene Branche beruft. Deswegen ist die Tarifbindung in der Zeitarbeitsbranche relativ hoch: Rund 90 Prozent der Beschäftigten werden von Tarifverträgen erfasst.

Das bedeutet für sie aber nicht automatisch, dass sie gut geschützt sind: Teilweise handele es sich um "Gefälligkeitstarifverträge", kritisiert Jörg Wiedemuth. Er leitet die Tarifpolitische Grundsatzabteilung bei ver.di. "Der tarifvertragliche Schutz ist in der Zeitarbeit dadurch geradezu auf den Kopf gestellt worden." Für ihn gibt es nur einen Weg, einheitliche und sozial verträgliche Arbeitsbedingungen in der Zeitarbeit zu gewährleisten: ein Mindestlohn für die Branche.

Den hat die DGB-Arbeitsgemeinschaft Zeitarbeit gemeinsam mit den beiden Arbeitgeberverbänden BZA und IGZ beim Bundesarbeitsministerium beantragt. Grundlage ist ein gemeinsamer Tarifvertrag, der die unteren Löhne bei 7,13 Euro (West) beziehungsweise 6,36 Euro (Ost) pro Stunde festschreibt. Für das kommende Jahr will der DGB erreichen, dass er auf über 7,50 Euro angehoben wird. Gegen diese Regelung nach dem Entsendegesetz spricht sich die CDU aus. Ihr Argument: Damit würden andere bestehende Tarifverträge ausgehebelt.

Riegel vor Armutslöhnen

Mit diesem Argument sei ein Sachthema in die Mühlen des Vorwahlkampfs geraten, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Zeitarbeit (BZA), Ludger Hinsen, Anfang Mai in einem Interview. Und der Bundesgeschäftsführer vom Interessenverband deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ), Werner Scholz, ergänzt: "Der Mindestlohn führt nur dazu, dass Armutslöhnen in unserer Branche ein Riegel vorgeschoben würde." Dabei geht es auch um Konkurrenz aus den osteuropäischen EU-Staaten, die spätestens ab 2011 auf den deutschen Markt drängen kann. Hinsen kennt rumänische Tarifverträge mit einem Stundenlohn von einem Euro.

Die ver.di-Forderungen zu diesem Thema sind eindeutig. "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Gleiche Bezahlung von Leiharbeit und Stammarbeit, und zwar zu den Konditionen des Tarifvertrages in der Firma, die den Leiharbeiter einsetzt - vom ersten Tag an", sagte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske am 1. Mai in Köln. Wenn die Bedingungen stimmten, sei Leiharbeit als Instrument zum Ausgleich von Arbeitsspitzen und für einen Gewinn an Flexibilität akzeptabel. Als "Instrument systematischer Lohndrückerei" oder zum "Streikbrechereinsatz" lehnt Bsirske sie hingegen kategorisch ab.

Die Betriebsrätebefragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass der Boom der Leiharbeit ungebrochen ist. Gut 37 Prozent der Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten und einem Betriebsrat beschäftigten zwischen Anfang 2005 und Herbst 2007 Leiharbeiter. In gut der Hälfte der Betriebe stieg die Zahl der Leiharbeiter, in 40 Prozent die Einsatzdauer. Der Leiter des WSI, Hartmut Seifert, sieht darin einen Strukturwandel. Teilweise ersetze sie feste Beschäftigung, manche Betriebe setzten Leiharbeit als flexible Quasi-Stammbelegschaft ein. Das sei für die Unternehmen finanziell attraktiv. Durchschnittlich liegt der Lohn der Zeitarbeiter 29 Prozent unter dem der Stammbeschäftigten.

Bericht

Leiharbeit auf Abwegen

lautet der Titel einer Broschüre des ver.di-Bereichs Tarifpolitik. In ihr werden die Ergebnisse einer betrieblichen Fragebogenaktion zur Leiharbeit vorgestellt. Dabei zeigt sich unter anderem, dass die Leiharbeit die Tarifverträge und die Beschäftigung vor allem bei Druck und Papier sowie den Medien bedroht. Außerdem breitet sie sich derzeit in Krankenhäusern, bei Wohlfahrtseinrichtungen und im Einzelhandel stark aus. Betroffen sind auch immer häufiger qualifizierte Berufe. Darüber hinaus werden zahlreiche konkrete Beispiele von Unternehmen vorgestellt, die das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz missbraucht haben. Die Broschüre ist über die ver.di-Bezirke erhältlich.