13 lange Monate dauerte der Tarifkonflikt, bevor es im Sommer 2008 zu ersten Abschlüssen in den Ländern kam. Noch während der vereinbarten Erklärungsfrist zogen die Hamburger Arbeitgeber Mitte August ihre Zustimmung zu dem gefundenen Kompromiss zurück. ver.di PUBLIK sprach mit Joachim Dürbaum (50), dem Betriebsratsvorsitzenden bei Karstadt in der Osterstraße, über seine Erfahrungen in der Tarifrunde und darüber, was er aus dem endlosen Konflikt gelernt hat.

ver.di PUBLIK | Was war 2007/2008 anders als in den Jahren zuvor?

Dürbaum | Neu war, dass die Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber ohne den üblichen hauptamtlichen "Puffer" ablief. Unsere betriebliche Streikleitung hat die Aktionen geplant und die Streiks durchgegeführt. Dabei hat uns in der Filiale unser hoher Organisationsgrad von 80 Prozent geholfen. Neu war für uns auch, wie gut die Arbeitgeber auf den Streik vorbereitet waren: Die Karstadt-Häuser in Hamburg wurden trotz hoher Streikbeteiligung geöffnet, mit Führungskräften, mit Beschäftigten von Leiharbeitsfirmen, die diesmal gut geschult waren und sich bei uns auskannten; durch den Einsatz der Inventurteams, die von Fremdfirmen gestellt werden; zum Teil auch mit Beschäftigten aus anderen Bundesländern, wobei die Arbeitgeber Mitbestimmungsrechte verletzt haben. Als Reaktion darauf haben wir uns in Eimsbüttel besonders liebevoll um unsere Kunden gekümmert.

ver.di PUBLIK | Wie meinst Du das?

Dürbaum | Wenn wir Druck machen wollen, muss der Streik bei den Umsätzen richtig spürbar sein. Sonst heben sich die Umsatzverluste und die Einsparungen bei den Personalkosten gegenseitig auf. Bei Karstadt haben wir - andes als bei Rewe - keinen direkten Einfluss auf den Warenfluss mehr, seit die Lager und die Lieferlogistik von Firmen außerhalb unseres Tarifvertrags übernommen wurden. Das Verhalten der Kunden wird so zum Schlüssel in der Auseinandersetzung. Wir haben in unserem Haus einen großen Anteil an Stammkunden, die viel Verständnis für unseren Streik aufbrachten. Wir verteilten nicht nur Flugblätter, sondern packten mal eine Blume dazu, mal einen Schoko-Weihnachtsmann. Und haben mit den Leuten geredet. Viele Kunden solidarisierten sich mit uns und kauften nicht ein. Neben dieser Werbung in eigener Sache müssen wir uns aber viel stärker vernetzen!

ver.di PUBLIK | Zum Beispiel?

Dürbaum | Anfangen müssen wir bei uns selbst. Das innerbetriebliche Netzwerk unserer Vertrauensleute muss enger geknüpft werden und darf nicht nur während der Tarifauseinandersetzung aktiviert werden. Gewerkschaft im Betrieb hat mehr Facetten und muss das ganze Jahr über erlebbar sein: durch die Haltung, eine lebendige Diskussionskultur und in gemeinsamen Freizeitaktivitäten. Wir brauchen den Kontakt zu anderen tarifgebundenen Einzelhandelsbetrieben im Stadtteil. Dann streikt nicht mehr nur Karstadt, sondern der Einzelhandel in Eimsbüttel. Unser ehemaliges Lager wird jetzt von DHL betrieben. Es muss möglich sein, die Tarifrunden so zu koordinieren, dass Aktionen dort bei unserer Auseinandersetzung helfen. Eine branchenübergreifende Koordination und gegenseitige Unterstützung - da kann ich mir eine Menge vorstellen. In Hamburg gab es z.B. eine regionale Streikleitung, die sich sehr bewährt hat. Warum nicht auch bundesweit? Wir müssen unberechenbarer und flexibler werden, damit der Arbeitgeber nicht mehr mit Gegenmaßnahmen reagieren kann. Ein Beispiel: Die KollegInnen verlassen ihren Arbeitsplatz spontan ab 11 Uhr und gehen nach Hause!

ver.di PUBLIK | Mit solchen Aktivitäten habt ihr die Kunden und die Öffentlichkeit noch nicht auf eurer Seite.

Dürbaum | Stimmt! Aber es gibt Ansätze. In Hamburg fand eine Streikversammlung in einer Kirche statt, und der Gemeindepastor hat seine Solidarität mit unseren Streikzielen zum Ausdruck gebracht. In etlichen Städten haben sich lokale Künstler und örtliche Politiker solidarisch erklärt. Mein Wunschszenario für Hamburg: Karstadt streikt! Auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz findet eine Diskussionsveranstaltung zur Arbeitssituation im Handel vor 1000 Interessierten statt. Künstler und Politiker verteilen Solidaritätserklärungen in der Mönckebergstraße. In der Spitalerstraße treten Theatergruppen auf. Ganz Hamburg steht im Zeichen des Einzelhandels, weil ver.di alle Kräfte bündelt, um uns zu unterstützen. Ich weiß, ich fange an zu träumen. Aber wir haben uns in Hamburg auf den Weg gemacht, dass aus solchen Träumen nach und nach Realität werden kann.