Hunderttausende Beschäftigte des öffentlichen Dienstes gingen auf die Straße: landesweit Warnstreiks und Aktionen für mehr Geld und gegen eine Verlängerung der Arbeitszeit. Erstmals sind auch Streikende aus dem Einzelhandel dabei

Das war ein starkes Signal. Deutlich mehr Beschäftigte des öffentlichen Dienstes als erwartet beteiligten sich Ende Februar und Anfang März kreuz und quer durch Deutschland an regionalen Warnstreiks und gingen für die Forderungen der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und des Beamtenbundes dbb Tarifunion auf die Straßen: acht Prozent mehr Entgelt, mindestens aber 200 Euro.

Die Beschäftigten haben die Unbeweglichkeit der Arbeitgeber in fünf Verhandlungsrunden verstanden: von Kiel bis München, Saarbrücken bis Dresden haben sie die Arbeit in Krankenhäusern, Behörden, Verwaltungen und Kindertagesstätten niedergelegt und sind in teils flächendeckende Warnstreiks getreten. Ihre Botschaft: Bewegen die Arbeitgeber sich nicht, dann soll es nicht bei einer Kostprobe bleiben.

Vorerst folgt nun ab Mitte März das Schlichtungsverfahren (siehe Kasten). Die Verhandlungen zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgebern von Bund und Ländern sind nach der fünften Verhandlungsrunde am 7. März gescheitert. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und der Vertreter der kommunalen Arbeitgeber, Thomas Böhle, hatten kein verhandlungsfähiges Angebot vorgelegt.

In vielen Städten kam es aufgrund der Streiks und Protestkundgebungen zu Verkehrsstaus und Verzögerungen sowie anderen Einschränkungen und Wartezeiten für die Bevölkerung. Doch die äußerte allerorts Verständnis für die Anliegen der Beschäftigten. Schwerpunkte der Warnstreiks waren an einzelnen Tagen auch der Nahverkehr, Bundeswehreinrichtungen, Bundesministerien, Wasser- und Schifffahrtsämter, Ver- und Entsorgungseinrichtungen und die Flughäfen. Hunderte von Flügen mussten allein am 5.März, dem Tag der Flughäfen, gestrichen werden.

Der fast vergessene Streik im Einzelhandel

Szenen aus Hannover, wo sich am Tag zuvor weit mehr als 20000 Teilnehmer aus ganz Niedersachsen und Bremen nach einer Groß-Demonstration durch die Innenstadt auf dem Opernplatz versammelt hatten. Mitten in der Kundgebung finden sich um die 500 Kolleg/innen aus dem niedersächsischen Einzelhandel, die seit nunmehr fast einem Jahr für 5,5 Prozent mehr Lohn und gegen die Streichung ihrer Spät- und Samstagszuschläge streiken. "Das hier tut einem unheimlich gut - man ist nicht mehr allein", sagt der 35-Jährige Paolo Poggianella, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender in einer Filiale der Textilkette H&M. "Mit dem Tag heute haben wir hier in Hannover den 15. Streiktag." Poggianella berichtet, dass die Geschäfte Leiharbeiter engagieren oder kurzerhand Führungskräfte in den Verkauf schicken, um streikende Kollegen zu ersetzen. Jedenfalls ist es nie gelungen, die Schließung der betroffenen Kaufhäuser durchzusetzen und so den Streik eindeutig öffentlich zu machen.

In den Medien findet dieser Tarifkonflikt fast gar nicht statt. Aber 20000 Kollegen, die gemeinsam in die Trillerpfeifen blasen, kann die Presse natürlich nicht verschweigen. "Gott sei Dank, dass wir uns zusammengeschlossen haben", sagt H&M-Kollegin Birgit Krumholz, "alles wird teurer, und du hast am Ende immer weniger im Portmonee. Gar nichts zu machen kann auch nicht helfen." Und Elke Kreimeyer, die seit 21 Jahren bei Karstadt arbeitet und an diesem Tag ebenfalls zum ersten Mal gemeinsam mit den ver.di-Kollegen aus dem öffentlichen Dienst auf der Straße ist, fügt hinzu: "Wir hoffen, dass dadurch auch der Einzelhandel ein bisschen mehr auffällt."

Im Vorfeld der Kundgebung in Hannover gab es auch die Idee, auf dem Weg zum Opernplatz durch bestreikte Kaufhäuser zu ziehen. Das habe man aber wieder fallen gelassen, sagt Kollege Poggianella, bei solchen Aktionen könne man schnell als Chaot gelten. "Sowas will sorgfältig geplant werden, man muss darauf achten, dass man Polizei oder Arbeitgebern keine Handhabe zum Einschreiten gibt." Dennoch: "Die gemeinsame Kundgebung macht Mut. Das ist psychische Unterstützung."

Jetzt streikt die Familie gemeinsam

Für weitere gemeinsame Aktionen, wie sie unterdessen beispielsweise auch in Heilbronn, Mannheim und Stuttgart stattfanden, warben auch die Redner der Hannoveraner Kundgebung. Peter Franielczyk, Landesfachbereichsleiter Handel, wünschte sich eine abgestimmte Laufzeit der Tarifverträge, "damit der Busfahrer und der Verkäufer zum gleichen Zeitpunkt für ihre Forderungen streiken können." Und der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske sagte, Streikende im öffentlichen Dienst und im Handel stammten zum Teil aus denselben Familien. Da arbeite die Frau im Kaufhaus und der Mann im Kanalbetrieb oder der Mann im Lager und die Frau im Bürgeramt. Deshalb gelte: "Eine Familie, ein Interesse, eine gemeinsame Sache."

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Wer zu Späth kommt in der Schlichtung ...

Am 6./7. März sind in Potsdam die Tarifverhandlungen mit Bund und Kommunen gescheitert. Die Arbeitgeber hatten ein verbessertes Angebot an die Bedingung längerer Arbeitszeiten geknüpft. Das wies die ver.di-Bundestarifkommission einstimmig zurück. Die Arbeitgeber riefen daraufhin die Schlichtung an.

Stimmberechtigter Schlichter ist der von den Arbeitgebern benannte Lothar Späth, Baden-Württembergs früherer Ministerpräsident. Ihm zur Seite steht - diesmal ohne Stimmrecht und von den Gewerkschaften benannt - Hannovers langjähriger Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg.

Die gewerkschaftliche Schlichtungskommission besteht aus zwölf Mitgliedern - acht von ver.di, drei von der dbb tarifunion und eines von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Ihnen steht eine ebenfalls zwölfköpfige Kommission von Bund und Kommunen gegenüber.

Die Schlichtung beginnt am Samstag, 15. März, an geheimem Orte. Spätestens vier Werktage danach hat die Schlichtungskommission die Einigungsempfehlung zu beschließen. Sie kann aber die Frist einstimmig um bis zu drei Werktage verlängern und die Beratungen bis zu zwei Werktage lang unterbrechen.

Aufgrund dieser Abläufe wollen Gewerkschaften und Arbeitgeber am 29. März in Potsdam die Verhandlungen wieder aufnehmen. Scheitern auch sie, so endet die Friedenspflicht. Dann würden im April Urabstimmung und Streik folgen. hs