Ausgabe 05/2008
Von Containern und Kaiwänden
Von Heike Langenberg (Text) und Susanne Katzenberg (Fotos) |Der Hamburger Hafen einmal anders. Wer mit Jan Hauschildt und seinen Kollegen von der Hamburger DGB-Jugend eine Rundfahrt vom Hafentor bis Altenwerder macht, lernt eine Menge über den Arbeitsplatz Hafen- und über die Globalisierung. Mit der Barkasse auf alternativer Tour
Blau, grau, rot - wie Bauklötze stehen die Container am Hafenrand. Aufgestapelt zu kleinen Türmen, dicht nebeneinander. Ein Depot dieser Metallkisten irgendwo im Hamburger Hafen, an dem die Barkasse Cremon I vorbeituckert. Es sind alles leere Container, deswegen stehen sie dicht an dicht. Wird einer gebraucht, holt ein Gabelstapler den am besten Erreichbaren weg. Sind Waren in den Kisten, stehen sie auf Lücke, damit der Gewünschte jederzeit herausgeholt und weitertransportiert werden kann. Ein Detail nur, aber den 25 Teilnehmer/innen der Alternativen Hafenrundfahrt öffnet sich ein neuer Blick auf die Hafenwelt.
Die meisten von ihnen kommen aus Hamburg und Umgebung. Der Hafen ist ihnen vertraut - als Teil der Stadt. Doch wirklich auskennen? "Ich bin ein alter Hamburger", sagt Wolfgang Radszuweit von sich. Mit der Hafenfähre von den Landungsbrücken quer über die Elbe in den südlichen Stadtteil Finkenwerder fährt er regelmäßig. Vorbei an den Docks der Werft Blohm & Voss, an Containerbrücken. Doch eben nur vorbei. Schon lange wollte er eine Alternative Hafenrundfahrt mitmachen, die die DGB-Jugend seit mehr als 25 Jahren anbietet. Eine Rundfahrt, von der er sich, "und ich weiß eine Menge über Hamburg", neue Einblicke verspricht. Deswegen kommt er an einem Samstagmittag zum Hafentor.
Hier im Schatten des Museumsseglers Rickmer Rickmers steht Jan Hauschildt. Jeans, gelbe Jacke, Birkenstockschuhe. Anfang der achtziger Jahre ist er selbst zur See gefahren, bis ihn seine Freundin in Hamburg festmachen ließ. Doch der Hafen lässt den Maschinenbauingenieur nicht los. "Mich interessiert der ganze Kram", sagt er. Das ist spröde bis untertrieben. Täglich liest er, was im Hafen vorgeht. Dieses Wissen will er weitergeben. Da er schon während seines Studiums gewerkschaftlicher Vertrauensmann für Schiffsingenieure an der Fachhochschule war, lag es für ihn nahe, das für die DGB-Jugend zu tun.
Mit Pappschild auf Werbetour
Voranmeldungen hat er für seine Tour an diesem sonnigen Tag nicht. Deswegen steht der 49-Jährige schon eine halbe Stunde vor Abfahrt am Hafentor. Mit einem selbst gemalten Schild versucht er, Spaziergänger auf die Tour aufmerksam zu machen. "Alternative Hafenrundfahrt" hat er mit schwarzem Filzer auf den braunen Karton geschrieben. Vielfach geknickt ist die Pappe mittlerweile, von ihren zahlreichen Werbeeinsätzen. Erste Passanten bleiben stehen. Fragen, was bei einer alternativen Tour anders ist als bei denen der aufgeregten Männer, die sie mit lauten Rufen "Hafenrundfahrt! Eine Stunde! Mit der Barkasse auch in die Speicherstadt!" auf ihre Boote locken wollen. "Alternativ bedeutet nicht, dass wir rudern, schwimmen oder segeln. Ich will den Hafen anders erklären. Aus Sicht der Seeleute, der Hafen- und Werftarbeiter, aus Sicht der Leute, die hier leben und arbeiten", verspricht Jan den Interessierten. Keinen Klönsnack wie auf den anderen Booten, bei dem einige Fakten mit viel Seemannsgarn und Döntjes zu einem unterhaltenden Stundenprogramm verwoben werden.
Jan Hauschildt kann überzeugen. Wer mit ihm redet, geht meist kurz danach die Treppe zum Kai herunter. Nach einer halben Stunde erwarten dort 25 Fahrgäste die gelb-schwarze Barkasse Cremon I. Unter ihnen ist Lothar Fechner. Mit seiner Frau ist er aus Sachsenhagen in Niedersachsen angereist, besucht seinen Schwager. "Ich habe keine Ahnung von Containern und Hafen", sagt Fechner. Das will er jetzt ändern. Den Fotoapparat fest im Griff, wechselt er während der Fahrt immer wieder die Seiten auf der Barkasse, um den besten Blick für die Erinnerungsfotos zu gewinnen.
Los geht der Törn mit Geschichte. Bis vor rund 150 Jahren haben kleinere hölzerne Schiffe mit Segelantrieb vor der Stadt fest gemacht. Sie erledigten vor allem, was heute Lastwagen tun: den Transport von Nahrungsmitteln und Baumaterial. "Seit dieser Zeit geht der Aufschwung weiter." Der Hafen wächst, breitet sich aus, verändert sich. Wo 1880 das erste künstliche Hafenbecken der Stadt ausgehoben wurde, entsteht zur Zeit die Hafencity - ein neuer, 155 Hektar großer Stadtteil mit Wohnungen und Büros. Die ständige Veränderung des Hafens fasziniert Jan Hauschildt: "Der Wandel ist das Stetige hier. Firmen bauen aus, stellen ein, reißen ab - und dann kommt der nächste."
Weiter tuckert die Cremon I mit ihren 150 PS über Norderelbe und durch Hafenbecken. Einst war das Ufer hier eine Viehwiese, dann wurde sie Hafen. Heute wirken die Kais wie ein riesiger Parkplatz. Autos, die für Deutschland zu alt oder zu kaputt sind, warten auf ihren Transport nach Westafrika und in den Mittleren Osten. "Stückgut", sagt Jan Hauschildt. Dinge, die nicht in Massen in Containern transportiert, sondern einzeln verpackt werden.
Noch in den sechziger Jahren war alles, was im Hamburger Hafen umgeschlagen wurde, Stückgut. Kisten, Säcke, Einzelteile - fast alles bewegten die Männer von Hand. "Das war schwere körperliche Arbeit", sagt der Hamburger, der mit vier Lautsprechern den Dieselmotor der Cremon I übertönen muss. 20000 Leute haben Mitte bis Ende der sechziger Jahre im Hamburger Hafen gearbeitet und pro Jahr 16 Millionen Tonnen Waren bewegt. Heute sind es noch 5000, aber sie bewegen pro Jahr 140 Millionen Tonnen.
Die Mitfahrer staunen. "Kaum eine Erfindung hat die Häfen der Welt in den letzten Jahrzehnten so verändert wie der Container", erzählt Jan Hauschildt. Beispiel Bananen: Früher wurden die Stauden einzeln von Bord getragen, heute kommen sie in Containern, die ein Kran von Bord hebt. 1956 setzte ein amerikanischer Reeder das Nebenprodukt des Korea-Krieges erstmals zum zivilen Warentransport ein. Das damals verschmähte "Schachtelschiff" bereitete der Globalisierung den Boden. Mit ihm war es möglich, Waren oder ihre Bestandteile günstig von A nach B zu transportieren. Um sie günstig zusammenzubauen oder weiter zu verarbeiten - und sie dann dorthin zu schicken, wo der Markt ist.
Die Schifffahrt ist globalisiert
"Etwa ein Viertel der Container geht leer zurück nach Südostasien", sagt Jan Hauschildt. Deutschland sei zwar Exportweltmeister, aber exportiert werden eher teure, schwere Sachen wie neue Autos, Motoren oder Rolltreppen. Importiert wird mehr leichte Massenware: Handys, Spielzeug oder Kleidung. Gerade passiert die Cremon I einen hohen Berg aus Schrott auf einer Kaimauer. Kameras werden gezückt. "Hier liegt die Altindustrie der DDR", erklärt Jan Hauschildt. Mit einem Kran werden die Reste in einen Massengutfrachter verpackt. Nach China, Indien oder Pakistan - "alles eine Frage des Preises. Der Weltmarkt entscheidet, wohin die Reise geht."
Globalisiert ist auch die Schifffahrt. Schiffe fahren unter Flaggen der Mongolei oder Luxemburg - Länder, die weit weg vom Wasser liegen. Doch auch hier greift der internationale Wettbewerb. "Erst wurden damit Steuern gespart, dann Sozialabgaben. Dann wurden Tarifverträge unterlaufen. Heute geht es vielen Reedern um niedrigere Umweltstandards", erklärt Jan Hauschildt. So können sie ihre Schiffe überall auf der Welt anmelden. Während die Sehleute bei ihrer Rundfahrt rätseln, wo denn Majuro (Südsee) oder Monrovia (Hauptstadt des westafrikanischen Staates Liberia) eigentlich liegen, erklärt Jan Hauschildt ihnen, wie wichtig international vernetzte Gewerkschaften sind. Sie können dafür sorgen, dass einheitliche Standards weltweit eingehalten werden. Dass Deutschland auch zu den Staaten gehört, in denen Schiffe in einem günstigeren Zweitregister gemeldet werden können, erbost Dorothea Engel-Ortlieb, eine Dunkelhaarige mit rotem Blazer: "Das ist doch ein Kuhhandel mit den Reedern."
Keine Überlebenschance auf manch einem Frachter
Am nächsten Kai haben die Barkassen der anderen Hafenrundfahrten längst abgedreht. Hier entlädt ein roter Kran Eisenerz von der Constance N. Von Brasilien aus ist sie nach Europa gefahren, voll beladen mit 220000 Tonnen. 100000 Tonnen davon wurden schon in Rotterdam gelöscht, sonst wäre der Tiefgang zu groß gewesen, um den Hamburger Hafen anzufahren. Teilweise nur 20 Millimeter ist ihre Außenhaut stark. "Im Vergleich dazu ist eine Eierschale dick", sagt Jan Hauschildt. Kollektives Kopfschütteln setzt ein, als der Hafenfachmann erzählt, dass zwei bis drei Schiffe dieser Art pro Jahr versinken. Extremes Wetter und die schwere Ladung können die Schiffe zum Zerbrechen belasten, in zwei, drei Minuten ist alles landunter. Erst im Sommer ist eines dieser Schiffe vor Südafrika untergegangen, die 17 Seeleute hatten keine Überlebenschance.
Nicht ungefährlich ist auch der Job auf dem nächsten Schiff, das die Cremon I passiert. Ganz dicht an der Bordwand der Berlin Express geht es entlang. Erst nach 20, 30 Metern stählerner Schiffswand sind oben die ersten Container zu sehen, blau, grau, rot. "Davon hat man ja sonst keine Vorstellung", sagt Ute Kurps und schaut beeindruckt immer wieder nach oben. So nah an den Schiffen ist die gebürtige Hamburgerin selten.
Hoch oben auf dem Schiff und den Containern arbeiten die Hafenarbeiter mit so genannten Twistlocks. Mit diesen Metallteilen, sechs Kilo schwer, fixieren sie die Container an Deck oder verbinden sie miteinander. Nur so haben die Schachtelschiffe Halt. Jan Hauschildt hat ein Twistlock mitgebracht, reicht es unter den Fahrgästen herum. Manch einem ist das Halten des Metallteils schon hier zu schwer. Rund 840 davon bewegt ein Hafenarbeiter in einer Schicht, erzählt Hauschildt. Hoch oben, 40 Meter über dem Wasser, auf manchmal schwankendem Grund, im Winter auch bei Eis und Schnee. Manches bleibt eben immer noch Handarbeit, auch wenn nebenan auf den Terminals von Altenwerder die Container vollautomatisch umgesetzt und verwaltet werden.
"Seefahrerromantik", murmelt einer der Fahrgäste.
Hafenführer Jan Hauschildt
Zu einem Hamburg-Besuch gehören Hafenrundfahrten wie der Michel oder die Reeperbahn. Jenseits der Hamburg-Touristik ermöglicht die DGB-Jugend seit mehr als 25 Jahren bei ihren Alternativen Hafenrundfahrten einen anderen Blick auf die Welt der Schiffe und Kräne. Geleitet werden die Touren von Menschen, die sich im Hafen auskennen. In dieser Saison sind es Martin Behrends, Hafenarbeiter beim Gesamthafenbetrieb Hamburg, Einar Heissler, ehemaliger Seemann und jetzt Angestellter bei der Hamburg Port Authority, sowie Jan Hauschildt, ehemaliger Seemann und jetzt als Maschinenbauingenieur tätig.
Angeboten werden die Alternativen Hafenrundfahrten in der Saison 2008 an folgenden Terminen: 24. und 31. Mai, 21. Juni, 5. und 19. Juli, 9. und 30. August, 13. und 27. September sowie 11. Oktober. Sie beginnen um 12 Uhr, Treffpunkt ist am Hafentor (S/U-Bahn Landungsbrücken). Die Fahrten dauern 2,5 Stunden, Getränke können an Bord gekauft werden. Die Tour führt bis zum neuen Containerterminal in Altenwerder. Sie kostet 6 Euro (bis 28 Jahre) bzw. 8 Euro (ab 28 Jahren). Für Gruppen ist es möglich, Touren zu anderen Terminen zu vereinbaren. Solche Sonderfahrten kosten 271,30 Euro.
Kontakt, weitere Informationen sowie Voranmeldung: DGB-Jugend Nord, E-Mail jugend.nord@dgb.de, Tel. 040/2858-225/-256. Internet: www.dgb-jugend-nord.de. Dort im Hauptmenü unter dem Stichwort Hamburg auf Hafenrundfahrten klicken.