Maria Kniesburges ist Chefredakteurin der ver.di PUBLIK

Selten haben die Wortführer der christlichen und liberalen Parteien das Wort Tarifautonomie so oft im Munde geführt wie in diesen Tagen. Wegen des Mindestlohns. Der, so betet uns Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) fast täglich vor, sei ein Eingriff in die Tarifautonomie. Und auch die Kanzlerin ließ kategorisch wissen, dass der Mindestlohn mit ihr nicht zu machen sei, der Tarifautonomie wegen.

Es ist wahr, um die Tarifautonomie steht es nicht gut. Für knapp die Hälfte aller Beschäftigten in den neuen und mehr als ein Drittel in den alten Bundesländern gibt es keine Tarifbindung mehr. Tarifverträge werden flächendeckend unterlaufen, stattdessen Niedrigstlöhne gezahlt. Wie das alles geht? Ganz legal. Und ohne dass die oben erwähnten Kämpferinnen und Kämpfer für die Tarifautonomie auch nur das Geringste daran auszusetzen hätten.

Arbeitgeber treten aus ihren Verbänden aus, unterliegen der Tarifbindung nicht mehr - und zahlen unter Tarif. Das gehört zu den Freiheitsrechten in der freien Marktwirtschaft. Neu ist das Unterlaufen von Tarifverträgen mittels Leiharbeit. Unternehmen entlassen ihre Beschäftigten und stellen sie als Leiharbeiter unter Tarif wieder ein. Und wo Gewerkschaften im Streik stehen, werden Leiharbeiter als Streikbrecher missbraucht wie derzeit im Einzelhandel. Leiharbeiter dürfen zwar Streikbrecherarbeit verweigern, doch da greift das Spiel mit der Angst.

Der bisher schärfste Anschlag auf die Wirksamkeit der Tarifautonomie war die Aufhebung der zeitlichen Befristung von Leiharbeit durch die rot-grüne Bundesregierung 2004. Und wem wirklich an der Tarifautonomie liegt, der kann sofort tätig werden: Leiharbeit befristen und gleiche Bezahlung im gleichen Betrieb festschreiben. Das geht per Gesetz. Wenn man nur will.