In Kassel streikt auch die Innenstadt

Die Frau da drüben steht jeden Tag im Kaufhof an der Kasse, jene dort arbeitet bei Hertie oder bei Sinn und Leffers, die andere vielleicht bei Pohland, dem Herrenausstatter in der Kasseler Innenstadt. "Diese, die andere und ich, wir sind in der gleichen Situation." Aus solchem Verständnis ist Zusammenhalt gewachsen. Am 30. November trafen sie alle aufeinander, auf ihrem Weg zum Streik. Hinzu kamen die von Woolworth und dem Fachgeschäft Sportarena. Sie stehen für 600 Beschäftigte, in der Mehrzahl Frauen, die in Teilzeit und jetzt schon äußerst flexibel beschäftigt sind. Für sie bedeutet dieser Gang, Mut und Solidarität zu zeigen in der Tarifauseinandersetzung. Denn nach der Liberalisierung der Ladenschlusszeiten durch die CDU- Landesregierung empfinden die Verkäuferinnen ihr Leben als kaum noch organisierbar.

Liberal sein heißt freizügig sein - die Frauen aber sind von Zwängen umgeben. Das Geld aus der Teilzeitarbeit reicht nicht zum Leben. Sucht man sich aber einen Zweitjob, ist man nicht mehr flexibel einsetzbar. Und dann gibt es auch noch eine Familie. Per Gesetz wurden den Verkäuferinnen verlängerte, flexiblere, ungünstigere Arbeitszeiten verordnet, nun sollen sie auch noch die Folgekosten tragen. Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit sollen gestrichen werden. Außerdem sind die Tarifverträge über das Urlaubs- und das Weihnachtsgeld gekündigt und in akuter Gefahr. Weihnachtsgeld hört sich traulich an, heißt aber, dass die fälligen Rechnungen zum Jahresende beglichen werden können. Das Geld ist fest eingeplant. Das Leben muss bezahlbar sein. Erika Preuß von ver.di Nordhessen hat durchgerechnet: "Nimmt man das gesamte Paket der Arbeitgeber einschließlich Lohnangebot, kommt unter dem Strich ein Minus von durchschnittlich 180 Euro heraus. Deshalb läuft der Streik von der grünen Wiese bis in die Innenstadt, vom SB-Warenhaus bis zum Fachgeschäft."

Ein weiteres Problem kommt hinzu. Die City-Kaufleute beabsichtigen, die Läden vor Weihnachten fünf Wochen lang an sechs Tagen bis 22 Uhr zu öffnen. Die Betriebsräte haben dies zurückgewiesen, der Kunde brauche keinen Nachteinkauf, sondern mehr Geld für Geschenke. Einige Betriebe haben als Kompromiss vereinbart, viermal freitags bis 22 Uhr zu öffnen. Am ersten Freitag, am 30. November, wurde jedoch erstmal bis 22 Uhr gestreikt. REB