Ausgabe 06/2007
Mit Chic zur Arbeit
Von Gundula Lasch (Text), Christiane Eisler und Kalle Meyer (Fotos) |Mit hipper Designermode macht das Frankfurter Label "Affentor" von sich reden: Die kunterbunten Taschen für fast jeden Zweck - nahezu jede ein Unikat - sind ein Verkaufsrenner. Die meisten Kundinnen wissen nicht, dass die modischen Stücke in einer gemeinnützigen Werkstatt von langzeitarbeitslosen Frauen aus Altkleidern zusammengenäht werden
Von GUNDULA LASCH (Text), Christiane Eisler und Kalle Meyer (Fotos)
Verkäuferin Conny Schulz zeigt Anna (17) und ihrem Begleiter eine Notebooktasche
Renate Schmitt, "Mutter Affentor"
Frankfurt am Main an einem schwül-heißen Sommertag. In der Nähwerkstatt auf dem Gelände der Werkstatt Frankfurt e.V. im Industrieviertel steht die Luft. 15 Frauen sitzen schwitzend an ihren Nähmaschinen. Doch sie nehmen die Hitze gelassen; bei der Arbeit wird geschwatzt und gelacht, Wasserflaschen gehen reihum. Kunterbunt sieht es auf den Nähtischen aus: Eine ältere Frau verarbeitet gerade Blümchen- und Streifenstoff im Mix, daneben sitzt eine junge Frau mit Kopftuch an einem Beutel, der außen ein grelles Muster im Stil der 70er Jahre und innen ein hellblaues Futter bekommt. Ein Schildchen "made by affentor" wird zum Schluss am Innenrand festgenäht.
Das schlichte und dennoch eigenwillige Beutelmodell "Agatha" ist ein Verkaufsrenner. In der Nähwerkstatt gilt er als "Einstiegsmodell", denn die Neuen lernen daran schnurgerade Nähte. Durch den einfachen Schnitt sind schnell Erfolgserlebnisse da. "Jede Frau hier ist glücklich, wenn sie den ersten Beutel komplett und fehlerfrei hinbekommen hat. Das ist der Abschied vom Anfängerstatus!", sagt die junge Türkin. Einen Tisch weiter wird gerade das Label an eine Laptoptasche aus bunt geblümtem Stoff gesteppt. Neben dem Schriftzug "Affentor" ist darauf die Seriennummer des Artikels gedruckt, der Beweis für die Einmaligkeit oder limitierte Auflage jedes Stücks. Dass die Manufaktur Affentor zur gemeinnützigen Werkstatt Frankfurt e.V. gehört, bleibt dem neuen Besitzer verborgen.
Nana Agic, Projektleiterin
Renate Schmitt wieselt zwischen den Tischen hin- und her. Die 55-Jährige ist die "Mutter" der Affentor-Nähwerkstatt. Sie kümmert sich um den reibungslosen Produktionsablauf und um "ihre" Frauen. Man spürt, dass die humorvolle und resolute Chefin mit dem Herzen bei der Arbeit ist - seit mittlerweile 18 Jahren. "Ich habe stellenweise Mühe gehabt, mit der rasanten Entwicklung hier Schritt zu halten", gesteht sie. Als sie damals die Leitung der Nähstube der Werkstatt Frankfurt e.V. übernahm, wurde dort eine kleine Änderungsschneiderei betrieben und man verkaufte in einem kleinen Lädchen gebrauchte Kinderkleidung. "Nicht zu vergleichen mit dem, was heute hier geschaffen wird", sagt Frau Schmitt stolz. Aus der alten Zeit übrig geblieben ist nur das Label Affentor, das an den alten Standort der Nähstube am Affentor in Sachsenhausen erinnert.
In einer hinteren Ecke der Werkstatt sitzt Ursula Frank an ihrem Nähtisch. Die gehörlose Frau ist momentan die einzige gelernte Schneiderin. Alle anderen Frauen hier hatten zuvor noch nie an einer Industrienähmaschine gesessen. Die 59-Jährige beherrscht ihr Handwerk perfekt und wird deshalb meist mit dem Nähen der "Pilotobjekte" beauftragt. Gerade schwitzt sie über einer Tasche aus dezent beigefarbenem Stoff mit Fischgratmuster - ein Modell für die neue Herbst-/Winterkollektion, die Anfang Juli auf der Designermesse "Bread & Butter" in Barcelona präsentiert werden soll. Mit dem Motto "Island" will das Frankfurter Label den aktuellen Nerv der Fashionszene treffen. "Wir haben uns vor allem von den Themen Natur und Musik inspirieren lassen. Dafür steht für uns die Sängerin Björk mit ihrer eigenwilligen Art", erklärt Nana Agic, seit April Projektleiterin bei Affentor. Die 28-Jährige plant einen Relaunch der seit fünf Jahren bestehenden Affentor-Taschenproduktion: "Wir wollen uns aufs Wesentliche konzentrieren, noch besser und professioneller werden und uns zum richtigen Fashion-Label entwickeln. Das bedeutet eine klare künstlerische Linie, weniger verschiedene Modelle, dafür zwei neue Kollektionen pro Jahr und neue Produkte", umreißt Agic die ehrgeizigen Pläne. Die energische Frau mit Studienabschluss in Mode und Medienkommunikation lässt keinen Zweifel daran, dass sie für den weiteren Erfolgsweg von Affentor steht.
Christian Jungk, Geschäftsführer
Verbindung von Vision und Design
Die rasante Entwicklung von der braven Nähstube zum gefragten Designerlabel hat vor allem Christian Jungk forciert. Als Mitglied der Geschäftsführung der Betriebe und seit 15 Jahren bei der Werkstatt Frankfurt tätig, will er mit den Beschäftigungsstätten keine "theoretischen Inseln" schaffen: "Jobs und Qualifizierung machen nur Sinn, wenn sie im Markt stattfinden." Mit dieser Prämisse im Kopf tüftelt der quirlige 38-Jährige an marktfähigen Konzeptionen und Kooperationen, stellt Kontakte her, brütet immer wieder neue Ideen aus. "Die Affentor-Manufaktur und auch unsere anderen Betriebe sind mittlerweile hochmoderne Dienstleistungsbetriebe mit viel Flexibilität. Wir wollen den Erfolg mit unserer Kompetenz und Leistung erreichen, nicht mit Sozialgehabe", legt Jungk die Zielmarke fest. Das haben die Affentor-Mitarbeiterinnen, die Beschäftigten im Recyclingcenter oder im benachbarten Second-Hand-Kaufhaus auch gar nicht nötig: Der Eigenerlös-Anteil der "Werkstatt"-Betriebe liegt mittlerweile bei über 40 Prozent.
Eve Merceron, Designerin des Labels
Die Verbindung von Jungks Ideen mit denen junger Designer war deshalb nur folgerichtig. Schon 2002 hatte er den Kontakt zur Designerin Eve Merceron hergestellt und mit ihr gemeinsam Ideen für mögliche Kooperationen entwickelt. "Ich habe nach Möglichkeiten gesucht, die Werkstatt Frankfurt nach außen frisch und modern zu präsentieren", schildert Jungk seine Beweggründe. Und für Eve Merceron waren die Nähwerkstatt und der Vorrat an Altkleidern eine riesige Fundgrube. Der Rest ist schnell erzählt: Die heute 37-jährige gebürtige Französin entwarf die ersten Taschen, wühlte sich auf der Suche nach den passenden Stoffen durch gewaltige Berge von Altkleidern und übergab dann die Schnitte und Stilvorlagen an die Nähwerkstatt. Die erste Kollektion von 2002 bestand aus dem einzigen Taschenmodell "Chou Chou". Mit der ständig wachsenden Nachfrage entstanden immer neue, von verschiedenen Designern entworfene Taschenmodelle. Später kamen auch Accessoires dazu. Parallel versorgte Jungk die Werkstatt mit Auftragsarbeiten. Heute lassen hier renommierte Designer-Label wie Tastbar, Charlotte am Main, Ketchup&Mayo und viele andere ihre Kollektionen, Prototypen und Schnittmuster erstellen.
Mit diesem Potential an Ideen und Produktivität im Rücken unternahm das Label den nächsten folgerichtigen Schritt: die Eröffnung eines eigenen Ladens in der Frankfurter Innenstadt. Nur wenige Gehminuten vom Rummel der "Zeil" entfernt, günstig gelegen zwischen kleinen Galerien, präsentiert sich die Marke typisch eigenwillig und stilbewusst. Die beiden Verkäuferinnen Conny Schulz und Zeynep Sönmezcicek sind stolz auf "ihren" Laden. Seit seiner Eröffnung im vergangenen Dezember wächst der Kundenstamm stetig.
Ursula Frank, gelernte Schneiderin
Qualifizierung für neue Zukunftsperspektiven
Man könnte angesichts des aufstrebenden Labels schnell annehmen, dass hier mit billigen Ein-Euro-Jobbern das dicke Geschäft gemacht wird. Doch diese Vermutung ist falsch, denn über allen Marktgedanken steht der Anspruch des Vereins, den zur Werkstatt Frankfurt vermittelten Menschen mehr als Beschäftigungsmöglichkeiten zu bieten. Seit Januar 2006 ist der "Frankfurter Weg" für alle interessierten Langzeitarbeitslosen geebnet: In einem dreistufigen Qualifizierungsprogramm von je einem Jahr können zertifizierte Abschlüsse in 18 verschiedenen Berufen - vom Gärtner über Elektroniker bis zur Industriekauffrau - erworben werden. So absolvieren zum Beispiel die beiden Verkäuferinnen im Affentor-Shop über den Frankfurter Weg ihre Ausbildung zu Einzelhandelskauffrauen, in der Nähwerkstatt kann ein Abschluss als Industrienäherin gemacht werden.
Hüsne Özen, qualifiziert sich hier
Das aktive Lernen parallel zur Beschäftigung wird in Arbeitsgruppen gefördert und gefordert. Von der Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden können die Teilnehmer und Teilnehmerinnen bis zu acht Stunden in den Lerngruppen nutzen. Der Quereinstieg ist jederzeit möglich. Doch Bummeln gilt nicht: Die Leistungsanforderungen sind klar vorgegeben und eine Unterschreitung wird sanktioniert. Wer sich in die Qualifizierung reinkniet, erarbeitet sich nicht nur neue Zukunftsperspektiven auf dem Arbeitsmarkt, sondern kann damit seine sonst befristete Arbeitsmöglichkeit bis auf drei Jahre erhalten. Bei den Prüfungen nach der ersten einjährigen Ausbildungsstufe fielen relativ viele Teilnehmer durch - in der Nähwerkstatt aber haben alle Frauen die erste Hürde genommen.
So auch Hüsne Özen, die übers Frankfurter Jobcenter in die Nähwerkstatt kam: Jahrelang war die 25-jährige, türkischstämmige Frau von einem Minijob zum nächsten gesprungen und hatte schon nicht mehr an eine berufliche Perspektive geglaubt. "Dass ich jetzt hier in der Werkstatt arbeiten kann und dazu die Chance auf einen Berufsabschluss bekomme, ist wie ein Lottogewinn", freut sie sich. Hüsne Özen nimmt die Hürden des Qualifizierungsprogramms mit Schwung: "Auch wenn es schwer ist, möchte ich mindestens bis zur zweiten Stufe kommen", hat sie sich fest vorgenommen. Dann räumt sie ihren Arbeitsplatz auf, rückt ihr schwarzes Kopftuch mit den silbernen Perlen zurecht, tauscht die bequemen Sandalen gegen die hochhackigen und zieht nach einem prüfenden Blick in den Taschenspiegel ihre Lippen nach. "Tschüss!" Hoch erhobenen Hauptes und mit ihren Büchern unterm Arm stolziert Hüsne Özen in Richtung Schulungsraum.
Zeynep Sönmezcicek und Conny Schulz, Verkäuferinnen im Affentor-Shop
Werkstatt Frankfurt
Die "Werkstatt Frankfurt e.V." ist ein soziales Unternehmen, das im Auftrag der Stadt Frankfurt am Main, der Bundesagentur für Arbeit und der Rhein-Main-Jobcenter-GmbH Arbeitslosen qualifizierende Beschäftigung und Ausbildung in verschiedenen Berufszweigen anbietet. Die "Werkstatt" organisiert sinnvolle, im öffentlichen Interesse liegende Arbeitsgelegenheiten bei Ämtern der Stadt Frankfurt, Städtischen Eigenbetrieben, Vereinen und gemeinnützigen Organisationen. Rund 1500 Menschen sind in den Betrieben der "Werkstatt Frankfurt e.V." beschäftigt - dazu gehören die Affentor-Manufaktur, das Second-Hand-Warenhaus, das Recyclingcenter, ein Elektro- und Ersatzteilnetzwerk, Baubetriebe, der Bereich Garten- und Landschaftsbau, eine Gärtnerei, die Ausflugsgaststätte "Tower" am Alten Flughaften Bonames, das Bürgerhaus Griesheim sowie das Licht- und Luftbad Niederrad.
Kontakt: Werkstatt Frankfurt e.V, Mainzer Landstr. 405, 60326 Frankfurt am Main, www.werkstatt-frankfurt.de
Die Taschenkollektion für die Modemesse