Ausgabe 03/2008
Der Neue will sozial sein
HUBERT SCHMALZ, ver.di-Sekretär, war 5 Jahre Sozialreferent der dt. Botschaft in Moskau
Am 2. März wurde Dmitri Anatoljewitsch Medwedew zum neuen Präsidenten Russlands gewählt. Bereits im Dezember letzten Jahres hatte Ex-Präsident Putin unmissverständlich erklärt, er sei der geeignete Nachfolger im Präsidentenamt. Seit dieser Verkündung wären eher sämtliche Ölquellen in Russland auf einen Schlag versiegt, als dass Medwedew nicht gewählt worden wäre.
Die ersten westlichen Reaktionen für den Kandidaten waren wenig erfreulich. Von Putins Diener war die Rede oder von einem blassen Technokraten. Im günstigsten Fall wurde angemerkt, Medwedew sei zuletzt Aufsichtsratsvorsitzender des staatlichen Energiekonzerns Gazprom gewesen und er könnte möglicherweise ein Wirtschaftsliberaler sein. Manchmal wurde noch auf sein für einen Präsidenten junges Alter - Medwedew ist 42 - hingewiesen und dass er mit noch jugendlicherem Alter bereits die Präsidialverwaltung im Moskauer Kreml geleitet habe. Mit seiner Zeit als Erster Stellvertretender Ministerpräsident wusste jedoch kaum jemand etwas anzufangen. Diese ist aber untrennbar verbunden mit der russischen Sozialpolitik der jüngsten Zeit.
2005 kam es in den bitterkalten Monaten Januar und Februar zu landesweiten Demonstrationen, wie sie die Föderation seit Jahren nicht mehr erlebt hatte. Unter der politischen Führung Putins hatte die Regierung die wichtigsten Sozialleistungen aus der untergegangenen UdSSR abgeschafft und durch monatliche Geldleistungen ersetzt. Die meisten der betroffenen Personen wie Rentner, behinderte Menschen und andere wie etwa die Tschernobyl-Opfer wollten aber kein Bargeld, sondern lieber ihre bisherigen Ansprüche wie kostenlose Benutzung des Personennahverkehrs, unentgeltliche Medikamentenzuteilung oder kostenlose Kuraufenthalte beibehalten. Die Menschen waren sauer, und die Umfragewerte für den Präsidenten fielen so tief wie nie zuvor während seiner Amtszeit. Schnell wurden die Renten erhöht und die meisten Kommunen gewährten wieder die beliebten Freifahrten. Denn eines war deutlich geworden: Es musste längerfristig eine neue Sozialpolitik her, wollte Putin nicht vom Reform- zum Pannenpräsidenten mutieren. Die Neuausrichtung kam dann auch, die Verantwortung wurde Dmitri A. Medwedew übertragen.
Medwedew wurde mit einem für russische Verhältnisse klotzigen Budget von 3,2 Milliarden Euro ausgestattet und beauftragt, in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Wohnungswirtschaft und Landwirtschaft vier "Nationale Projekte mit Priorität" umzusetzen. Medwedew ging seine Aufgabe so an, dass er ein 51-köpfiges Gremium schuf, das die Projekte begleitete. Er knüpfte sich damit ein Netz von Kontakten, das ihm erlaubte, landesweit sowohl politisch als auch öffentlichkeitswirksam aufzutreten.
2006 wurde ein fünftes Großprojekt vorgestellt und ab 2007 umgesetzt. Russland rechnet derzeit mit einem jährlichen Bevölkerungsrückgang von 700000 Einwohnern. Im Jahr 2006 waren 48 Prozent der Ehen kinderlos, 34 Prozent hatten ein Kind, 15 Prozent zwei Kinder und lediglich 3 Prozent der Haushalte lebten mit drei und mehr Kindern. Um dieser Entwicklung entgegenzusteuern, werden der Bevölkerung erhebliche finanzielle Leistungen zugestanden. Ab dem zweiten Kind wird ein Mutterschaftsgeld von rund 8400 Euro gezahlt, das zweckgebunden verwendet werden muss, etwa zum Ankauf einer Eigentumswohnung. Das monatliche Kindergeld für die ersten 18 Monate wurde auf 45 Euro für das erste Kind und auf 90 Euro für jedes weitere Kind verdoppelt. Für bisher berufstätige Mütter werden Lohnersatzleistungen während der ersten 18 Lebensmonate des Kindes gewährt. Gibt die Mutter zumindest vorübergehend die Arbeit auf, erhält sie 40 Prozent des letzten Gehalts, mindestens aber einen Geldbetrag in Höhe des Kindergeldes. Auch Beihilfen für die Kindergartenunterbringung werden für bis zu 70 Prozent der tatsächlichen Aufwendungen gezahlt.
Und wie sieht die Bilanz Medwedews aus, jetzt mit Antritt seines neuen Amtes? Wer die Weiten Russlands kennt, der weiß, dass innerhalb dieser geringen Zeitspanne keine Wunder zu erwarten waren, es sei denn von Potemkinscher Qualität. Ein Blick in öffentliche Einrichtungen zeugt regelmäßig von bescheidensten Krankenzimmern und Schulräumen. Von Turnhallen mit dem Charme heruntergekommener Lagerräume ganz zu schweigen. Ferner ist auch das Wort "Korruption" im Land kein unbekanntes. Trotzdem: Die Geburtenrate 2007 war so hoch wie seit 15 Jahren nicht mehr und die Sterblichkeitsrate die tiefste seit 1999. Für die Zukunft könnte ein wichtiger Faktor werden, dass Medwedew aus dem Kreml hinaus ins Land geschickt wurde und mit Hilfe dieser Lehrjahre Erfahrungen über die soziale Lage gesammelt hat. Er ist also gut vorbereitet. Vor allem aber: Weiteren sozialpolitischen Projekten wird es nicht am Geld fehlen.
Medwedew ist untrennbar verbunden mit der russischen Sozialpolitik der jüngsten Zeit