Maria Kniesburges ist Chefredakteurin der ver.di PUBLIK

Wer Europa will, dem wird das derzeit schwer gemacht: Von den Richtern am Europäischen Gerichtshof, die nun für Recht erklären, was neoliberale Europa-Politiker und die in Brüssel tätigen Wirtschaftslobbyisten bisher nicht durchsetzen konnten. Der Gerichtshof macht heute zu bindendem Recht, was eine starke Protestbewegung der europäischen Gewerkschaften und Sozialbündnisse mit Erfolg verhindert hatte: dass nämlich Beschäftigte, die von einem EU-Land zur Arbeit in ein anderes entsandt werden, schlechter bezahlt werden dürfen und schlechter geschützt sind, als es die am Einsatzort landesüblichen Tarife und Arbeitsrechte verlangen.

Genau das hatte die EU-Kommission mit der ursprünglich geplanten EU-Dienstleistungsrichtlinie festschreiben wollen, war aber an den unerwartet heftigen, europaweiten Aktionen und Demonstrationen gescheitert. Mit Tücke und Finesse wurde sodann an der Neuinterpretation der EU-Entsenderichtlinie gebastelt. Die schreibt zwar die Gleichbehandlung entsandter Arbeitnehmer vor, lässt dem Europäischen Gerichtshof aber genug Spielraum, die Pflicht zur Gleichbehandlung auf Mindeststandards wie gesetzliche Mindestlöhne zu reduzieren. Schließlich, so sehen das die Europa-Richter im Verein mit der EU-Kommission, würde etwa ein entsendender Handwerksbetrieb unbillig in seinem Wettbewerbsvorteil begrenzt, wenn er jeweils landesübliche Tarife zahlen müsste.

Und im Dienste der wirtschaftlichen Freiheiten macht der Gerichtshof auch vor den Grundrechten nicht Halt. Per Urteil schreibt er vor, die Versammlungs- und die Meinungsfreiheit, ja sogar die Menschenwürde hätten im Einklang mit der unternehmerischen Dienstleistungsfreiheit und dem Schutz des freien Warenverkehrs zu stehen. Wer Europa will, muss sich diesem höchstrichterlichen Angriff auf die Verfassung und die nationalen Schutz- und Arbeitsrechte widersetzen. Auf dem Spiel steht nicht weniger als die europäische Idee: ein Europa des sozialen Friedens und der Demokratie.