Daniela Großkop (rechts) mit einer Kollegin

Streiks, Warnstreiks und andere Aktionen in Hamburg

Seit knapp einem Jahr läuft im Einzelhandel die Auseinandersetzung um einen neuen Tarifvertrag. Besonders strittig ist die Frage der Zuschläge für Arbeit zu ungünstigen Zeiten. Die Arbeitgeber wollen sie kappen, die Beschäftigten können angesichts des niedrigen Gehaltsniveaus nicht darauf verzichten. In mehreren Streikwellen wehrten sich die Beschäftigten gegen die Streichung ihrer Spät- und Nachtzuschläge. Dabei machten sie mit Aktionen auf die Situation im Handel aufmerksam: Am 18. März verbanden zum Beispiel knapp 1000 Streikende aus Hamburg und Schleswig-Holstein die Flaggschiffe des Arcandor- und des Metrokonzerns, Alsterhaus und Kaufhof in der Mönckebergstraße, mit einem kilometerlangen "Band der Solidarität".

Erster Streik bei Thalia

In Hamburg waren Beschäftigte des Buchhandels erstmals in die Streiks einbezogen. ver.di PUBLIK sprach mit Daniela Großkop, 39, von der Thalia-Filiale in der Spitaler Straße über ihre Streikerfahrungen.

ver.di PUBLIK | Wie fühlt Ihr Euch in diesem Tarifkonflikt, der nicht enden will?

Grosskop | Wir sind sauer! Und Thalia geht es gut. Das Unternehmen hat keinen Grund zum Jammern. Der Umsatz wächst. Ständig kommen neue Filialen hinzu. Keiner versteht, warum sich unsere Chefs nicht mehr für einen Tarifabschluss ins Zeug legen. Der Druck auf uns steigt stetig; die Arbeitsverdichtung nimmt zu, die Arbeitsbelastung wird immer höher. Trotzdem gibt es kaum Neueinstellungen. Die Stimmung wird so immer schlechter.

ver.di PUBLIK | Dann waren die Streiks Selbstgänger?

Grosskop | Nicht so ganz. Natürlich habe ich als Mitglied der ver.di-Tarifkommission vorher Gespräche geführt und regelmäßig über den Gang der Dinge berichtet. Viele meiner Kolleg/innen haben sich auch selbst informiert. Recherchieren gehört schließlich zu unserem Job. Deshalb haben sie sich auch nicht ins Bockshorn jagen lassen, als unser Arbeitgeber für die Region Nord zum 1. April einseitig zwei Prozent mehr Gehalt angeboten hat. Viel zu wenig, rechtlich angreifbar und unsicher! Das sind die Reaktionen. Sie wissen, worum es geht. Viele sind während der Streiks Mitglied bei ver.di geworden.

ver.di PUBLIK | Wie liefen die Streiks?

Grosskop | Von Filiale zu Filiale unterschiedlich. Wir mussten lernen, wie der Streik funktioniert, schließlich haben wir Neuland betreten. In der Spitaler Straße beteiligte sich immerhin etwa die Hälfte der 60-köpfigen Belegschaft. Leider hat die Geschäftsleitung es geschafft, Kolleg/innen aus anderen Filialen als Streikbrecher/innen einzusetzen. Da müssen wir für zukünftige Streiks noch mehr Überzeugungsarbeit leisten. Herzlich lachen mussten wir über eine Beobachtung am Rande: Unsere Personalchefin hat in der Filiale ausgeholfen. Am Morgen noch in schicken Schuhen und am nächsten Tag in eingelaufenen Mokassins. Gefreut hat uns, dass die meisten Kunden Verständnis für unseren Streik hatten. Nun ja, wir haben auch vor dem Laden gestanden und auf Handzetteln um ihr Verständnis geworben.

Interview: Jörg-Dieter Bischke-Pergande

Wer nicht hören will...

Auch im öffentlichen Dienst gab es im März Warnstreiks für acht Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 200 Euro. Höhepunkt war in Hamburg die Streikversammlung auf dem Gänsemarkt - gegenüber der Finanzbehörde. 3500 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes und benachbarter Tarifbereiche folgten dem Warnstreikaufruf: Arbeiterwohlfahrt, Asklepios-Kliniken, Berufsgenossenschaften, Bundesagentur für Arbeit, Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie, Bundesbank Hamburg, DESY, Hamburger Öffentliche Bücherhallen, pflegen & wohnen, Stadtentwässerung, Stadtreinigung, Thalia-Theater, Vereinigung Hamburger Kindertagesstätten und viele andere.

Wolfgang Rose, der Hamburger ver.di-Chef, sagte auf der Versammlung: "Wer nicht hören will, muss fühlen. Die Stimmung in den Betrieben ist explosiv. Die Zeit der Bescheidenheit ist vorbei. Der Aufschwung muss bei allen ankommen, nicht nur bei Shareholdern und Großverdienern in den Chefetagen."

Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske machte die Bedeutung des Konflikts sichtbar: "Ganze Familien sind im Streik, der Mann von der Stadtreinigung, die Frau aus der Kita. Sie alle wollen mehr Lohn für ihre gute Arbeit. Sie alle brauchen Gehälter, von denen eine Familie ordentlich leben kann. Deshalb sind sie zusammen hier."

Der Druck hat sich ausgezahlt. Am 31.März kam es bei den Verhandlungen in Potsdam überraschend doch noch zu einem Ergebnis, das Wolfgang Rose so bewertet: "Nach Jahren des Reallohnverlustes und der Nullrunden haben die Gewerkschaftsmitglieder mit Warnstreiks und der Drohung mit einem Erzwingungsstreik endlich wieder eine kräftige Lohnerhöhung durchgesetzt."